Freundin fürs Leben

Diana Doko klärt Jugendliche über Depressionen und Suizidgedanken auf. Die gebürtige Berlinerin leistet mit ihrem Verein „Freunde fürs Leben“ Pionierarbeit, denn das Thema ist nach wie vor ein Tabu.

Ein warmer Vormittag im Berliner Stadtteil Schöneberg nahe der Eisenacher Straße: Aus hohen Altbau-Portalen treten Menschen auf die Straße, an prächtigen Balkon-Brüstungen blühen Sommergewächse, der Briefträger grüßt die Anwohner und im Café Lenzig, das Diana Doko für das Treffen vorgeschlagen hat, lassen sich die ersten Gäste auf der Sonnenterrasse nieder.

Wie soll man in dieser scheinbar so heilen Welt nun zum heiklen Thema Depressionen überleiten? Wie ansprechen, dass jedes Jahr etwa 10.000 Menschen in Deutschland durch Suizid sterben? Im Grunde trifft dieses Problem der Überleitung genau in den Kern: Depressionen und Suizid gelten nach wie vor als Tabu. Daran ändert leider auch nichts der Absturz der Germanwings-Maschine im März in den Alpen, bei dem der Co-Pilot, der unter Depressionen litt, 149 Menschen in den Tod mitgenommen hat.

Den tragischen Fall sieht Diana Doko zwiegespalten. Auf der einen Seite hat ihr Verein „Freunde fürs Leben“, der Jugendliche und junge Erwachsene über Depressionen und Suizid aufklärt, so viel Aufmerksamkeit und Interview-Anfragen wie noch nie – auf der einen Seite stellt der Fall aus ihrer Sicht depressive Menschen in ein völlig falsches Licht: „Andere Menschen zu töten ist kein typischer Bestandteil einer Depression, auch wenn 90 Prozent aller Suizide von depressiv Erkrankten begangen werden.“

Viele Medien hätten durch ihre undifferenzierte Berichterstattung dazu beigetragen, dass die vier Millionen Menschen mit Depressionen weiter stigmatisiert werden und sich noch weniger trauen, Hilfe bei ihnen nahe stehenden Menschen oder einem Therapeuten zu suchen. Deshalb setzt sich die gebürtige Berlinerin für eine sachliche Aufklärung zum Thema ein. Deshalb hat sie auch diesen Text vor Erscheinen gegengelesen.

Zu schlechte Erfahrungen hat die 45-Jährige mit Journalisten gemacht, die reißerisch über den Selbstmord ihres damals 22-jährigen Bruders geschrieben haben. Drei Jahre später hatte sie den Verein „Freunde fürs Leben“ zusammen mit Gerald Schömbs gegründet, der ebenfalls seine Lebensgefährtin durch Suizid verloren hat. „Nach dem Tod meines Bruders habe ich festgestellt, dass es für Betroffene und Angehörige kaum Informationen und Kontaktstellen gibt.“

So gehe es auch vielen jungen Menschen, „dabei ist Suizid bei ihnen die zweithäufigste Todesursache!“ „Stell dich nicht an!“ – das würden Depressive in unserer Leistungsgesellschaft oftmals hören, sagt die studierte Juristin und Leiterin einer PR-Agentur. Wir rasen durch unseren Alltag und übersehen dabei Mitmenschen, die unser offenes Ohr bräuchten. „Hey, was ist los? Irgendetwas stimmt nicht mit dir.“ So sollten wir reagieren, wenn ein Freund, Mitschüler oder Kollege plötzlich in sich zusammensinkt, sagt sie.

In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und AIDS zusammen. Von Jahr zu Jahr steigen die Zugriffszahlen auf die Internetseite des Vereins (www.frnd.de), die vor allem Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine schnelle und kompakte Infoquelle bietet.

Das Team kommt mit dem Nachdruck von Infomaterialien kaum hinterher. „Doch auch 14 Jahren nach unserer Gründung steht das Thema Depression und Suizid nicht auf der Agenda des Bundesgesundheitsministeriums, anders als in Nachbarländern, wie zum Beispiel Österreich. Es gibt keine nationale Aufklärungskampagne. Und wer als Lehrer anruft, bekommt noch nicht mal Infomaterial für den Unterricht zugesandt“, kritisiert Diana Doko.

Im Grunde ist es ein Skandal, dass ihr Verein so gut wie keine finanzielle Unterstützung erfährt. Es fehlt an Fördermitteln durch die öffentliche Hand, denn der Verein klärt „nur“ auf, leistet aber kein therapeutisches Angebot. Ebenso mangelt es an größeren Spenden. Nach prominenten Suizidfällen melden sich immer wieder Firmen und kündigen ihre Hilfe an, erzählen manche Mitarbeiter sogar offen von eigenen Fällen im Freundes- oder Verwandtenkreis.

Doch was passiert? Nichts. Diana Doko ist die Enttäuschung deutlich anzumerken. Sie wählt ihre Worte ruhig und überlegt, die kräftigen braun gelockten Haare fallen ihr beim Reden ins Gesicht, die Hände holen manchmal weit aus und kommen dann auf den mitgebrachten Info-Materialien zum Liegen, wie zum Beispiel auf der DVD, die der Verein für seine Aufklärungsarbeit nutzt und auf die Diana Doko sehr stolz ist. An ihnen hält sie sich fest. Die Arbeit leisten sie und Gerald Schömbs ehrenamtlich, bringen hierfür sogar einen Teil ihres Einkommens auf.

Auch an prominenten Unterstützern, wie zum Beispiel Prosieben-Show-Gesicht Klaas Heufer-Umlauf, Vanessa Petruo (Ex-Mitglied der Band „No Angels“) und dem ehemaligen MTV-Moderator Markus Kavka mangelt es nicht, da beide aus der PRBranche kommen und über ein entsprechendes Netzwerk verfügen. „Ohne dieses wunderbare Team würde es unsere Arbeit nicht geben“, betont sie. Doch es fehlt ein finanzieller Lichtblick, sodass der Verein jetzt sogar seine Aufklärungs-Workshops an Schulen einstellen musste. Das zermürbt. Diana Doko gibt sich trotzdem nicht entmutigt.

Für die nächste Zeit hat sie viel vor. Am 10. September, dem Welt-Suizid-Präventionstag, wird sie sich mit insgesamt 600 Berlinern zum Flashmob am Brandenburger Tor versammeln. Sie werden zeitgleich für die 600 jährlich an Suizid sterbenden jungen Menschen zu Boden fallen und sich gegenseitig symbolisch wieder aufhelfen.

Vor Kurzem hat Diana Doko ihrem zwölf Jahre alten Sohn erzählt, wie ihr Bruder ums Leben gekommen ist. In der Wohnung hängen Bilder von ihrem Bruder, jedes Jahr trifft sich die Familie am Grab und isst sein Lieblingsessen. Den eigenen Sohn aufzuklären – das war vermutlich ihr schwierigster Fall. Sie nickt. „Aber wenn ich eines nach dem Suizid meines Bruders gelernt habe, dann das: Schweigen hilft niemandem.“

Text: Jörg Oberwittler

 

Freunde fürs Leben, www.frnd.de
Spendenkonto: 950 003 662, Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00