In Deutschlands einzigem Wettermuseum, eine Stunde von Berlin entfernt, können Kinder und Jugendliche mit allen Sinnen Wetter erleben – und lernen, wie sich dieses gerade grundlegend verändert.
Die Kinderaugen werden immer größer, je mehr sich der Wetterballon aufbläht. Aus einer Vorrichtung strömt Helium in den Latexballon hinein, der sich zur Größe eines Tennisballs ausdehnt, eines Fußballs, eines Medizinballs, eines Sitzballs.
Claudia Lehmann schnürt ein weißes Kästchen von der Größe einer Fernbedienung ans Ende des Ballons, die Mess-Sonde. Die technische Assistentin vom Deutschen Wetterdienst in Lindenberg trägt den schwebenden Ballon aus der Halle, auf die Wiese hinaus – und lässt los. Der Ballon wirbelt in die Höhe, bis er sich nach wenigen Minuten nur noch als Punkt vor der Wolkenwand abzeichnet. „Wow, der ist ja richtig klein“, ruft Marie (8). „Der wurde doch gerade erst losgelassen!“ „Ist der jetzt im Weltall?“, fragt Jaro (4)
Auch für die anwesenden Eltern der Kinder mag es erstaunlich klingen, dass noch im Jahr 2025 auf diese Weise Wetter gemessen wird. Während der Ballon in die Brandenburger Luft aufsteigt, zeichnet die Radiosonde fortwährend Temperatur, Feuchte und Wind bis in 30 Kilometern Höhe auf. Irgendwann hat sich der nach Osten fliegende Ballon durch den abnehmenden Luftdruck so weit ausgedehnt, dass er platzt. An einem Fallschirm wird die Sonde hinabgleiten bis in die polnischen Wälder. Viermal am Tag passiert das hier, genauso wie an rund tausend weiteren Orten rund um die Welt.
Es ist ein heißer Tag Ende Juni, bis zu 29,2 Grad Celsius zeichnen die Thermometer der Messstation in Lindenberg auf, drei Tage später sollen es laut Vorhersage sogar 38 Grad Celsius werden. „So heiß!“, stöhnt Antoni (8), der wie die anderen Kinder ordentlich schwitzt. Ist das noch Wetter oder schon Klima? Und sind das Bedingungen, an die wir und vor allem unsere Kinder uns gewöhnen müssen? Antworten findet man hier, im Wettermuseum Lindenberg.
Wer Berlin Richtung Osten verlässt und über eine von der Eiszeit geformte Hügellandschaft fährt, erreicht nach knapp einer Stunde Deutschlands einziges Wettermuseum. Hinter einem Flachbau stehen Messinstrumente auf der Hofwiese, daneben ein Windenhäuschen und eine Halle, in der es nach altem Holz riecht und in der Messdrachen hängen.
Ist das noch Wetter oder schon Klima? Und sind das Bedingungen, an die wir und vor allem unsere Kinder uns gewöhnen müssen?
2006 hat ein Verein das Museum gegründet, nachdem es einem Meteorologen des angrenzenden Observatoriums des Deutschen Wetterdiensts um die alten Messinstrumente leid tat, die aussortiert werden sollten. Diese lassen sich nun auf dem Gelände des Wettermuseums besichtigen.
Aber nicht nur für Technikliebhaber:innen hat das Museum etwas zu bieten: Kinder können hier das Wetter sehen, hören, fühlen und sogar schmecken. Dank EU-Fördergeldern ist eine kleine Erlebniswelt entstanden: Im Haupthaus laufen Erklärvideos, auf Bildschirmen erfahren Kinder und Jugendliche interaktiv, wie sich Wolken, Regen und Gewitter bilden, wie Wetterkarten entstehen und wie aus Wetter Klima wird.
„Hallo liebe Kinder!“, sagt ein Mann im Hawaiihemd mit grauem Bart. Thorsten Lemke, der Museumsführer. Er begleitet die sechs Kinder zu einem Zaun, der mit Zahlen beschriftet ist. Jede Zaunlatte ist unterschiedlich hoch und bildet eine Jahrestemperatur von Lindenberg seit dem Jahr 1907 ab.
