Was vor einem Jahr als eine spontane Idee mit viel Idealismus begann, hat nun seine sommerliche Einweihung gefunden. Wir waren beim Nachbarschaftsfest des sich frisch gründenden Gartenkollektivs Peace of Land im Pankower Blumenviertel dabei.
Wir kennen Gemeinschaftsgärten in Berlin. Viele von uns sind schon mit staunenden Augen durch die üppigen Prinzessinnengärten gelaufen, ein paar Schritte von Kreuzbergs größtem Kreisverkehr. Oder durch die halb-anarchischen Hochbeetlabyrinthe auf dem Tempelhofer Feld, im Blick die immer ausgerollte Asphaltzunge der alten Landebahn. Am schönsten sind diese Orte natürlich, wenn die Blumen aus den buntbemalten Holzkisten schießen, die Bienen ihren Flug durch Klee und Kirschblüten anstimmen, alles blüht und duftet – man möchte am Rand der Beete Platz nehmen und den Pflanzen seufzend beim Wachsen zusehen. Irgendwo dreht sich ein Windrad, Kinder toben auf der Wiese, Väter in Unterhemden schleppen schwappende Gießkannen heran – soweit das Idyll.
Mit Muskelschmalz und Kreativität
Doch dem Bewunderer dieser urbanen Paradiese sei gesagt: Ein Gemeinsachaftsgarten entsteht nicht von allein. Die städtische Spontanvegetation besteht meist aus ungeliebtem Unkraut (obwohl auch dieses, wie man weiß, nicht ohne Reize ist). Rosenbeete, Bienenkästen, Sonnenterrassen, Schaukelstühle hat jemand in kleinteiliger Arbeit herangeschafft, gezimmert, erdacht. Dieser kontinuierliche Prozess aus Muskelschmalz und Organisationsaufwand bleibt dem spontanen Spaziergänger meist verborgen. Wir hatten die Gelegenheit, bei den Geburtsmomenten eines entstehenden Gartenprojektes dabei zu sein. Denn der Gemeinschaftsgarten Peace of Land im nördlichen Prenzlauer Berg ist gerade dabei, sein Netzwerk zu formieren und die ersten Knollen in die Erde zu bringen.
Die Nachbarn haben vorgemacht, dass man sich etwas trauen sollte: Hier erntet der Berliner Riesling Verein echten Berliner Wein. Zur anderen Seite steht die Grundschule im Blumenviertel, deren Klassen hier bald einen Gartenkurs bekommen könnten, falls die Schule nicht eigene Ansprüche auf das Gelände anmeldet. Hinter einer großen Mauer stehen die ersten Einfamilienhäuser der ausfransenden Berliner Innenstadt. Das Großstadttuckern verschwindet ganz, wenn man hier durch die kniehohen Gräser streift, es sich unter dem wilden Mirabellenbaum gemütlich macht oder in einer sonnenbeschienenen Ecke ein Gespräch mit Muße führt, die man sonst zwischen Eisladenschlange und Fahrkartenautomat nicht aufgebracht hätte.
Gemeinsam gestalten
Das Frühlingsfest am vergangenen Samstag stellt die erste öffentliche Begehung und Vorstellung des Projektes dar. Während die eintrudelnden Unterstützer das Buffett befüllen, bemessen neugierige Nachbarn mit vorsichtigen Schritten die Größe des Geländes. Noch ist hier alles ungezähmt und gewachsen, wo der Wind es hingetragen hat. Die Kinder verstehen sofort den Wert einer solchen Freifläche, nehmen Besitz vom Hängemattenhügel und dürfen an der grauen Mauer die Pinsel ansetzen.
Die beiden leidenschaftlichen Permakultur-Anhänger Elisabeth und Stefan, die gemeinsam mit ihrer Mitstreiterin Julia lange Nächte über dem zukünftigen Design der Anlage gebrütet haben, führen nun über das Gelände, angefangen bei der Containerbaracke am Eingang. „Vor ein paar Monaten war hier noch alles voller Müll. Wir haben angefangen, die giftige Glaswolle rauszureißen und die Räume zu entrümpeln, die wir nicht nur als Regenzuflucht nutzen wollen, sondern auch als Seminarräume, als Küche und langfristig als sozial engagiertes Bildungszentrum für Permakultur“, erklärt Stefan, um die Vorstellungskraft der Zuhörer angesichts des noch etwas trostlosen Gebäudes aufzumischen.
Peace of Land wird eine Lern- und Begegnungsstätte
Überhaupt ist vieles hier erst in der Vision vorhanden. Damit ist der wichtigste Schritt aber schon getan. Leider ist die bisherige Nutzungssituation recht prekär, der feste Kern der Gruppe wendet die monatliche Pacht selbst auf, der Nutzungsvertrag hat so einige vertrackte Klauseln – keine optimale Voraussetzung. Doch der Wille ist groß, aus diesem jahrelang vernachlässigten Areal eine einladende Lern- und Begegnungsstätte zu machen, für Familien, Permakultur-Adepten, Flüchtlinge, Nachbarn und alle Interessierten.
