Vier Wochen Japan mit Baby? Wirklich? Maral und Tilman waren sich einig: Lieber nochmal raus in die weite Welt, solange das Baby auch in fremder Umgebung leicht zu ernähren ist und sich nicht über langweilige Museen und Tempel beschweren kann.
Wie gut sie das Reiseziel ausgewählt hatten, wurde ihnen auf ihrem Trip durch das vielseitige Land schnell klar. Neben unvergesslichen Kultur- und Natureindrücken zeigte ihnen ihre Reise durch Japan, was wahre Kinderfreundlichkeit bedeutet.
„Kawaiiiiii!!
Meine Frau spricht kein Japanisch, aber nach dem ersten Tag in Japan hatte sie dieses Wort drauf. Es würde uns auch nicht wundern, wenn „Kawaiiiiiii“ das erste Wort von Emil werden würde, unserem sieben Monate alten Sohn. Ob in der U-Bahn, im Straßenrestaurant, bei unseren Gastgebern, im Hotel oder einfach im Vorbeigehen, eigentlich bei jeder Gelegenheit blieben Japaner und vor allem Japanerinnen stehen, schnitten Grimassen, lachten, fassten Emil an den Fingern, schauten tief in seine braunen Augen und riefen: „Kawaiiii!!!!!“.
Was so viel wie „süß“ oder „niedlich“ heißt – und je länger das „i“ am Ende des Wortes, desto süßer der Gegenstand der Bewunderung. Bei Emil war es schon sehr lang das „i“, fast wie bei einem Weltwunder. Vielleicht sind wir da als Eltern auch nicht ganz objektiv.
Wie für Babys gemacht
Die Japaner lieben Kinder. Leider machen sie keine. Japan ist eines der Länder mit der niedrigsten Geburtenrate auf diesem Planeten. Vielleicht sind sie deswegen so begeistert, wenn dann doch mal ein Kind auftaucht. Vor allem wenn es (wieder ganz objektiv) so süß ist wie das unsere. Es ist, als wäre Japan für Babys gemacht. Und das hört nicht bei den Örtlichkeiten auf: Windeln sind in Japan fast 40 Prozent billiger als in Deutschland. Komisch, ist aber so. Babykost gibt es in jeder Geschmacksrichtung, und wenn Emil sprechen könnte, würde er sie, seinem Appetit nach zu urteilen, in höchsten Tönen loben.
Und dann ist da die Freundlichkeit der Japaner: Selbstverständlich steht der Japaner an sich in der U-Bahn auf, wenn eine Frau mit Baby im Arm vor ihm steht, selbstverständlich spielen die Frauen im öffentlichen Bad mit dem Kleinen, wenn die Mutter allein ins heiße Wasser steigen möchte und natürlich sind die Böden überall so sauber, dass der Kleine überall dorthin krabbeln kann, wohin seine Neugier ihn treibt. So war schon nach den ersten Tagen klar, wie goldrichtig die Entscheidung war, mit unserer kleinen Familie nach Japan zu fliegen.
Babys als unkomplizierte Reisebegleiter
Meine Frau und ich sind nach Japan gereist, eben weil unser Kleiner noch ein Baby ist. Japan – da ist klar, dass es kein Erholungsurlaub wird, vor allem nicht wenn man der klassischen Route folgt: In Tokio erst Großstadt tanken, dann in Kyoto sich das Auge mit märchengleichen Tempeln und japanischen Zaubergärten vollschlagen und schließlich einen Ort mit wunderbarer Natur suchen, um uralte Wälder zu durchwandern oder einfach nur am Strand zu liegen.
Das war der Plan. Meine Eltern haben das genauso einmal vor fast 40 Jahren mit uns vier Kindern durchgezogen. Ich weiß nicht, wie sie das geschafft haben. Uns wurde schon bei dem Gedanken mulmig, zum Beispiel einen Dreijährigen dabei zu haben, der keine Lust mehr hat zu laufen, das lautstark verkündet, und der viel zu schwer ist, um ihn einfach zu tragen.
Vielleicht wachsen wir ja mit den Aufgaben, aber für den Moment war es uns wohler, mit einem Baby zu verreisen, das sowieso noch nicht laufen kann und dem Tempel und Museen herzlich egal sind, ein Baby, das nur einen Grund für eine Beschwerde kennt: „Hunger!!!!!“.
Goldrichtige Entscheidung
Wir haben unsere Entscheidung nicht bereut. Nicht nur, weil alle Japaner sich in Emil verliebt haben, sondern weil das Reisen mit Baby dort so einfach ist. Mit dem Japan-Railpass, einem Interrail-artigen Zugticket, das es einem erlaubt, für einen begrenzten Zeitraum im Shinkansen mit Hochgeschwindigkeit durch Japan zu düsen, und das auf die Sekunde pünktlich, ohne Reservierung und – natürlich – mit Wickelräumen in jedem Waggon.