Mal werden die Latten kleiner, mal größer, aber in der Tendenz nimmt ihre Höhe immer mehr zu. Lag im ersten Messjahr die örtliche Durchschnittstemperatur noch bei acht Grad Celsius, so erreichte sie 2024 den Spitzenwert von 11,7 Grad. Bis Ende des Jahrhunderts, so steht es auf einer abseits stehenden Latte, könnten es 12,8 Grad Celsius werden.
Übers Jahr gemittelte Werte wohlgemerkt; Hitze-Extreme wie an diesen Tagen gerade messbar, werden im Sommer immer häufiger – und irgendwann werden sie dann wiederum zur Ausnahme, einer kalten Ausnahme.
Die Latten am Klimazaun werden mal kleiner, mal größer, aber in der Tendenz nimmt ihre Höhe zu.
Erstmal Schatten suchen im alten Ballonhaus. Lemke stellt die Messdrachen vor, die Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt wurden: Gestelle aus Holz und Tuch, die mit der Zeit immer raffinierter konstruiert wurden. Einst hielt ein Draht die Drachen fest. Der aber riss häufig ab.
Ein Fortschritt boten die Wetterballons, die losgelöst bis in die Stratosphäre entfliegen durften. Lemke erklärt an einer Schautafel Aufbau und Funktion. Die Ballons messen die Struktur der Atmosphäre über Lindenberg, so genau, wie es selbst moderne Satellitenmessungen nicht hinkriegen. Dann führt er zu einem Bildschirm, wo die Kinder den Aufstieg eines Wetterballons im Zeitraffer verfolgen können (ehe sie das später auf dem Hügel neben dem Gelände selbst miterleben).
Auf dem Bildschirm hebt der Ballon ab, die Gebäude und Bäume darunter schrumpfen zusammen, ehe das fliegende Messgerät die Wolkenschicht durchbricht. Von 29 Grad Celsius am Boden fallen die Temperaturen auf unter minus 30 Grad Celsius in 7.000 Höhenmetern. Dann beginnt die Zone eines Höhenwinds, den vor rund 100 Jahren der deutsche Meteorologe Johannes Georgi ebenfalls mit einem Wetterballon entdeckt hatte. Mit bis zu 500 Stundenkilometern bläst dieser von West nach Ost um die Nordhalbkugel herum. Dabei schiebt er Hoch- und Tiefdruckgebiete vor sich her und erzeugt auf diese Weise unser Wetter.
Hochdruckgebiete nisten sich ein und bauen Extremwetterlagen auf. Aus ein paar heißen Tagen wird eine Hitzewelle.
Seit wenigen Jahrzehnten, so haben Klimaforscher:innen beobachtet, verliert dieser Jetstream im Sommer an Kraft, gerät häufiger ins Schlingern und bildet große Wellen aus, die sich manchmal gar nicht mehr vom Fleck bewegen. Dann nisten sich Hochdruckgebiete ein und bauen sich Extremwetterlagen auf. Aus ein paar heißen Tagen wird eine Hitzewelle.
Manche Klimatolog:innen gehen davon aus, dass solche Blocklagen infolge des Klimawandels häufiger werden, allerdings beginnen diese erst, den Jetstream und seine Wechselwirkung mit dem Klimawandel zu verstehen.
Finnische Atmosphärenforscher:innen resümierten kürzlich in einer Studie: „Es besteht weiterhin erhebliche Unsicherheit darüber, wie das europäische Klima auf eine Erwärmung reagieren wird.“ Ein bemerkenswerter Satz, heißt das doch: Die Kinder von heute erwartet eine Klima-Zukunft, die höchst ungewiss ist. Nur eines ist klar: Das Wetter wird extremer.
