Auf Augenhöhe mit Zweijährigen

Der Regisseur Frank Panhans über das „Theater für die Allerkleinsten“ im GRIPS und im Allgemeinen, E-Mails checkende Väter und das Wunder des gemeinsamen Erlebens. Kasperle- und Puppentheater als Theaterform für Menschen ab zwei Jahren kennt man, doch Schauspieler, die 45 Minuten lang für die Allerkleinsten spielen, das ist eher ungewöhnlich. Anja Kraus und Erik Veenstra haben für uns den Regisseur dazu befragt.

Es ist keine alltägliche Sache für einen Regisseur, sich mit Kindern ab 2 Jahren – den sogenannten „Allerkleinsten“ – zu beschäftigen, zuletzt hast du mit einem großen Ensemble Shakespeares „Macbeth“ inszeniert. Wie hast du dir mit deinem Ensemble einen Einblick in die Lebenswelt von Kleinkindern verschafft, und wie versucht ihr das in euer Stück einzubauen? Und was ist das Besondere, wenn das GRIPS Theater sich auf dieses Genre einlässt?
Vor 20 Jahren, in der Zeit als ich angefangen habe, für Kinder und Jugendliche im Theater zu arbeiten, war es im Schauspiel noch ein Tabu, für Kleinkinder zu spielen, man hat einfach gesagt: „Das funktioniert erst ab 6 Jahren!“. Nun ist aber in den letzten Jahren dieses Genre „Theater für die Allerkleinsten“ entstanden, insbesondere in Dresden, Düsseldorf und besonders in Wien, und ich bin natürlich auch mit meinen Kinder da hingegangen und fand, dass es oft sehr spannende Aufführungen waren, die für die ganz Kleinen ein großes Erlebnis waren.

Wenn man ein Stück für die Allerkleinsten am Grips Theater macht, muss es auch einen grips-spezifischen Inhalt haben, also von Alltagssituationen ausgehen. Und das ist wirklich ein neuer Ansatz in diesem Genre. Es gibt ja auch Aufführungen, bei denen zehn Minuten lang zwei Steine hin und her geschoben werden, oder man sich eine Sonne und einen Mond anguckt. Deshalb kam ich auf die Idee, im weitesten Sinne Situationen aus dem Eltern-Kind-Alltag zu spielen, auf einer ganz einfachen Ebene. Ein Grund ist auch mein kleiner Sohn, der inzwischen viereinhalb ist. Ich versuche viele der Geschichten, die ich in den letzten Jahren mit ihm erlebt habe, in unserem Stück zu verarbeiten.

Wir stellen uns eine Art Tagesablauf vor, also alles was so an einem Tag passieren kann. Aufstehen, Anziehen, Zähneputzen, in den Kindergarten gehen, Essen, nach Hause kommen, spielen, ins Bett gehen. Und das Verzetteln und aneinander vorbei agieren, also sich nochmals verspielen, sich falsch anziehen, sich ablenken lassen und so weiter. Ohne jeglichen pädagogische Zeigefinger möchten wir diese schwierigen und schönen Momente in den Mittelpunkt stellen, wenn es klappt, sich aufeinander ein zu lassen und miteinander zu sein.

Also die Momente, in denen man nicht versucht zu erziehen, sondern eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, ohne Druck und ohne irgend etwas vorzugeben. Das ist das Schwerste, denn dazu hat man oft im Alltag keine Zeit, weil man immer selber unter Druck steht, und doch ist es eigentlich das Ideal, wenn ein Kind sich gut entwickeln soll. Es wird also auch viel für die Eltern dabei sein.

Theater für die Allerkleinsten’ gilt als eine der anspruchsvollsten Theaterformen, wie beschreibst du die besonderen Bedingungen, worin siehst du als Regisseur die besondere Herausforderung ist?“
Kleine Kinder kommunizieren durch Bewegungen, Gesten, Mimik und Gefühle, sie verstehen Körpersprache intuitiv wesentlich besser als erwachsene Menschen. Die Sprache nimmt erst langsam einen Platz in ihrem Leben ein. In unserem Stück werden wir also kaum Sprache haben, höchstens ein paar einzelne Wörter, so wie „Komme jetzt. Gleich. Gerade vorbei. Ja. Nein. Gut. Schön.“

Mehr als Sprache sind alle Mittel gefordert wie Bilder, Töne, Klänge, Bewegungen, Körper, Musik, Gesang, Licht, Gerüche, Materialien. In der Kommunikation mit den kleinen Zuschauern sind alle diese Mittel gleichwertig. Dazu haben wir auch noch mit dem Schlagwerker Martin Fonfara einen Livemusiker dabei, das find ich auch wichtig, da ganz viel im Kindertheater über Klänge und Rhythmen funktioniert. Martin gibt oft den Rhythmus an oder geht gegen den Rhythmus, treibt an wenn keine Zeit ist oder verlangsamt die Szenen und gibt Melodien zum Stück dazu. Auch das Tempo des Spielens ist ein anderes, es ist viel langsamer, als wenn man für Ältere Theater macht, da muss ich die Schauspieler immer wieder bremsen.

