Bloß keinen (Weihnachts-) Stress!

Tina Dauster, leitende Redakteurin der aktuellen WDR-Ratgebersendung "Raus aus dem Stress", hat sich intensiv mit dem Thema Stress auseinander gesetzt. Für unsere HIMBEER-Leser hat sie uns dazu ein paar Fragen beantwortet und vor allem ein paar hilfreiche Tipps parat – sehr zu empfehlen nicht nur für die Weihnachtszeit!

Besonders jetzt, wo wieder Weihnachten bevorsteht, wächst er uns oft über den Kopf – der Stress. Für mindestens einen Monat verwandeln sich (die meisten) Eltern zusätzlich, neben dem Alltagsleben, in Geschenke-Jäger und Wunscherfüller. Trotz jährlichen Absprachen à la „Dieses Jahr kriegen wirklich nur die Kinder etwas.“ bleibt der Stress: Wo wird mit wem wann gefeiert, was wird gegessen und wo kriegt man bloß all die schönen Sachen her?

Woran liegt das? Vielleicht auch daran, dass wir so oft den Wunsch haben, dass alles perfekt sein soll. Kekse backen und Geschenke basteln, natürlich alles selbstgemacht! Warum lassen wir uns eigentlich stressen und was für Ideen gibt es aus der Stressfalle wieder heraus zu finden?  Stress ist aber natürlich auch über Weihnachten hinaus für sehr viele Menschen ein Thema.

Wir haben eine Expertin gefragt, die sich damit auskennt. Die Fernsehjournalistin Tina Dauster hat sich für den TV-Mehrteiler „Raus aus dem Stress“ sehr ausgiebig mit dem Thema beschäftigt und über mehrere Monate sechs Menschen und ihren Stress begleitet. Da lag es nahe, ihr ein paar Fragen zum Thema zu stellen.

 

Ab wann ist man zu gestresst? Ab wann nur erschöpft, ab wann krank? Was sind die wichtigsten Alarmzeichen?
Stress ist nicht gleich Stress: Ein kleiner Adrenalinschub von Zeit zu Zeit weckt die Lebensgeister und bringt das Immunsystem in Schwung. Problematisch wird es, wenn der Stress kein Ende nimmt: Dann zehrt er an den Nerven und auch an den Abwehrkräften. Anzeichen hierfür können erhöhte Reizbarkeit, depressive Verstimmung, Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit, Schlafstörungen, Schmerzen, wiederkehrende Erkältungen und Erschöpfungszustände sein. Als Faustregel gilt: wenn diese Symptome über einen Zeitraum von drei Wochen anhalten – also massiv und dauerhaft auftreten –  sind sie als Alarmzeichen zu werten.
Und: Wenn man sich nach Ruhephasen (Schlaf, ruhiges Wochenende) genauso gerädert fühlt wie vorher, kann das darauf hindeuten, dass der Körper Schwierigkeiten hat sich zu regenerieren. Wichtig ist also eine gesunde Balance zwischen Anspannung und Entspannung.

 

Im chaotischen Familienalltag ist Stress vorprogrammiert. Welche alltäglichen, schnell umsetzbaren Tricks und Tipps hast du für unsere Leser um Stress im Alltag vorzubeugen?
1.: Statt immer gleich auf alles und jeden zu reagieren: Innehalten, dreimal tief durchatmen und sich sagen: „Alles geht vorbei!“

2.: Die eigenen Ansprüche runterschrauben, auch mal fünfe grade sein lassen. Die Welt geht nicht unter und unsere Kinder nehmen keinen Schaden, wenn mal nicht alles perfekt läuft.

3.: Eine Sache nach der anderen erledigen – Multitasking ist eine tolle Fähigkeit, kann aber auch Stress erzeugen.

4.: Entspannungstechniken (z.B. Meditation, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, autogenes Training) anwenden oder einfach mal einen zehnminüten Powernap einlegen. Es ist wichtig, diese Entspannungsrituale schon in „guten Zeiten“ zu kultivieren und in den Alltag zu integrieren, nicht erst, wenn man bis zum Hals im Stress steckt. Die Ausrede: „Dafür habe ich aber keine Zeit!“ gilt nicht – zehn Minuten reichen und bringen enorm viel.

