Sommerlesetipps für Erwachsene

Viel zu selten bleibt im Alltag Zeit für all die guten Bücher, die wir uns vornehmen zu lesen und oft genug unangetastet ihr Dasein auf dem Nachttisch fristen. Die Sommerferien bescheren uns endlich ein paar Mußestunden zum Lesen – wir liefern euch dafür die passenden Empfehlungen für faule Schmökerstunden.

So viel Leben: Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara
Zugegeben: Ein leichtes Ferienvergnügen ist das vielschichtige Werk der in New York lebenden Autorin Hanya Yanagihara nicht. Für die knapp 1000 Seiten braucht es schon etwas Ruhe und Hingabe, doch kein einziger Satz ist hier zuviel und schnell ist man bei der Lektüre von „Ein wenig Leben“ komplett gefangen.

Der Roman begleitet Jude und seine Freunde Willem, Malcolm und JB, die sich zunächst als Studenten in New York begegnen und deren Leben über Jahrzehnte verwoben bleibt. Jede der Figuren trägt ihre ganz eigene Geschichte, eigene Träume und Verletzungen mit sich, Zentrum der Erzählung ist aber Jude, von dem sowohl seine Freunde als auch der Leser zu- nächst nichts erfahren, seine Vergangenheit bleibt im Dunkeln. Doch seine Verschlossenheit, seine körperlichen Verletzungen und seine seelische Versehrtheit bleiben nicht unbemerkt, und langsam zeigt sich Stück für Stück seine Geschichte mit allen Geheimnissen.

Dass diese Geschichte den Leser immer nur in kleineren Episoden erreicht, ist auch gut so, denn oft ist es kaum zu ertragen, was uns dort offenbart wird. Dennoch weiß Yanagihara genau, welche Worte zu wählen sind, um nicht voyeuristisch zu werden. Und auch wenn Judes Schicksal erschüttert, bleibt der Roman nicht hier stehen, sondern es kommt noch etwas anderes in sein Leben.

Was anfangs als gute Freundschaft unter vier jungen Männern beginnt, wächst sich über die Jahre zu ungeahnter Tiefe aus und zeigt uns, was Menschen einander bedeuten können und auch, dass Freundschaft so viel mehr sein kann, als wir es uns oft vorstellen. Darin liegt der besondere Moment von „Ein wenig Leben“: so viel Leid und Verletzung, aber dennoch auch so viel Liebe und Menschlichkeit, alles zusammen in jedem kleinen Leben. (ak)

Hanya

Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben | gebunden | 960 Seiten | Hanser Verlag Berlin | 01/2017 | 28,00 Euro 

 

Das Land deiner Träume: Das geträumte Land von Imbolo Mbue
Die Vereinigten Staaten kurz vor der großen Krise: Die Banken machen fleißig Profit, das Immobiliengeschäft boomt und der aufstrebende Senator Barak Obama weckt bei vielen neue Hoffnungen. Für Jende, Neni und ihren Sohn Liomi scheint ein Traum in Erfüllung gegangen zu sein, seit sie in New York angekommen sind.

Ihre Heimat Kamerun hält allein trostlose Perspektivlosigkeit bereit, nur unterbrochen von Strandspaziergängen und Nachmittagen am Drinking Spot. Auch heiraten kann das Paar erst hier, frei von den familiären Schwierigkeiten zuhause. Nachdem erst Neni einen Job als Pflegerin findet und nebenbei noch Chemie am College studiert, um Apothekerin zu werden, trifft auch Jende das Glück: Er wird von Clark Edwards, einem leitenden Manager bei Lehman Brothers, als Chauffeur angestellt.

Was zunächst wie der gelebte amerikanische Traum beginnt, fängt schon bald an zu bröckeln – und das nicht nur für die Familie Jonga. Während Neni sich häufig fremd fühlt und ihr auch am College vermittelt wird, dass ein Pharmaziestudium quasi unerreichbar für sie ist, gibt es auch bei Jendes Asylantrag immer mehr Probleme.