Museumsführer Lemke verlässt das Museumsgelände, überquert eine Straße und führt die Kinder einen 120 Meter hohen Hügel hinauf. Hier thront das Meteorologische Observatorium Lindenberg. Ganz oben befindet sich die Ballonhalle, wo sich der Wetterballon mit Helium füllt. „Hier stand der Kaiser“, sagt Lemke und deutet auf eine Ecke der Halle. 1905 war das, als Wilhelm II. in Luftschifffahrtsuniform das Königlich-Preußische Aeronautische Observatorium zusammen mit dem Entdecker der Stratosphäre, Richard Aßmann, eröffnete. Letzterer ist Namensgeber der heutigen meteorologischen Beobachtungsstation, in der über 60 Mitarbeiter:innen das Wetter vorhersagen und die Veränderungen in der Atmosphäre erforschen.
Während der Wetterballon außer Sicht gerät und bis in die Stratosphäre aufsteigt, trottet die Gruppe wieder hinab nach Lindenberg. Die Wolken ziehen sich zusammen, verdunkeln sich. Es beginnt zu regnen, als die Kinder ein Weizenfeld passieren. Schnell zurück ins Museum.
Die zweite Stufe des Klimawandels
Als böte der Klimawandel, wie wir ihn heute schon beobachten, nicht bereits genug Herausforderungen mit Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und Waldbränden, so lauert dahinter noch eine weitere Stufe: keine graduellen Veränderungen mehr, sondern abrupte und großflächige Umbrüche im Klimasystem. Die Rede ist von Kipppunkten im Klima.
Im Haupthaus des Museums können sich Besucher:innen per Knopfdruck darüber informieren. In einem Film taucht ein Wasserglas auf, das langsam an einen Tischrand gedrückt wird, bis es den Punkt erreicht hat, an dem ein kleiner weiterer Stoß genügt, dass es kippt, herunterfällt und am Boden zerplatzt. Ähnlich würden auch Elemente in unserem Klimasystem funktionieren, etwa der Grönländische Eisschild, erklärt ein Museumsmitarbeiter im Video. Erwärmen sich immer höhere Luftschichten und sinkt die Oberfläche des Eispanzers zugleich nach unten in wärmere Luftschichten hinab, beschleunigt sich die Eisschmelze immer mehr, bis sie sich nicht mehr aufhalten lässt. Aus Eis wird Wasser, über Jahrhunderte hebt sich der Meeresspiegel und ganze Küstenstädte versinken.
Ähnlich sieht es im Falle anderer Großsysteme auf der Erde aus, sei es der Westantarktische Eisschild, die tropischen Korallenriffe, der Amazonas-Regenwald: Für alle erscheint ein Kippen inzwischen möglich oder sogar wahrscheinlich, da es der Menschheit bis heute nicht gelungen ist, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken. Mehr dazu im Buch „Am Kipppunkt. Wo das Klima zu kollabieren droht – und wie wir uns noch retten können“.
Zugegeben: Für die Kinder ist das ziemlich viel Realitätsbewältigung, zumal für einen netten Ausflug am Wochenende. Die jüngeren suchen sich im Informationsraum des Wettermuseums, wo Wetterkarten und Meteorologie-Bücher ausliegen, aber ohnehin andere Dinge: Sie knuddeln ein Eisbärkuscheltier, drücken auf Knöpfen herum, ziehen Schubladen auf und rennen dann zurück in den Hof, um ein Eis zu schlecken. Für sie ist Wetter, egal wie heftig es bereits ausfällt, noch einfach nur das: Wetter.
Zwei Achtjährige spielen an einem Bildschirm aber zumindest schon mal das Klima der Zukunft durch. Wer weiß, was sie schon mitbekommen? Vielleicht mehr, als man denkt. 80 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben schon mal etwas vom Klimawandel gehört, ergab voriges Jahr eine repräsentative Umfrage des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen.
Von den über Zehnjährigen hatten immerhin 60 Prozent bereits fundierte Kenntnisse über den Klimawandel. Acht von zehn wollten mehr über den Klimawandel wissen. „Wenn das Wetter oder die Natur sich verändert, dann ist das nicht gut“, sagt zum Beispiel Antoni.
In der alten Ballonhalle auf dem Museumsgelände dürfen die Kinder nun Wetter raten. Barocke Geräuschmaschinen stehen verteilt, Holzapparate fürs Theater. An einem kurbelt man eine Trommel an, die mit einem Tuch bespannt ist („Wind!“, rufen die Kinder). In einem anderen rinnen Maiskörner eine Schräge hinab („Hagel!“, „richtig“, sagt Lemke – und „nein, kein Spargel!“, korrigiert er ein herumalberndes Kind).