Japan
Und das Land! Ach, Japan. Wir würden am liebsten sofort wieder zurückfliegen, es gibt noch so viel zu entdecken. Das fängt schon beim Klima an: Im September, als wir ankamen, überschüttete der Herbst in Hokkaido, der nördlichsten der vier Hauptinseln, das Land schon mit Herbstfarben, während sich im Süden noch die Affen in der Sonne lausten.
Innerhalb von zwei Tagen reisten wir von den Schildkrötenstränden Yakushimas, einer tropischen Insel ganz im Süden mit jahrtausendealten Bergkiefern, bis in die japanischen Alpen. Den einen Tag pflückten wir frische Guaven von den Bäumen und nur zwei Tage später bewarfen wir uns mit dem ersten Schnee. Welches Land kann das schon? Und alles einfach öffentlich mit dem Railpass zu erreichen.
Megacity Tokio
Doch eins nach dem anderen. Angefangen haben wir in Tokio. Über das Internet hatten wir eine Mini-Wohnung in einem Vorort gebucht. Platz für einen Tisch und zwei Stühle oder für die zwei Matratzen, Futons genannt. Abends kommen Tisch und Stühle beiseite und die (ziemlich harten) Futons werden ausgerollt. So passen Esszimmer und Schlafzimmer in denselben Raum. Das ist die erste Erfahrung in Japan: Alles ist mini, schon allein, weil so wenig Platz ist, aber auch weil die Japaner mehr Wert auf das Detail als auf die große Geste legen.
Nachdem wir in den Futons unseren Jetlag ausgeschlafen hatten, ging es nach Tokio, einem wilden Flickenteppich aus hochragenden Skylines, dörflichen Gassen, der meistbelaufenen Kreuzung der Welt in Shibuya (der Führer sagt: bis zu 3.000 Menschen während eines Übergangs) und Gassen, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, wenn ein 100-Jähriger an einem sonnigen Sonntag Morgen leicht zitternd seinen Bonsai gießt. Spannend, aber nur ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen sollte.
Tempelstadt Kyoto
Von Tokio ging es über Nara, einer alten Kaiserstadt mit einem gigantischen Tempel, nach Kyoto, der spirituellen Hauptstadt Japans, mit ganz vielen gigantischen Tempeln, aber auch unzähligen japanischen Gärten, stillen Teehäusern, lauten Marktständen, Restaurants, die seit Generationen von einer Familie betrieben werden – eigentlich mit allem, was Japan so ausmacht.
Wer nur einen Tag für Japan hat: Kyoto sollte es sein. Nirgendwo sonst gibt es so viel zu entdecken, zu schmecken, zu sehen, zu bestaunen, aber auch still zu genießen. Die einzige Stadt auf der Welt, die sich mit Kyoto vergleichen ließe, ist Rom, die große alte Dame. Doch eine Warnung: Es ist heiß. Man wünscht sich eine tragbare Dusche, und wenn man ein Baby vor dem Bauch trägt schwitzen beide, Träger und Baby.
Es ist auch voll. Kyoto ist auf der Liste vieler Touristen ganz weit oben – und China ist nicht weit weg. In China scheint es gerade Mode zu sein, nach Kyoto zu fliegen, sich in Kimonos zu kostümieren und Selfies an den großen Sehenswürdigkeiten zu schießen. Das nervt. Man stelle sich vor, hunderttausende Chinesen würden jeden Tag in München einfallen, sich in Lederhosen und Dirndl kleiden und Fotosessions vor der Frauenkirche, im Englischen Garten und im Hofbräuhaus abhalten. So ungefähr.
Ein Zen-Garten wird so zur Kirmes. Unser Tipp also: Entweder in der Nebensaison reisen, oder aber von den großen Sehenswürdigkeiten nur das wirklich Notwendigste abhaken und sich dann auf die kleinen, aber feinen Dinge zu konzentrieren. Wir hatten einen unserer intensivsten Japan-Momente, als wir allein, nur mit Zikaden als Begleitmusik, in einem verlassenen Garten die müden Füße ausstreckten und der Weihrauchgeruch aus den dunklen Räumen eines Tempels uns in ein anderes Jahrhundert träumen ließ.
