Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist über die Freuden des Kartenspiels.
Nun bin ich wahrlich kein großer Freund des geselligen Spieleabends, aber wenn das Wetter so mies gelaunt daherkommt, wie an den letzten Wochenenden, dann ist jede zivilisierte Freizeitbeschäftigung willkommen, die den Nachwuchs für ein paar Stunden von Netflix, Youtube und Co. fernhält. Als mir letztens meine Jüngste, auf die Frage, was wir denn spielen wollen, ein freudig lächelndes „Arschloch!“ entgegenschmetterte, verschlug es mir kurz die Sprache.
Ich wurde dann aber aufgeklärt, dass es sich bei diesem „Arschloch“ nicht etwa um eine Beleidigung, sondern um ein Kartenspiel handele. Tatsächlich hatte das Arschloch sehr schnell meine Sympathien erobert, denn es ist ziemlich einfach gestrickt und für mich sehr schnell zu verstehen. Einst waren es die hochkomplexen Regelwerke, die mich als jungen Menschen davon abhielten, Skat oder das Bayerische Schafkopfen zu lernen.
Und als ich dann endlich bereit gewesen wäre, mich in die Welt der Ober und Unter hinein zu begeben, da hatte keiner meiner spielwütigen Freunde noch Lust, einem begriffsstutzigen Nachzügler wie mir Nachhilfe in dieser Form der Stammtischkultur zu geben. Außerdem hatte ich von ihnen bereits sehr früh die Rolle des Mundschenks zugewiesen bekommen, die ich dankbar annahm, um nicht komplett den Anschluss an die Dorfjugend zu verlieren. In den vielen Stunden, die ich einsam im Schatten der Spieltische zubrachte, hatte ich mir die Fähigkeit angeeignet, zwei Weißbiere gleichzeitig in rekordverdächtiger Geschwindigkeit in die Gläser zu stürzen und mit Schaumkronen zu garnieren, die jeden Food-Designer vor Ehrfurcht hätten erstarren lassen. Einen kleine Funken Respekt brachte mir das immerhin ein.
Mit großer Bewunderung verfolgte ich dann, aus einer Art Kellner-Perspektive heraus, die Spielerkarriere meines Freundes Fred. Bereits als Elftklässler hatte er sich den Zutritt ins Kollegstufen-Café erspielt, wo er fortan auch den Großteil seiner Schulzeit verbrachte, um den älteren Mitschülern beim Schafkopfen ihr Taschengeld abzuknöpfen. Während ich noch einem Schüler-Job nachgehen musste, um mir am Wochenende den Eintritt ins „Far Out“ leisten zu können, konnte Fred mit seinen Einspielergebnissen aus dem Schulkeller schon großzügig Tequila-Runden schmeißen.
Auch sein Studium finanzierte er sich auf diese Weise. Dazu verwandelte sich die Küche unserer Schwabinger Studentenwohnung zweimal im Monat in eine verrauchte Spielhölle. Statt Schafkopfen zockte man nun Poker und es wanderten drei- bis vierstellige Beträge über den Tisch. Fred machte immer einen guten Schnitt, während ich versuchte die erhitzen Gemüter seiner Gegenspieler mit kühlem Weißbier zu beruhigen. Wenn ich nun sehe, mit welcher Euphorie meine Jüngste ihre Trümpfe auf den Tisch knallt, steht zu befürchten, dass auch sie bald den Einsatz erhöhen wird. Und was mache ich dann?
Wie reagiert man als Erziehungsberechtigter, wenn das Töchterchen dem illegalen Glücksspiel frönt?
Das Kartenspielen verbieten? Daran sind schon ganz andere gescheitert. Im März 1376 erließ man in Florenz erstmals ein Verbot gegen diese Form der geselligen Unterhaltung. Ein kläglicher Versuch, all die Übel einzudämmen, die mit dem Kartenspiel einher gehen: Betrügereinen, Verlust von Hab und Gut und natürlich jede Menge Streit, Mord und Totschlag. Kein Verbot, keine noch so mahnende Predigt von der Kanzel konnte die Invasion des Kartenspiels in Europa aufhalten, die mit der Entdeckung Amerikas natürlich auch über den großen Teich schwappte.
Wer, wie ich, mit Zorro, Fuzzy und „Western von gestern“ aufgewachsen ist, der weiß, dass das Kartenspiel, gerade in Bars und Saloons, eine sehr ungesunde Angelegenheit sein kann. Da liegt ganz schnell Blei in der Luft – von den Stickoxidwerten ganz zu schweigen. Davor möchte man sein Kind doch unbedingt schützen. Doch meine Versuche, das Töchterchen für Scrabble zu begeistern, waren bisher nur wenig erfolgreich. Und so warte ich händeringend auf besseres Wetter und spiele solange noch ein paar Runden Arschloch mit der Familie.
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