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Coach dich doch selbst

Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist Christoph Bauer zeigt Zähne.

Als ich heute morgen, mit meiner Tochter an der Hand, zur S-Bahn lief, wurde ich auf offener Strasse von einer sehr lächelnden Frau angesprochen. Sie hatte beeindruckend weiße Zähne und weil ich ein Menschenfreund mit guten Manieren bin, zeigte ich ihr die meinen. Diese sehr lächelnde Frau begann daraufhin, mich und meine Tochter mit einem sehr polyphonen Wortschwall zu übergießen und entpuppte sich dabei als freilaufender Coach auf Kundenakquise.

Der Facettenreichtum des Coachingangebotes, das blendende Weiß der gefletschten Zähne und ihre verbale Distanzlosigkeit versetzten mich in eine Art Schockstarre. Und genau darauf hatte es das grinsende Coachingmonster abgesehen. Während sie meiner Tochter mit der Linken über das Haar strich, drückte sie mir mit der Rechten blitzschnell einen Stapel Hochglanzflyer in die Hand. „Beruf & Berufung“, „Gewinnend kommunizieren“, „Präsenz und Selbstausdruck“, „Fit for Family“, „Erfolgreich Du selbst sein“, „Einfach reden – Kommunikation im Alltag“, „Heilung – Heilen – Heiler sein“.

Ich weiß nicht, welchen Anlass ich ihr gegeben hatte, sich ausgerechnet auf mich zu stürzen. Sehe ich tatsächlich aus wie jemand, der ein Coaching braucht? Ist mein Gang so gebeugt, als läge das Leben tonnenschwer auf meinen Schultern?

Klebt auf meiner Stirn ein leuchtender Burnout-Sticker?

Oder ist meine Tochter irgendwie verhaltensauffällig, so dass sich auf den ersten Blick Rückschlüsse auf  eine emotionale Dysfunktion ihres Vaters ziehen lassen? Früher wäre ich mit einer solchen Attacke sehr viel souveräner umgegangen. Früher wäre eine derart aufdringliche Glücksmissionarin von mir sofort als Scientologin  enttarnt worden. „Danke, es geht mir gut. Suchen Sie sich einen anderen Idioten, dem Sie das Geld aus der Tasche ziehen können“. Mit geschwellter Brust hätte ich meiner Tochter demonstriert, wie man einen druckfrischen L. Ron Hubbard zielsicher zwischen zwei gebleachte Kauleisten dübelt.

Aber nachdem das Geschäft mit Glücks-, Heils- und Erfolgswegweisungen nicht mehr ausschließlich Kirchen und Sekten vorbehalten ist, und nachdem ernst zu nehmende Menschen wie der Starpädagoge Jesper Juul sich zu so bekloppten Buchtiteln wie Elterncoaching – Gelassen erziehen hinreißen lassen, seit dem funktioniert mein alt gedientes Schubladensystem nicht mehr.

Ich hab‘ irgendwo gelesen, dass sich in Deutschland inzwischen rund  30.000 – 40.000 sogenannte Coaches tummeln. Und es werden täglich mehr. Jetzt wollen Sie also auch mein Leben und das meiner Tochter optimieren. „3 Tage Intensiv Coaching für Kinder und ihre Eltern“. Für knapp 700 Euro gibt es das Tuningpaket fürs Familienglück. Und als kleines Extra für  die Kleinen: eine Zauberformel, die ihnen hilft, „schwierige Situationen eigenständig erfolgreich zu meistern.“

Nun, ich möchte nicht als beratungsresistent erscheinen.

Und ich will mir keine Ignoranz vorwerfen lassen und natürlich versuche ich meiner Tochter vorzuleben, dass man auch Menschen mit überweißen Zähnen vorurteilsfrei begegnen sollte. Also bleibe ich freundlich und versuche mit einem polyphonen „Wir müssen jetzt leiiiiider zur S-Bahn“, diese schwierige Situation eigenständig erfolgreich zu meistern. Doch mein gebleachtes Gegenüber pariert blitzschnell: „Es ist gut, wenn man seine Ziele kennt und formulieren kann. Aber man muss seine Ziele auch konsequent fokussieren! “.  Damit hat sie vollkommen Recht. Ich fasse meine Tochter beherzt bei der Hand, täusche eine Linksbewegung vor, schlage dann aber einen flinken Haken, um uns rechts an diesem breiten Lächeln vorbei zu manövrieren.

Als wir uns nach einem intensiven Sprint ins S-Bahn-Abteil fallen ließen, fragte meine Tochter: „Papa, was ist ein Coach?“. Trainer, Lehrer, Therapeut – wäre das eine seriöse Übersetzung? Ich durchwühlte hektisch das Wörterbuch meines Smartphones und stieß auf eine interessante Antwort. „ Hier steht: In Amerika heißt „Coach“ soviel wie „Zweite Klasse“ – also in Zügen und natürlich auch S-Bahnen.“

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