Auch für die Familie Edwards gerät die Welt ins Wanken, als die Immobilienblase platzt und Lehman Brothers in die Krise stürzt. Was geschieht, wenn Träume zerplatzen? Und wie sehr halten wir dennoch an ihnen fest? Imbolo Mbues Debüt zeigt ein Stück amerikanische Geschichte und beschreibt klug und mitreißend das große Gefühl der Hoffnung und was mit ihr geschehen kann. (ak)

Imbolo

Imbolo Mbue: Das geträumte Land | gebunden | 421 Seiten | Kiepenheuer & Witsch | 02/2017 | 978-346 204 796 7 | 22,00 Euro

 

Jürgen sucht die Liebe: Jürgen von Heinz Strunk
Eingefleischten Fans ist Heinz Strunks Kunstfigur Jürgen Dose kein Unbekannter. Jetzt geht die lebendig gewordene Verkörperung trostloser Mittelmäßigkeit auf die Suche nach der großen Liebe – eine nette Bekanntschaft würde es aber auch schon mal tun. Jürgen lebt als mittvierziger Parkhauswächter allein mit seiner bettlägerigen Mutter und tut sich mit Damenbekanntschaften eher schwer.

Von enttäuschenden Internet-Verabredungen und Speed-Dating-Erfahrungen abgesehen verläuft die Suche eher fruchtlos – bis sein Freund Bernd Würmer die zündende Idee hat. Ein Trip nach Polen mit der Agentur „Eurolove“ soll’s richten, doch es kommt mehr Ärger als wahre Liebe dabei heraus …

Im Gegensatz zu Heinz Strunks Vorgängerwerk „Der goldene Handschuh“ und auch „Fleisch ist mein Gemüse“ genießt man mit „Jürgen“ eher leichtes Lesevergnügen, das in gewohnt komischer Strunkmanier seinen Held bei verpatzten Dates, leeren Sonntagen und Currywurst mit Pommes im Nirgendwo begleitet. Keiner erzählt graues Hamburger Mittelmaß besser! (ak)

Jurgen

Heinz Strunk: Jürgen | gebunden | 253 Seiten | Rowohlt | 04/2017 | 978-349-803-574-7 | 19,95 Euro

 

Gute Miene zum bösen Spiel: Der Club von Takis Würger
„Mein Vater war gestorben, weil ich in Brandenburg boxen wollte. Meine Mutter war gestorben, weil ich Schnittlauch auf meinem Rührei essen wollte.“ Selten hat ein Buch von Anfang an so gefesselt wie Takis Würgers Debüt. Neben dem nüchternen und einfachen Erzählstil ist es vor allem die gelungene Mischung aus Lovestory, Coming-of-Age-Geschichte und Kriminalfall, die überzeugt, gerade weil sie nicht auf der Klischeeschiene fährt, sondern einen im unkonventionellen Sinne berührt und einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Protagonist Hans Stichler, der früh seine Eltern verliert, erhält nach seinem Schulabschluss ein Stipendium für Cambridge. Dafür muss er jedoch undercover ein Verbrechen aufklären. Er wird Mitglied im elitären Pitt Club, passt sich langsam an das Leben der reichen Snobs an und begibt sich immer tiefer in die Geheimnisse und Machenschaften einer Welt, der er nie angehören wollte. Mittendrin ist Charlotte, in die er sich verliebt und die ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Geschichte darstellt. Drumherum verwischen die Grenzen zwischen Realität und Einbildung wie in einem Drogenrausch. Wessen Perspektive entspricht der Wahrheit? Am Ende muss Hans eine wichtige Entscheidung treffen.

„Ich war eine Raupe, der Club hat mir Flügel verliehen.“ Takis Würger, der selbst Mitglied diverser Clubs in Cambridge ist, gibt in seinem Erstlingswerk Einblicke in eine Welt aus Dekadenz, männlicher Überlegenheit und Loyalität. Dieses Buch will man nicht aus der Hand legen und dennoch zwingt man sich ab und an eine Pause einzulegen, durchzuatmen, damit es nicht so schnell zu Ende geht. Eine echte Empfehlung für alle, die etwas für Krimis übrig haben, und dennoch nicht auf einen literarischen Anspruch verzichten wollen. (sg)

Wuerger Club

Takis Würger: Der Club | gebunden | 238 Seiten | Kein & Aber | 02/2017 | 978-3-0369-5753-1 | 22,00 Euro

Text: Antje Kölling und Sophie Gottschall

Bildnachweise:
New York © Aaron Burson, Unsplash
Cover Ein wenig Leben © Hanser Verlag Berlin
Cover Das geträumte Land © Kiepenheuer & Witsch
Cover Jürgen © Rowohlt
Cover Der Club ©  Kein & Aber