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Der Plattfuß des Skihasen

Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist kennt Fluchtreflexe nur zu gut, vor allem wenn es um den allseits beliebten Skiurlaub geht. Nur unter Schmerzen kennt er den Weg ins Tal, weshalb er dem Wintersport den Rücken kehrt. Endgültig!

Die Olympischen Winterspiele stehen vor der Tür und obwohl die gedopten Russen diesmal nicht mitmachen dürfen, interessiert mich das ganze leider herzlich wenig. Alpiner Wintersport gehört nicht gerade zu den Freizeitvergnügen, denen wir als Familie mit besonderer Leidenschaft frönen würden – weder medial noch alpin. Und auch wenn ich, als Kind der bayerischen Voralpenregion, mit dem dort kulturell verankerten sportiven Leistungsdruck aufgewachsen bin, so habe ich es bisher vermieden, diesen an meine beiden Töchter weiterzugeben.

Natürlich möchte man den Kindern keine Chance verbauen und so gab es auch ein paar Anläufe, sie für den Brettl-Breitensport zu begeistern. Hat aber nicht sonderlich gut funktioniert. Wenn die beiden von den Erfahrungen des letzten Skikurses von vor zwei Jahren berichten, bekommt man den Eindruck, sie seien nur knapp an einer posttraumatischen Belastungsstörung vorbei geschlittert. Nein, sie sind keine verzogenen Heulsusen. Aber tatsächlich haben sie sich bisher eher mit kreativen als mit sportlichen Leistungen hervorgetan. Sie teilen mit mir die leidliche Erfahrung, im Sportunterricht unter den Letzten zu sein, die in eine Mannschaft gewählt werden, sie fanden Schokotaler schon immer attraktiver als Goldmedaillen und zu allem Überfluss haben sie auch noch meine Plattfüße geerbt.

Unter Schmerzen
Dem Plattfuß, so ist zumindest mein subjektiver Eindruck, wird heutzutage zwar sehr viel mehr Toleranz entgegengebracht als in meinen Kindertagen, doch auf der Piste wird der Plattfuß auch heute noch zum Problemfuß – die Schmerzen im Skischuh sind geblieben. Spätestens dann, wenn man kurz vor Schließung der Lifte völlig erschöpft die völlig vereiste Talabfahrt runterrutschen muss, quälen einen die ermatteten und gequetschten Plattfüße mindestens so heftig wie der fiese Kloß im Hals. Dass ein Fuß, der sich in seiner Form nur wenig vom Wiener Schnitzel unterscheidet, in einem eng geschnallten Hartschalen-Skischuh wenig Freude hat, liegt auf der Hand.

Doch woher rührt der schmerzende Kloß im Hals? Darauf bleibt uns die Wissenschaft bis heute eine verlässliche Antwort schuldig. Dr. Ad Vingerhoets, seines Zeichens Professor für klinische Psychologie an der holländischen Tilborg Universität,  gilt als internationale Koryphäe im Bereich der Stress- und Tränenforschung. Er sagt, dieses schmerzhafte Engegefühl im Hals sei Teil unserer natürlichen Kampf-oder Flucht-Reaktion. Wenn man also auf der harschigen Buckelpiste die Kontrolle über die Bretter verliert, der Skilehrer motzt, die wedelnden Ski-Asse aus der Gruppe genervt die Augen verdrehen und dann, als Abschluss dieses Martyriums, auch noch der Zorn des pampigen Skibusfahrers auf einen wartet, dann bereitet sich der gestresste Kinderkörper instinktiv auf Kampf oder Flucht vor. Deshalb geben Herz und Atmung Vollgas, weshalb sich wiederum die Kehle weiten muss, um mehr Luft einzulassen. Diesen Platzmacher-Job übernimmt die Stimmritze, die sogenannte Glottis. Doch wie aus dieser Stresschoreographie im Rachenraum nun ein schmerzhafter Kloß entsteht, darüber sind sich Dr. Vingerhoets und seine Forscherkollegen höchst uneinig. Zwei Theorien beherrschen die Diskussion:

1.) Beim Schlucken muss sich die gestresste Glottis schließen, obwohl sie gerade versucht, sich fleißig zu dehnen. Muskelkrämpfe sind die Folge.
2.) Wenn wir krampfhaft versuchen, nicht zu weinen, ziehen sich die Muskeln in der Kehle zusammen, obwohl sie gerade versuchen, sich fleißig zu strecken. Muskelkrämpfe sind die Folge.

Ohne mich
Natürlich sind das Detailfragen, deren Klärung dem heulenden Skikurskind nur bedingt über die Buckelpiste helfen würden. Aber allein die Kenntnis, dass man in seinem Leid nicht ganz alleine ist, kann ja schon etwas Tröstendes haben. Mir tut es zum Beispiel ganz gut zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, der es geradezu unerträglich findet, wie teuer das vermeintliche Vergnügen des Skifahrens geworden ist. Skifahren entwickelt sich zum Elitesport. Seit Anfang der 1990er-Jahre haben sich die Preise für Ski-Tageskarten in Österreich mehr als verdoppelt. Und wenn ich für einen vierköpfigen Familientag auf der Piste rund 400 Euro ausgeben muss, dann ist es auch nur ein schwacher Trost, dass mir der geheizte Sessellift auf dem Weg nach oben die Arschbacken wärmt und auf dem Weg nach unten eine Armee von Hightech-Schneekanonen Spalier steht, die mir auch noch den weißen Teppich ausrollen wird, wenn in St. Johann längs die Palmen blühen.

Spätestens wenn mich dann der apokalyptische Stau Richtung Norden in einen Zustand der kontemplativen Entschleunigung zwingt, bin ich mir ganz sicher, dass die große Wintersport-Sause in Südkorea auch dieses Jahr ohne meine Jubelschreie auskommen muss.

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