Chinesen essen Hunde

Vaterkolumne HIM – unser Kolumnist Christoph Bauer mag es manchmal exotisch.

„Wot es joa näim?“ „My name is Papa!“. Meine Tochter lernt Englisch – im Kindergarten! Warum eigentlich ausgerechnet Englisch? Ja, ja, ich weiß, Weltsprache und so. Und je früher desto besser. Und alles ganz spielerisch. Und Kinder lernen ja auch so schnell. Aber warum beginnt man dann nicht mit einer Sprache, die man als Erwachsener ohne Vorkenntnisse niemals lernen würde. Chinesisch zum Beispiel. Ich spreche fließend Englisch, obwohl ich erst in der fünften Klasse damit angefangen habe. Meine Lebenssituation hätte sich nur unmerklich verbessert, wäre ich bereits als Kindergartenkind in der Lage gewesen, meinen Vater mit hohlen englischen Phrasen zu langweilen. Keine meiner Schulferien habe ich je in England verbracht, keine in Nordamerika, Irland oder Australien. Wir waren mal auf Jamaika, da konnte ich schon ganz gut Englisch und trotzdem habe ich niemanden verstanden.

Letzte Woche aber besuchte ich mit einem Freund ein chinesisches Restaurant und hätte mich sehr gefreut, wenn ich die Speisekarte in diesem Spezialitätenlokal ein wenig besser hätte entschlüsseln können. Mein Freund ist Künstler und als solcher ein besonderer Anhänger ausgefallener Experimente. Er bestellte, und er bestellte im Blindflug. Er ließ seinen Zeigefinger immer wieder völlig unkontrolliert auf die Speisekarte fallen, aber natürlich nur auf die Seite, die der chinesische Wirt wohlweislich nicht ins Deutsche übersetzt hatte. Schon mal Qualle mit Seegurke in Chilisauce probiert? Diese extravagante Köstlichkeit hat zwar nicht Einzug in die Top-Ten meiner Lieblingsspeisen gehalten, aber wer, wie mein Künstlerfreund, ständig auf der Suche nach neuen kulinarischen Erlebnissen ist, dem sei dieses Gericht unbedingt empfohlen. Solch geschmackliche Abenteuer erlebt man natürlich nur in echten chinesischen Restaurants. In solchen, die auch von echten Chinesen frequentiert werden. Ich spreche also nicht von diesen mit folkloristischen Drachenköpfen überfrachteten Eurasiern, die selten gut besucht sind und wohl eher als Geldwaschanlagen, denn als Spezialitätenrestaurant dienen. Dummes Vorurteil, das mit der Geldwäsche? Mag sein. Aber es fällt mir sehr schwer, mich aufdeckungsjournalistisch weiter in dieses Thema einzugraben. Und ich kann auch nicht beschwören, ob sich unter den nicht-übersetzten Spezialitäten nicht vielleicht doch das ein oder andere Hundeschmorgericht befindet.

Ich bin des Chinesischen nicht mächtig, denn man hat es versäumt, mich frühzeitig an Sprache und Schrift der Chinesen heranzuführen. Ich wäre also auf Übersetzungen angewiesen, deren Qualität ich nicht ansatzweise einschätzen könnte. Ich müsste meine Recherchen auf Informationen aus zweiter und dritter Hand stützen, ohne die Quellen gegen- checken zu können. Man könnte mir alles unterjubeln. Ich wäre ein Spielball der chinesischen Propaganda. Bei der nächsten Elternversammlung werde ich einen Antrag stellen: Chinesisch statt Englisch. Ich werde eine flammende Rede halten, eine Kulturrevolution in der Kita anzetteln. „Lest Ihr denn keine Zeitung, seht Ihr keine Nachrichten?“, werde ich den Tee schlürfenden Zweiflern auf den kakaoverklebten Zwergenstühlen entgegenschmettern. „China ist die neue Weltmacht! Die Chinesen sollen uns mit ihrem Geld aus der Krise helfen, unsere teuren Autos kaufen, in unsere Technologien investieren, den Tourismus in Berlin weiter anheizen. Im Gegenzug werden sie uns Verträge vorsetzen, die aussehen wie die Speisekarte in meinem Chinarestaurant – nur das übersetzt, was uns schmeckt. Wer des Chinesischen nicht mächtig ist, der wird zukünftig nichts zu melden haben. Wollt Ihr, dass Eure Kinder zukünftig nichts zu melden haben?“. Und um englische Spezialitätenlokale sollte man sowieso einen weiten Bogen machen.