Tainá Guedes und „Die Küche der Achtsamkeit“

Kreativ kochen, alles wieder verwenden, und nichts verschwenden. Eine Philosophie, die das Leben verändert: Food-Aktivistin Tainá Guedes im HIMBEER-Interview.

Tainá Guedes ist eine Foodaktivistin mit brasilianischen und japanischen Wurzeln. Die gebürtige Brasilianerin setzt sich für die Nachhaltigkeit und Wiederverwendung von Nahrungsmitteln ein, aber auch für eine gesunde und bewusste Ernährung. Sie verbindet Essen und Kunst, um auf kritische Themen aufmerksam zu machen. Dabei spielen vor allem ihre japanischen Wurzeln eine große Rolle.
Nachdem sie eine Kochausbildung absolviert und ein japanisches Restaurant in São Paulo geleitet hatte, widmete sie sich der Shojin-Ryori-Küche und reiste dafür nach Tokio. Um sich noch detaillierter mit der japanischen Kochkunst auseinander zu setzen, lernte sie anschließend im Restaurant Nippon-Kan in Düsseldorf, Deutschlands größter japanischer Gemeinde, die authentische japanische Hochküche kennen.
Momentan lebt Tainá Guedes mit ihrem sechsjährigen Sohn in Berlin und leitet die Entretempo Kitchen Gallery, die auch der Hauptstandort der jährlichen Food Art Week ist, einem Fest der Nahrung und der zeitgenössischen Kunst.
In ihrem neuen Buch, „Die Küche der Achtsamkeit“  spielt das Konzept von Mottainai eine entscheidende Rolle. Was das für sie bedeutet und worauf sie beim Essen besonders Wert legt, erzählte sie uns im Interview.

 

Woher kommt deine Liebe zum Kochen?
Das hat schon sehr früh angefangen. Meine ersten Erinnerungen sind, dass ich im Garten des Kunststudios meines Vaters war, dort Minzblätter gepflückt, klein geschnitten und mit ihnen etwas für meine Puppen gekocht habe. Ich glaube, diese Liebe zum Kochen kommt von meinen Eltern. Mein Vater war Makrobiotiker, Essen war für ihn sehr wichtig. Die schönste Zeit war immer, wenn wir alle im Kunststudio zusammen gegessen und uns unterhalten haben. Dann hatten meine Eltern Zeit für mich. Das ist wichtig für Kinder: Zusammen zu essen gehört einfach zu den wichtigsten Momenten.

 

Was macht Essen für dich aus?
Ohne Essen würden wir alle sterben, daher ist es ganz zentral. Ich benutze Essen als ein Medium, um die Leute auf verschiedene schwierige Themen aufmerksam zu machen. Zum Beispiel: wie es dem Regenwald oder den Indianern geht, warum sie aussterben. Diese Themen sind unangenehm, aber sehr wichtig! Genau darum geht es bei der Food Art Week, die außer in Berlin in diesem Jahr noch in São Paulo, Italien und der Schweiz stattfinden wird.
Ich habe bemerkt, dass sich viel mehr Leute engagieren und Lust haben, über problematische Themen nachzudenken und zu reden, wenn wir Essen mit Kunst kombinieren. Ich benutze diese Kombination als Werkzeug, um Gedanken anzuregen. Essen ist nicht nur da, um satt zu werden. Es ist eine eigene Wissenschaft. Essen hat Bezug zu allen Bereichen des Lebens: Politik, Umwelt, Geschichte, Gefühle.
Essen ist überall. Deswegen mag ich das deutsche Wort für Essen so gerne: „Lebensmittel“. Alles was ich sagen will, steckt da drin.