Japan ist ein Inselreich
6.852 sollen es nach Prof. Dr. Wikipedia sein. Nach Kyoto ging es auf eine kleinere dieser Inseln, nach Naoshima. Hier hat Stararchitekt Tadao Ando einige eindrucksvolle Museen in die Landschaft betoniert und damit eine Kunstwelle ausgelöst. Inzwischen findet hier alle drei Jahre das Setouchi Art Festival statt. Wir hatten die Popularität dieses Events völlig unterschätzt. Dabei hätten wir es wissen müssen, denn es war schon vorher schwer, ein Dach über dem Kopf zu finden.
Als wir dann endlich ankamen, kamen wir nirgendwo rein, alles war ausverkauft. Touristen aus China (sowieso), Taiwan, Europa, Thailand, Korea – eine lange Reihe von Menschen wandelte auf den Pfaden der Kunst. Es war schön, wir mögen Menschen, wir mögen auch Kunst, aber lieber, wenn wir uns in Ruhe mit ihr unterhalten können. Deswegen waren wir schnell wieder weg.
Yakushima
Jetzt ist Zeit für ein Geständnis: Wir reisen ziemlich ungeplant. Am Anfang haben wir eine Idee, wo wir hinwollen, buchen die ersten Nächte und lassen uns dann treiben. Dadurch ist es manchmal teurer, oft stressiger, aber es ist eben auch Raum für Zufall und Überraschung. Eine dieser Überraschungen war Yakushima. Irgendwo trafen wir Reisende, die uns diesen Ort empfahlen.
Gefangen hatten sie mich mit der Bemerkung, dass die Wälder dieser Insel die Inspiration für den Animationsfilm Prinzessin Mononoke waren, einem absoluten Klassiker der japanischen Filmgeschichte und einem Lieblingsfilm von uns. Also hin. Es sollte sich lohnen. Yakushima ist einer dieser Orte, bei dem man sich überlegt, ob man überhaupt jemandem davon erzählt, weil man ihn eigentlich für sich allein haben will. Aber Freude will geteilt werden, also …
Yakushima ist ein subtropisches Eiland im äußersten Süden Japans, ein kleiner Punkt auf der Landkarte, mit dem Mietwagen hat man es in einem halben Tag umrundet. Doch im Zentrum dieses Miniatur-Paradieses wachsen gewaltige Wälder und in diesen Wäldern haben uralte Zypressen die Zeiten und vor allem die Menschen überdauert.
Die ältesten dieser Zypressen haben sogar Namen, und „Jōmon-Sugi“, der älteste dieser Bäume, quasi der Großpapa, soll bis zu 7.000 Jahre alt sein. Mit Baby im Rucksack sind wir durch diese Wälder gestapft, haben in Wasserfällen gebadet und frittierten Fliegenden Fisch verzehrt. Emil fand es wohl ziemlich langweilig, er schlief die meiste Zeit.
Für ein Highlight mussten wir ihn allerdings wecken: den Berghüttenwickelraum. Ja, richtig gelesen. Eine Wanderhütte, nur aus Holzbohlen zusammengezimmert, deren einziger Zweck es war, eine Wickelumgebung für das Baby zu schaffen. Wir waren baff.
Frisch gewickelt ging es mit einem wieder schlafenden Baby weiter, wir Eltern genossen die urwüchsige Landschaft, vor allem weil wir Sonnentage erwischt hatten,was man in Yakushima, einem der feuchtesten Orte der Erde, durchaus als Glück bezeichnen kann. Abends sprangen wir dann ins Meer, aßen frische Tropenfrüchte direkt vom Baum und waren einfach nur glücklich. So schön kann Leben sein.
Die japanischen Alpen
Für die letzten Tage sind wir dann in die japanischen Alpen gefahren, frei nach dem Motto: aus den Tropen in den Schnee. So war es dann auch, allerdings mit einer kleinen Überraschung. Die Überraschung trug den seltsamen Namen „Hagbis“ und lebte sein kurzes Leben als 19. Taifun der Saison. Ein Supertaifun. Wir hörten von ihm und dachten, wenn wir uns an den Westrand Japans verziehen, wird er sich abregnen, bevor er uns einholt. Weit gefehlt.
Abends kamen wir mit dem Shinkansen in Iiyama an, einer kleinen Stadt auf dem Weg in die Berge. Unser Gastgeber holte uns vom Bahnhof ab und fuhr uns in unsere Bleibe am Rand des Tales. Es regnete in Strömen. Der Regen trommelte mit tausenden kleinen Fäusten auf das Dach unseres Schlafzimmers. Es war fast beängstigend, aber auch irgendwie romantisch. Wir schliefen ein. Als ich am nächsten Morgen für den obligatorischen Morgen-Jogg aus dem Haus trat, war vom Tal nichts mehr da.