Derweil führt uns Elisabeth durch die Pflanzenwelt des Klein-Biotops. Wir entdecken wilde Rosen zwischen Ahornschösslingen, von den Eichhörnchen ausgesäte Walnussbäumc und rankenden Hopfen. „Diese Ecke hier soll dem Wildbewuchs überlassen bleiben“, erklärt sie in Hinblick auf den anstehenden Gartenbau, „während da ein Gewächshaus für Tomaten gebaut und die Wiese in einen Gemüseacker verwandelt wird.“ Eine Vierjährige hat zwischen den Füßen der Herumstehenden eine Pusteblume entdeckt und beginnt schonmal mit der Aussaat.
Mitgärtner und -gärtnerinnen gesucht
Für das, was den beiden vorschwebt, braucht es aber noch mehr helfende Hände. Auf Dauer kann die jetzige Gruppe von etwa 15 Leuten weder den Arbeits- noch den finanziellen Aufwand alleine stemmen. Mehr Zulauf lässt hoffentlich nicht lange auf sich warten, denn vor dem inneren Auge einiger Besucher werden die Tomaten schon geerntet – auch wir träumen diesen Traum. Im Zuge eines Permakultur-Workshops am vergangenen Wochenende wurde ein erster Kartoffelacker angelegt: „Ich halte nichts vom Umgraben“, deutet Elisabeth auf die am Boden ausgebreitete Pappe, „das stört die Kleinstorganismen in der Erde. Wir machen den Boden urbar, indem wir mit Karton und Grünschnitt mulchen. Die Kartoffeln sind ein idealer Vorbereiter für anderes Gemüse.“ Karton als Mulch, erstaunte Blicke – sich mit den Prinzipien der Permakultur einzulassen, bedeutet großmütterliches Wissen wiederzuentdecken oder zu überdenken.
Ebenso gewöhnungsbedürftig wie sinnvoll ist das Kompostklo, wie Stefan erklärt: „In China haben früher die Bauern an den Handelsstraßen Toiletten aufgestellt. Ein gutes Geschäft. Die Durchreisenden bekamen ein stilles Örtchen und die Bauern einen vollen Eimer mit kostenlosem Dünger.“
Jeder trägt das bei, was er möchte und hat
Das Gelände hat bisher weder Strom- noch Wasseranschluss. „Es ergibt sowieso wenig Sinn, Trinkwasser das Klo hinunterzuspülen“, findet Elisabeth. Die Toilette, eine bequeme Bretterbude mit speziellem Sitz, trennt Flüssiges von Festem, so fängt nichts an zu stinken. „Natürlich kommt das nicht einfach aufs Beet. Wen’s interessiert, dem erkläre ich gerne die Prozedur genauer.“ Uns interessiert’s, aber wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel verraten.
Das Projekt birgt eine Menge Mitmachpotential, und sei es nur, dass man Nährstoffe mitbringt. „Alle Nachbarn sind herzlich eingeladen, ihren Grünschnitt dazulassen“, ruft Stefan in die Runde – Kompost, das Gold des Gärtners. Außerdem gibt es noch jede Menge Hochbeete zu zimmern, gesucht werden Hobby-Imker und Menschen, die Holz und Werkzeug zur Verfügung stellen können. „Über Selbstversorgung und Biodiversität hinaus ist Permakultur nicht zuletzt auch eine soziale Erfahrung. Der zwischenmenschliche Austausch ist der wahrscheinlich spannendste Teil unseres Projekts“, weiß Elisabeth aus ihren bisherigen Erfahrungen von Plena und Gartentagen zu berichten.
Jeder ist willkommen etwas beizutragen. Und viele sind der ersten Einladung gefolgt: Am Schminktisch werden die Kinder in Fabelwesen verzaubert, der Erich-Fried-Chor gibt ein Ständchen mit Tom Waits a cappella und auf dem Feuer köchelt im 15-Liter-Topf schon das Abendessen. Wir merken gleich, hier herrscht ein guter Geist. Wer Lust hat, Urban Gardening nicht nur als Berliner Postkartenmotiv zu erleben, sondern sich in das beginnende Abenteuer einer wachsenden Gemeinschaft mit gesund-dreckigen Fingernägeln zu stürzen, kommt am besten an einem der anstehenden Gartensamstage vorbei.
Der wunderbare Erich-Fried-Chor gibt übrigens ein weiteres Konzert, bei dem alle Spenden zugunsten des Gartenprojektes gehen: Samstag, 15. Juli, 18 Uhr in der Samariterkirche, 10247 Berlin-Friedrichshain
Peace of Land Gemeinschaftsgarten, Am Weingarten/Sigridstraße, 10407 Berlin-Prenzlauer Berg, www.peaceof.land
Text und Fotos: Adrian Grunert