5.: Gedanken bewusst wahrnehmen: wenn wir gestresst sind, neigen wir zu negativen Gedanken, die noch mehr Stress in uns erzeugen („Immer muss ich alles machen.“, „Mein Mann, meine Kinder nehmen keine Rücksicht auf mich…“). Sobald negative Denkmuster auftreten, hilft es, diese bewusst wahrzunehmen. Man kann sich innerlich sagen: „Aha – da ist sie wieder, die Wut, der Ärger, das Getrieben sein… Hallo, Wut! Hallo Ärger!“
In der Meditation nennt man diese Technik „Etikettieren“ – man gibt dem Gefühl ein Label. Dafür braucht man keine Meditationskissen und keine Räucherstäbchen – man kann sie innerhalb weniger Sekunden und überall anwenden. Nachdem man die negativen Gedanken bewusst wahrgenommen hat, kann man sie ziehen lassen und sie durch einen positiven Gedanken ersetzen, z.B.: „Was mache ich Schönes, wenn ich das erledigt habe? Wie kann ich mich belohnen?“

 

Wie schafft man es auch innerhalb der Familie, umgeben von vielen einzelnen Menschen mit eigenen Bedürfnissen, den eigenen Stress oder aufkommenden Frust nicht auf Familienmitglieder und Kinder zu übertragen?
Wenn wir gestresst sind, fangen wir an, an anderen rumzunörgeln, Druck zu machen und zu hetzen. Die Ursache: Wir halten den Stress meist zu lange aus, wir versuchen die „Kontenance“ zu wahren bis schließlich gar nichts mehr geht. Man kann üben, die eigenen Grenzen zu erspüren und rechtzeitig eine Auszeit zu nehmen statt zu warten, bis man nicht mehr kann.

Ein rechtzeitiges STOP kann man auch freundlich formulieren, z.B. „Kinder, das wird mir zu laut, ich möchte jetzt zehn Minuten Ruhe haben.“ Statt die Kinder in ein anderes Zimmer zu schicken, kann man sie einbeziehen, sie um Rat fragen: „Ich brauche einen Augenblick Ruhe, wie können wir hinkriegen?“ Ein Vorschlag kommt garantiert und die Kinder fühlen sich gut, weil man sie bei der Lösung des Problems mit einbezogen hat.

Auch effektiv: wenn es hektisch wird, nicht die Katastrophe formulieren: „Wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir die Bahn, kommen zu spät zum Gitarrenunterricht und der Lehrer wird sauer.“, sondern ein positives Ziel: „Ich möchte, dass wir uns beeilen, damit wir in Ruhe einen Parkplatz suchen können, wir uns nicht hetzen müssen und pünktlich kommen.“

 

In der ersten Folge der neuen WDR-Serie „Raus aus dem Stress“ blicken die Teilnehmer mit einer besonderen Übung auf ihre Vergangenheit zurück. Ist es wichtig sich dieser besonders bewusst zu machen, wenn man dem Stress auf den Grund gehen möchte?
Unsere Vergangenheit kann sehr motivierend sein, denn sie macht deutlich: Das Leben ist endlich. Deshalb sollten die Teilnehmer ihre eigene Grabrede verfassen und anschließend vortragen.

Wem es seltsam vorkommt, seine eigene Grabrede zu schreiben, kann alternativ die  Rede zu seinem 80. Geburtstag verfassen. In jedem Fall ist es sehr erkenntnisreich, gelegentlich eine Bestandsaufnahme, eine Inventur des eigenen Lebens zu machen und sich zu fragen: Was sind meine Ziele und Träume? Welche habe ich davon verwirklicht, welche nicht? Was oder wer hindert mich an der Verwirklichung meiner Träume?

