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Popkompost

Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist Christoph Bauer entsorgt den Rest seiner Jugend im Sondermüll.

Aus, Schluss, vorbei. Ich habe es getan. Ich habe eines der letzten Kultrelikte meiner rebellischen Restjugendlichkeit im Müll versenkt: meine Chucks. Ich habe es lange nicht wahrhaben wollen, aber nachdem ich gerade unseren Nachbarjungen zusammengefaltet habe, weil seine Kumpels immer vom Balkon pissen, ist mir klar geworden: Ich gehöre definitiv nicht mehr zur Generation Chucks.

Aber als meine Töchter vor kurzem diesen erfolgreichsten aller Turnschuhe für sich entdeckt haben,  überkam mich ein mittelschwerer Anflug von Nostalgie. Mick Jagger hat in diesen Schuhen geheiratet. Die Ramones haben in diesen Schuhen Stadien gerockt und Musikgeschichte geschrieben. Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, klebten auch meine Füße in diesen designfreien Tretern aus Leinen und Gummi.

Wie viele Kubikmeter Festivalschlamm hatten sie in all den Jahren wohl an sich kleben? Wie viele Liter Regenwasser sind in all den Jahren durch dieses Leinen geronnen? Wie viele Sommer haben meine Füße dank dieser Treter im eigenen Saft geschmort?

Und warum stinken die Dinger eigentlich immer noch so penetrant, obwohl ich sie bestimmt fünf Jahre nicht mehr getragen habe? Weg damit! Doch wie entsorgt man diese müffeligen Wegbegleiter eigentlich? In den Sondermüll? Restmüll? Oder handelt es sich dabei um eine Verpackung? Eine Fußverpackung?

Nun meldet sich also auch noch das ökologische Gewissen. Das soziale Gewissen hätte mich spätestens 2001 vom Tragen dieser Schuhe abbringen müssen. Damals wurde der Hersteller Converse vom Megakonzern Nike geschluckt. Und was man von dem Verein zu halten hat, ist ja hinlänglich bekannt. Gerade erst haben zehntausende Fabrikarbeiter bei einem chinesischen Zulieferer die Arbeit niedergelegt. Sie forderten bessere Arbeitsbedingungen und die Einführung von Sozialleistungen.

Und wenn der emsige chinesische Fabrikarbeiter aufmuckt, dann sind die Gründe meist prekärer als beim deutschen Flughafenbodenpersonal. Was machen also die ach so coolen Nikes? Sie drohen kurzerhand mit dem Entzug der Auftragsfertigung. Asoziale Stinkstiefel, diese Turnschuh-Kapitalisten.

Wer hat eigentlich meinen Töchtern diese bösen Schuhe gekauft? Bis jetzt ist es uns doch recht gut gelungen, sie von jeder Form des  Markenfetischismus fern zu halten. Okay, da war die Sache mit den Conni-Büchern. Mit seiner aggressiven Marketingstrategie und Ein-Euro-Preispolitik war es dem Verlag tatsächlich gelungen, meine Töchter zu verführen und diese langweilige und spießige Comicfigur zur ihrer Heldin zu machen.

Als sie damals die wunderbar rebellische Pippi Langstrumpf links liegen ließen, hätte ich schon stutzig werden müssen. Schon klar, für die Produktion dieser banalen Kinderbüchlein müssen nicht Heerscharen chinesischer Fabrikarbeiter ausgebeutet werden. Auch muss man sie  nicht zwingend auf dem Sondermüll entsorgen, selbst wenn einen diese kecke Conni richtig anätzt. Und der Conni-Kult hielt sich bei uns auch nicht sonderlich lange.

Ob es bei meinen Töchtern aber jemals zu einer kultischen Verehrung von Markenturnschuhen oder anderen Kleidungsstücken kommen wird, das bleibt noch abzuwarten. Wenn ich mir  aber vor Augen führe, welch emotionale Verwirrungen Edelhandtaschen bei meiner Frau auslösen können, dann schwant mir Übles.

Dann sehe ich meine Töchter des nächtens auf dem Bürgersteig einer dunklen Einkaufsstraße campieren. Mit heißem Tee und Armeedecken kämpfen sie gegen die gnadenlose Kälte an. Um sie herum lungern hunderte, ja tausende finster drein blickender Konsumjunkies. Niemand spricht mit dem anderen, kein freundliches Wort kommt ihnen über die Lippen. In wenigen Stunden werden sie sich dann plötzlich erheben.

Wenn sich die Pforten des Konsumtempels öffnen, dann werden sie alle losstürmen, der Geifer wird ihnen aus dem Gesicht rinnen, sie werden sich gegenseitig niedertrampeln. Denn sie alle wollen nur eines – als erste den neuen „XG 25/2 Super Air“ in ihren Händen halten. Und meine Töchter mittendrin? Das werde ich zu verhindern wissen! Wie stand es einst auf meinen jungrevolutionären Chucks: FUCK OFF! So, und jetzt kommt Werbung: ethletic.com

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