Zuletzt hängen sich alle Kinder gemeinsam an zwei Halbkugeln, die aufeinander pressen und in dessen Innern Vakuum herrscht. Allein der äußere Luftdruck hält sie zusammen – und selbst sechs zappelnde Kinderkörper bringen sie nicht auseinander. Das Gewicht der Atmosphäre, es lastet genauso auf der Kugel wie auf den Schultern der Kinder.
So schnell der Regen gekommen ist, so schnell ist er auch wieder vorbei. Die Kinder rennen hinter Lemke in den Hof, wo er eine vorgewärmte und eine eisgekühlte Colaflasche aufschraubt und zwei Freiwillige jeweils ein paar Mentos in sie hinein plumpsen lassen dürfen. Die Kinder juchzen, als aus der ersten Flasche eine dunkelbraune Fontäne unterm Druck der aufsteigenden Kohlensäure in die Luft schießt, und mit etwas Verzögerung auch aus der zweiten, wenn auch nicht ganz so hoch.
Lemke will damit auf die Erwärmung der Ozeane aufmerksam machen. So ist etwa das Mittelmeer in diesen Tagen mancherorts ganze fünf Grad zu warm, was sich auch auf die angrenzenden Länder wie Spanien und Italien auswirkt, die im Frühsommer bereits besonders unter Hitze leiden. Umso wärmer die Meere werden, umso mehr CO2 würden sie auch abgeben, erklärt der Museumsführer, da die Löslichkeit von Gasen mit der Temperatur abnimmt.
Fragt man später die Kinder, was den meisten Eindruck auf sie gemacht hat, erhält man immer die gleiche Antwort: „Die sprudelnde Cola!“ Dabei leuchten die Augen.
Wissen hilft gegen Angst, um die Klimakrise besser einordnen zu können.
Auch wenn die meisten Kinder mehr über den Klimawandel wissen wollen, so gilt das nicht für alle: Ein gutes Viertel der Befragten in der erwähnten Umfrage erklärte, nicht über den Klimawandel nachdenken zu wollen, weil sie das traurig mache. Was können Eltern da tun? Wissen helfe gegen die Angst, empfehlen die Studienautor:innen. Dann können Heranwachsende die Klimakrise besser einordnen.
Also: Die Ängste der Kinder ernst nehmen, mit ihnen über den Klimawandel reden, über die Folgen der Erderhitzung, aber auch darüber, dass es Möglichkeiten gibt, etwas dagegen zu tun. Das gilt selbst für die drohenden Kipppunkte im Klima: Auch wenn sich erste Umwälzungen von Teilen des Erdsystems wahrscheinlich gar nicht mehr verhindern lassen, so bedeutet das nicht den Weltuntergang.
Die gute Nachricht ist: Wir sind nicht machtlos. Das Klima entgleitet uns nicht vollends wie ein davon schwebender Wetterballon.
Wettermuseum Lindenberg
Herzberger Str. 21, 15848 Tauche, OT Lindenberg
7 Euro für Erwachsene, 5 Euro für Kinder. So-Do, jeweils 10:00-16:00 Uhr
wettermuseum.de
Am 05. Juni 2025 erschien das Buch „Am Kipppunkt. Wo das Klima zu kollabieren droht – und wie wir uns noch retten können“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Die Wissenschaftsjournalisten Benjamin von Brackel und Toralf Staud schildern darin die Erforschung der Kipppunkte, ihre möglichen Folgen und die Kontroversen der Fachwelt.
Die Autoren nehmen die Leser:innen mit auf eine Reise zu den wichtigsten Kippelementen im Erdsystem: von den eisigen Landschaften der Pole über die Warmwasserheizung Europas bis zum Amazonas-Regenwald. Am Ende weiß man, welche Kipppunkte einem tatsächlich Sorge bereiten sollten. Und man erfährt, wie wir uns und unseren Kindern noch eine lebenswerte Welt bewahren können.