Das Besondere ist auch, dass wir weder einen Stücktext, noch eine richtige Geschichte haben, sondern lediglich eine Grundidee, um die herum wir improvisieren. Als Material haben wir Pappkartons, mit denen man Räume oder beispielsweise einen Turm bauen kann, in die man reinkriechen, rauskriechen, zusammenklappen, darauf balancieren und Wege damit bauen kann.

Besonders ist auch an dieser Arbeit für die Allerkleinsten, dass wir ganz eng mit unserem Publikum arbeiten, und zwar schon in den Proben. Wir haben jetzt schon, zu Beginn der Probenzeit, drei Mal im Kindergarten bei unserem Publikum einzelnen Situation vorgeführt, weil wir sehen und erfühlen müssen, wie und wo wir die Kinder mit unserem Spiel abholen, das muss man wirklich erfühlen.

Selbst wenn alle Zweijährigen einer Kindergartengruppe nicht jede Phase des Stückes verstehen werden, werden sie dennoch bestimmte Bilder aus ihrer Erlebniswelt begreifen können, ohne das jetzt intellektuell zu verstehen. Unser Ziel ist: Sie sollen ein Erlebnis haben, während wir über ihren Alltag reden. Denn das ist auch ihre Erlebniswelt: Wenn sie etwas essen und was daneben geht. Wenn sie sich nicht richtig hinsetzen oder es einfach nicht gelingt, die Socke richtig anzuziehen. Solche Situationen versuchen wir zu spielen.

Was hast du deinen Schauspielern mitgegeben, um sie auf das Spielen für Kleinkinder vorzubereiten?
Ich musste ihnen gar nicht so viel auf den Weg geben, eigentlich sind wir eher so etwas wie eine Selbsterfahrungsgruppe. Beide Schauspieler haben sehr schöne Situationen gefunden, da beide ja auch Kleinkinder haben. Also können wir uns miteinander immer über unserer Erfahrungen austauschen.

Jeder erzählt die Geschichten, die er mit seinen Kindern erlebt hat, und das ist spannend. Daher sind gewisse Dinge einfach klar, aber bei anderen wissen wir noch nicht, wie wir sie ausdrücken wollen, und sind noch auf der Suche. Das ist das Experiment bei unserem Stück. Wobei keiner der Schauspieler ein Kleinkind spielen wird, es sind eher Situationen und Status-Spiele, manchmal nur mit einem Stück Pappe oder einem Karton, manchmal sind es alltägliche Situationen aus dem Geist des Kinderspiels von Kleinkindern. Dazwischen wechseln dann die Rollen.

Wie hast du als Vater selbst das Theater für die Allerkleinsten erlebt?
Ich habe erlebt, wie mein Sohn eine Dreiviertelstunde lang gebannt auf meinem Schoß sitzt und auf die Bühne guckt. Schade ist es dann nur, wenn die Erwachsenen sich nicht auch darauf einlassen, sondern währenddessen, wie ich selbst erlebt habe, beispielsweise die Väter während der Aufführung auf dem Smartphone ihre Emails checken. Das ist unglaublich schade, denn wir Erwachsenen haben mit einem Theaterstück für die Allerkleinsten die großartige Chance, erstens mit unseren Kinder gemeinsam etwas zu erleben, und zweitens uns ganz auf Augenhöhe unserer Kleinen zu begeben, in ihre Lebenswelt, ihr Erleben und Fühlen einzutauchen.

Kasperle-Theater und Märchen mit Puppenspiel sind der übliche Einstieg ins Theater, worin unterscheiden sich diese beiden Theaterformen?
Warum soll man Kindern ein Kasperspiel zeigen, aber keine Alltagsgeschichte? Ich gehe als Erwachsener ja auch in verschiedene Theater und schaue mir ein Musical an oder eine Tragödie von Shakespeare. Also hat beides seine Berechtigung. Was wir machen, ist eine Erweiterung des Genres, finde ich. Es geht uns zwar um einen theatralen Beitrag für die frühkindliche Entwicklung, aber nicht im Sinne eines Frühbildungsprogramms, sondern wir wünschen uns für die Allerkleinsten gemeinsam mit den Erwachsenen ein poetisches Erlebnis mit allen Mitteln des Theaters rund um ein paar Alltagsgeschichten.

Interview: Erik Veenstra, Anja Kraus