Unter uns lag eine riesige Wasserfläche. Der Fluss war über die Ufer getreten, die Felder lagen unter Wasser, ein paar Häuserdächer ragten heraus, Straßen verschwanden im Nichts. Gleichzeitig spiegelten sich die Strahlen der ersten Sonne auf den weiten Wasserflächen, die wie ein unendlicher See zwischen den Bergen spiegelte. Es hatte etwas gleichzeitig Apokalyptisches und unirdisch Schönes. Danach saßen wir noch zwei Tage fest. Das war okay, ständiges Herumreisen kann ganz schön schlauchen. Wir schliefen die meiste Zeit.
Ausklang
Ganz am Ende fuhren wir nach Hakuba, einem Dorf, das erst später, in der Skisaison, beginnt überhaupt zu leben, perfekt für eine Wanderung in den Bergen. Das ist in Japan supereinfach, denn alle Wege sind hervorragend beschildert. Irgendwer hat außerdem den Japanern erzählt, dass es wohl sicherer sei, eine kleine Glocke an den Rucksack zu hängen, für den Fall das man sich den Fuß umknickt oder trotz Beschilderung verloren geht. Die Folge ist, dass anders als in den Alpen nicht die Kühe bimmeln, sondern die Menschen. Man geht also nicht verloren.
Die größte Gefahr ging von den Blättern aus, die Emil von seinem erhöhten Sitz im Rucksack pflückte und sich mit Vergnügen in den Mund stopfte. Aber auch dieses Problem ist beherrschbar. Japan verabschiedete sich mit einem strahlend blauen Himmel, einer Herbstsonne, die durch rote und goldene Blätter schien und einem Bergsee, der standesgemäß funkelte. An diesem, wie an jedem anderen Ort, den wir vorher besucht hatten, wären wir gerne geblieben.
Einziger Wermutstropfen
Der einzige, der uns wirklich leid tat, war unser Sohn Emil. Er wird sich später an nichts erinnern können. Nicht an den Töpferkurs in Bizen, einem Dörfchen, in dem seit weit über tausend Jahren Japans schönste Keramik gebrannt wird, nicht an die Wanderungen durch die Tempelbezirke Kyotos, nicht an das Abendessen mit frittiertem Fliegendem Fisch oder handgemachten Soba-Nudeln, serviert von einer 94-jährigen Köchin.
Er wird sich höchstens die Fotos ansehen können: Wie er zwischen Berggipfeln unter freiem Himmel einer heißen vulkanischen Quelle plantscht, während leiser Nieselregen die Köpfe kühlt, wie er in der Tokioter U-Bahn mit zwei jungen Schönheiten im Kimono flirtet, oder bei Wanderungen einfach in seinem Rucksack pennt – alles das wird er nochmal erleben müssen. Er wird also nochmal hinfahren müssen, mit uns Eltern als Teenager oder als Erwachsener. Aber eines weiß ich: Wen das Japan-Fieber erst einmal erwischt hat, der wird es sein Leben lang nicht mehr los.
Tipps: Japan mit Baby
Japan ist, vor allem in den Hauptorten, sehr einfach zu bereisen. Mit dem Japan Railpass kommt man überall hin, und das auf die Sekunde pünktlich. Man sollte ihn vor der Reise buchen. Es gibt in Deutschland eine ganze Reihe von Vertriebspartnern, einfach im Internet nachschauen. Der Japan Railpass ist ziemlich teuer und man sollte sich vorher überlegen, ob es auch wirklich sinnvoll ist, ihn zu kaufen. Wenn man ihn aber hat, gibt er einem die Flexibilität, die das Leben so schön macht.
Alles andere lässt sich völlig unproblematisch vor Ort regeln. In keinem Land der Welt wurden uns so schnell und so präzise die Wohnungsanfragen beantwortet, die Wegbeschreibungen geschickt und Fragen nach Restaurants, Sehenswürdigkeiten etc. beantwortet. Sich in eine Wohnung einzumieten, hat vor allem den Vorteil, dass die Japaner, mit denen man dabei zu tun hat, in der Regel gut Englisch sprechen. Das ist nicht immer selbstverständlich.
Vor allem: Fahrt mit Baby! Selbst der müdeste Japaner beginnt in der U-Bahn alberne Faxen zu machen, um ein Lächeln auf das Babygesicht zu zaubern. Es gibt überall Babynahrung in tausend verschiedenen Geschmacksrichtungen, Wickelräume sogar in den Bergen und die Windeln sind billiger als bei uns. In der Bahn stehen die Japaner schneller auf als die Eltern gucken können und Hilfsbereitschaft in jeder Lebenslage ist selbstverständlich.
Ansonsten: Hinfahren, entdecken und genießen!