300 kleine Hüpfer im Gepäck

STADTGESTALTEN München – Der Flohzirkus Birk und seine Ministars sind seit 67 Jahren ein echter Wiesn-Klassiker.

Auf den ersten Blick ist Pörnbach ein ganz normales Dorf. Knapp 80 Kilometer von München entfernt, kurz vor Ingolstadt gelegen. 2116 Einwohner zählt die Gemeinde. Es gibt einen Fußballverein, Kindergarten, Geldautomaten, eine Pfarrkirche und sogar ein Schloss. Doch die eigentliche Attraktion befindet sich am äußersten Rand der Ortschaft, im Gewerbegebiet. Am Anger 12 lautet die Adresse. Die Straße endet vor einem grünen Feld. Ein Haus mit einer Werkstatt ist zu sehen. Daneben befindet sich eine große Werkhalle. Inmitten dieser dörflichen Einöde hüpfen Flöhe herum, in Holzkisten befinden sich momentan 60 Stück.

Wenn Robert Birk allerdings im September zum Oktoberfest fährt, hat der Dompteur und Direktor des „Flohzirkus Birk“ an die 300 kleinen, schwarzen Hüpfer im Gepäck. „Seit 67 Jahren gibt es den Flohzirkus auf der Wiesn. Wir sind ein echter Klassiker, haben jeden Tag Vorstellungen“, sagt Birk. Und so braucht er besonders viele Flöhe. Auf dem Bauernhof eines guten Freundes wird er meistens fündig. „Über 20 Katzen laufen da herum. Die kriegen etwas Milch, und dann kämme ich ihnen das Fell und die Flöhe heraus.“ Nach ein paar Stunden hat er an die 200 Flöhe, die in ein Glas mit Hundehaaren kommen. Allerdings nur Weibchen. „Die sind größer und stärker“, erklärt Birk und meint: „Und die Mädels sind vor allem fleißiger und lernen schneller. Die Männer sind faul. Wie bei uns Menschen.“ Er lacht.

Gerade einmal drei Tage braucht Robert Birk, um seinen minikleinen Artisten erste Kunststücke beizubringen – wie im Ballett tanzen oder eine Kutsche ziehen. Die Stars der Manege bekommen wie Hunde ein Halsband aus sehr feinem Draht angelegt, damit sie nicht davonhüpfen. Für die Dressur benötigt der Dompteur eine Pinzette, eine Lupe und „ganz ruhige Hände“. Mehr kann und will er nicht verraten – Betriebsgeheimnis!

Es gibt Springer und Läufer. Die Läufer ziehen die Kutschen oder treten als Ballerina auf – mit Röcken, die aus dem bunten Alu-Papier von Eiskonfekt gebastelt sind. Die weiblichen Stars tragen allerdings Männernamen. Wie der starke August, der ein kleines Karussell dreht. Fridolin jongliert eine Scheibe. Und Theodor spielt Fußball, springt und schießt dabei einen winzigen Ball aus Styropor in ein Tor. Drei Flöhe wiegen ungefähr ein Milligramm, jeder kann bis zu ein 50faches seines Körpergewichts heben. „Die Emanzipation hat ihre Spuren hinterlassen“, so Birk und schmunzelt. „Längst haben die Weibchen von einst die Schürzen abgestreift und gegen Hosen getauscht.“

Über kleine, schmale Treppenaufgänge gelangt man in den Zirkus. Auf 13 Quadratmetern verteilen sich Bänke und Stühle für 20 Zuschauer. Kinder dürfen in der ersten Reihe Platz nehmen. Die eigentliche Manege ist nicht größer als ein großer Schuhkarton, auf dem sich die Kutschen, das Karussell, ein kleines Fußballfeld und andere Spielobjekte für die Flöhe befinden. Laute Musik und ein großes Spektakel bekommt man hier nicht geboten. Die Aufmerksamkeit gilt voll und ganz den kleinen Artisten. Robert Birk erzählt dazu ein paar spannende Floh-Geschichten und verteilt Lupen. Nach zehn Minuten ist die Vorstellung vorbei.

„Männer sind meistens sehr skeptisch. Meinen, dass wir mit Tricks arbeiten. Frauen sind eher fasziniert. Und Kinder wollen die Flöhe mit nach Hause nehmen als Haustiere“, erzählt Birk. „Aber das geht natürlich nicht. Unsere Flöhe sind kein Spielzeug, sondern lebendig und echte Stars.“ Mit einem ganz eigenen Willen, wie es sich für einen Star gehört. „Wenn Flöhe keine Lust haben, dann springen und laufen sie nicht“, sagt der Zirkusdirektor. Man dürfe sie nicht überstrapazieren. Von 11 Uhr bis 22 Uhr laufen während der Wiesn jeden Tag über 20 Vorstellungen im „Flohzirkus Birk“. Das ist dann nicht nur für den Direktor und seine beiden Dompteure harte Arbeit, sondern auch für die Flöhe. „Deswegen habe ich ja auch 300 auf der Wiesn dabei“, erklärt Birk, „die Flöhe wollen genauso wie die Zuschauer ihren Spaß haben. Wir sind ja keine Tierquäler.“ Gefüttert werden sie mit Blut – und zwar mit dem vom Zirkusdirektor höchstpersönlich. Mit Leine hüpfen sie dann auf seinem Arm herum, beißen und saugen. Das tut dem Zirkusdirektor allerdings nicht weh, sein Körper hat sich daran gewöhnt.

Zum ersten Mal wirbelten die Flöhe 1948 auf der Wiesn durch die Manege. Die Familie Mathes, eine alte Nürnberger Schausteller-Dynastie, die über 150 Jahre lang den Flohzirkus betrieb und die schwarzen Hüpfer dressierte. Sie gaben bereits im englischen Königshaus Sondervorstellungen. 1983 lernte Robert Birk schließlich Hans Mathes kennen. Er brauchte für das Oktoberfest noch einen Dompteur. So stand Birk, gelernter Funkelektroniker und Maschinenschlosser, plötzlich hinter der Bühne – und war begeistert von den kleinen Kraftprotzen.

Bis heute. Doch nicht nur er. Auch seine Frau und Kinder sind Floh-Fans, helfen neben Freunden und Verwandten auf der Wiesn mit. „Christian ist 35, war 14 Jahre lang voll dabei. Macht leider nur noch selten mit. Rafaela ist 24, lebt in Berlin. Aber Franziska, unsere Kleinste mit acht Jahren, könnte noch in meine Fußstapfen treten“, sagt Birk (53), der mit seinem Flohzirkus nicht nur bei Volksfesten auftritt, sondern auch in Museen, bei Firmenfesten, Hochzeiten und Geburtstagen. Doch nur bis November, danach wird es den kleinen Artisten zu kalt. Dann macht Birk die große Holzkiste mit den Hundehaaren auf und lässt die Flöhe frei. „Die sollen sich dann einen Igel oder eine Katze suchen.“ Auf der Wiese neben seinem Haus am äußersten Rand von Pörnbach.

www.flohcirkus.de
Text: Sebastian Schulke
Fotos: U.Benz, H.Gebhardt, B.Römmelt