 

In der kommenden Folge am 22. November wird der Stress der berufstätigen Petra, Mutter dreier Kinder,  genauer unter die Lupe genommen und versucht ihren Alltag mit Veränderungen und Übungen stressfreier zu gestalten. Merkst du spürbar einen Unterschied zu dem Stress einer Mutter/Vater im Vergleich zu gestressten Menschen ohne Kinder?
Stress ist individuell – der Stress eines kinderlosen Managers ist ein anderer als der einer Mutter oder eines Vaters, egal, ob berufstätig oder nicht. Ich denke, der Unterschied ist: Der kinderlose Manager kann Urlaub oder eine Auszeit nehmen oder einfach den Job wechseln, wenn es ihm dauerhaft zu viel wird.

Eltern können ihren Kindern nicht „kündigen“. Die emotionale Bindung und die Verantwortung für einen anderen Menschen tragen und spüren wir ein Leben lang. Das ist manchmal ziemlich stressig, aber auch etwas ganz Besonderes.

 

Gibt es auch einen spürbaren „Stress-Unterschied“ bei Großstädtern und Landleuten?
Lärm, Hektik, Reizüberflutung und Enge – unsere Experten sagen, die Stressfaktoren einer Großstadt sind größer als auf dem Land.

Was hilft wirklich? Bücher zum Thema Stress gibt es zuhauf, aber wie schafft man es in der Realität, mit beiden Beinen im Beruf zu stehen, drei Kinder zu versorgen und seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden ohne krankhaft gestresst zu sein?
Ich persönlich halte „Achtsamkeit“ für wirklich hilfreich – nicht nur bei Stress, sondern in allen Bereichen des Lebens. Achtsamkeit kann man lernen: www.mbsr-verband.org

Ansonsten habe ich –  auch durch die Sendung – gelernt, dass Stress oft hausgemacht ist. Wir stressen uns selbst durch unsere hohen Ansprüche an uns, durch Perfektionismus und verinnerlichte Glaubenssätze (z.B. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“) – wenn wir uns das bewusst machen ist schon ein großer Schritt getan.

Ganz praktisch kann man sich fragen:

Wo kann ich kürzer treten?
Was kann ich delegieren?
Wo Hilfe z.B. im Haushalt bekommen?
Wie kann ich mich besser organisieren?

Prioritäten setzen: Was muss ich unbedingt erledigen, was kann warten?

 

Warum, meinst du, nehmen die meisten ihren Stress erst dann ernst, wenn sie schon krank sind?
Wir gewöhnen uns an Stress. Bei dauerhafter Belastung schaltet unser Körper auf Automatik. Gestresst sein wird zum Normalzustand und wir nehmen ihn gar nicht mehr als Stress wahr. Indem man seine Wahrnehmungskompetenz trainiert, kann man verhindern, dass sich die Stressspirale immer höher dreht.

 

Das Angebot an Freizeitangeboten für Kinder ist eine regelrechte Reizüberflutung. Montags Ballett, dienstags Klavierunterricht, am Mittwoch Nachhilfe usw.. Meinst du, das ist die Vorstufe eines gestressten Erwachsenen oder steht das nicht in Verbindung?
Meist sind es ja die Eltern, nicht die Kinder, die diese Beschäftigungsmaschinerie in Gang setzen. Dahinter stehen oft die Ansprüche der Eltern, die sie auf die Kinder übertragen. Ein solches Dauerprogramm gewöhnt die Kleinen schon sehr früh an einen bestimmten Stress – oder Beschäftigungslevel.

Ich persönlich habe durch meinen Sohn gelernt: Weniger ist mehr (…er würde mir jetzt definitiv widersprechen!). Hobby-, Sport- und Verabredungs-freie Nachmittage schaden nicht. Mut zur Langeweile! Sie macht kreativ! Mut zu schlechtgelaunten Kindern, die nicht wissen, was sie anfangen sollen! Das auszuhalten, halte ich für ein wichtiges Rüstzeug fürs Leben. Mehr Vertrauen in unsere Kinder! Das entspannt ungemein!

 

Der Mehrteiler Raus aus dem Stress läuft aktuell freitags um 21:00 Uhr auf WDR. Am Freitag, 22.11.2013 ist die Protagonistin eine berufstätige Mutter mit drei kleinen Kindern.

 

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