 

Beeinflussen dich deine Wurzeln beim Entwickeln von Rezepten?
Ich habe immer gedacht, mein Vater hatte einen größeren Einfluss, weil er Künstler war und ich angefangen habe, mit Kunst zu arbeiten. Der Name meiner Gallery enthält den Namen seines Studios. Aber eigentlich gab es auch eine starke Mutterlinie in meinem Leben. Meine Mutter ist immer da. Sie war immer sehr politisch und hat sich sozial engagiert, zum Beispiel für andere Familie, die sie unterstützt hat.
Außerdem hat mich das Leben in Brasilien beeinflusst: zu sehen, wie unfair die Welt ist. Wenn man das erlebt, fühlt man sich unwohl. Man möchte etwas ändern.
All das hat dazu beigetragen, dass mein Leben heute so ist, wie es ist, ich Food Aktivistin geworden bin und die Bücher über Essensverschwendung geschrieben habe.

 

Was sagt der Begriff „Mottainai“ für dich aus?
Dieses Wort hat mein Leben sehr stark beeinflusst und geändert. Als ich noch in Brasilien lebte, hatte ich drei Restaurants und ein Modelabel. Ich habe zwar kulturelle Sachen und Ausstellungen organisiert, aber irgendwie drehte sich mein Leben nur um oberflächliche Dinge – die Vogue, Partys, Champagner.
Mottainai ist ein japanisch-buddhistisches Wort und ich bin Halbjapanerin. Als ich diesen Begriff kennenlernte, konnte ich mich sehr stark mit der Idee, dass wir mit anderen und der Welt respektvoll und behutsam umgehen sollten, identifizieren.
Ich wollte mehr darüber erfahren und habe gemerkt, dass es keinen Sinn macht, was mit meinem Leben gerade passiert. Ich wollte etwas Sinnvolles machen und habe deswegen einen anderen Weg eingeschlagen. Das war nicht immer einfach, aber schön.

 

Was sind die Prinzipien der Shojin-Ryori-Küche?
Es ist schwer, das kurz zu fassen, aber in den Prinzipien von Shojin-Ryori ist all das da, was man heute als „nachhaltig“ bezeichnet. Es geht darum, Menschen und Natur zu respektieren, Bio zu essen, regionale und saisonale Produkte zu verwenden.
Die Philosophie von Shojin-Ryori ist schon 3000 Jahre alt und doch so modern. Es geht aber um viel mehr. Ein Aspekt ist die Aufmerksamkeit für den Moment, das Da-Sein. Wenn ich zum Beispiel für dich koche, konzentriere ich mich vollkommen darauf. Meine ganze Energie stecke ich da rein und ich gebe mein Bestes. Und so kommt dann das Beste aus der Natur und von mir zu dir.

 

Zuckerfrei, geht das überhaupt im hektischen Alltag?
Mein Sohn hat bis er drei Jahre alt war keinen weißen Zucker bekommen. Er hat natürlich viel Obst gegessen. Obst enthält Zucker und wir brauchen Zucker. Es ist ein wichtiges Lebensmittel für uns, aber nur der natürliche Zucker.
Als er größer wurde und mit anderen Kindern zusammen war, die Eis und Süßigkeiten aßen, wurde es natürlich schwieriger. Je mehr ich versucht habe zu verhindern, dass er Zucker isst, umso interessierter wurde er. Er war ganz verrückt danach, wollte unbedingt Süßigkeiten und hat sie dann heimlich gegessen. Das war wirklich schlimm für mich. Kinder sollten natürlich Geheimnisse haben, aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Je offener wir mit Kindern umgehen, desto besser.
So war es nicht der richtige Weg, also habe ich mir ein paar Tricks einfallen lassen. Ich liebe bitteren Geschmack. Das kommt daher, weil meine Mutter mir oft bittere Sachen zu essen gegeben hat. Am Anfang mochte ich Bitteres nicht, aber je öfter ich es probiert habe, desto besser hat es mir geschmeckt. Man muss da einfach ein bisschen dabei bleiben. So ist es auch mit der Zuckerreduktion.
Wenn mein Sohn jetzt ganz besonders süße Sachen isst, mag er das nicht mehr. Ich glaube, das war die Arbeit, dabei zu bleiben und ohne Zucker zu kochen.
Mein Sohn darf heute Süßigkeiten essen. Natürlich nicht den ganzen Tag. Ich rede viel mit ihm darüber, weil er jetzt schon größer ist. Wenn wir viel Zucker gegessen haben, setzen wir uns die kleine Herausforderung, mal ein paar Tage wieder keinen Zucker zu essen. Er mag das. Ich denke, das ist ein guter Weg.

 

Was ist dir bei der Ernährung deines Sohns noch wichtig?
Wir achten darauf, dass beispielweise in Tees kein Zucker ist. Außerdem essen wir viel verschiedenes frisches Gemüse und Vollkorn – also keine industriell produzierten Sachen.
Mein Sohn ist ein super kreativer Koch. Alle Kinder sind sehr kreativ und das müssen wir einfach fördern. Wenn sie selber kochen, essen sie auch besser.
Das Konzept unseres Kindergartens finde ich auch sehr gut. Die Eltern, die aus verschiedenen Kulturen kommen, kochen abwechselnd für die Kita. Dadurch lernen die Kinder die Geschmäcker vieler verschiedener Kulturen kennen. Es ist mir sehr wichtig, dass Kinder das Multikulturelle und die Vielfalt kennenlernen. Wenn wir unserem Geschmack keine Grenzen setzen, lernen das auch unsere Kinder. Wir müssen sie experimentieren lassen.

 

Was möchtest du mit Food Art bewegen?
Ich fühle mich unwohl zu wissen, dass wir in einer Welt voller Krisen leben und nichts dagegen machen. Ich möchte der Welt etwas zurückgeben. Es gibt so viele, die sagen, es ist hoffnungslos und wir können sowieso nichts machen. Aber niemand wird etwas für uns tun, sondern wir müssen was machen – und zwar jetzt, zusammen. Das ist die Überlegung bei Food Art. Es geht nicht nur um Kunst, sondern darum, auch etwas zu bewegen. Wir können ein paar Menschen inspirieren, und wenn wir viele werden, die das gleiche Gefühl haben und was verändern wollen, dann können wir auch etwas bewegen.
Auch bei meinen Büchern geht es mir darum. Vielleicht erreiche ich damit ein paar Menschen, die meine Philosophie übernehmen. In meinem neuen Buch „Die Küche der Achtsamkeit“ gibt es viele kleine Geschichten zu den Rezepten. Ich hoffe, dass diese dazu inspirieren, nicht nur im Privaten die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, sondern auch eine globale Sicht zu entwickeln.

 

Wie kann sich jeder Mensch gesund ernähren, auch wenn er nicht viel Zeit und Aufwand in seine Kost stecken möchte?
Ganz viele Leute denken, um sich gesund zu ernähren, brauchen wir Zeit. Das ist aber nur ein Gedanke, den die Lebensmittelindustrie uns verkauft hat und wir haben ihn so übernommen.
Beispielsweise eine Rote-Bete-Suppe mit viel Eisen dauert zehn Minuten. Man muss nicht immer alles perfekt machen. Man schneidet das Gemüse, gibt Gewürze und Kräuter dazu und püriert das Ganze – fertig! Eine Pizza mit selbstgemachtem Teig und Belag dauert auch nicht lange, man braucht nur 30 Minuten. Wenn man sie einfriert, geht es noch schneller: Man muss sie nur zwölf Minuten in den Ofen stellen.
Es stellt sich aber auch die Frage, was besser ist: ein paar Minuten mehr Zeit fürs Kochen aufzubringen oder industrielle Produkte zu verwenden? Für deine Gesundheit und die Umwelt wird die zu zahlende Rechnung viel höher sein, wenn man ungesund lebt.

 

Cover Küche

Tainá Guedes: Die Küche der Achtsamkeit | gebunden | 208 Seiten | Kunstmann | 08.03.2017 | 978-3-95614-135-5 | 28,00 Euro
Food Art Week | 07.07-14.07.2017 | www.foodartweek.com 

Ein Rezept-Tipp hat uns Tainá schon vorab verraten. Hier geht es zu ihren leckeren „Eiskalten Nudeln“.

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