Mutter werden mit 35+ ist manchmal nicht mehr ganz so leicht. Darja Wagner ist Zellbiologin und Kinderwunschberaterin. Hier verrät sie uns im Interview, was Frauen jenseits der "magischen" Grenze tun können, um die Qualität ihrer Eizellen zu verbessern.
Liebe Darja, wie kamst du dazu, Kinderwunschberaterin zu werden?
Als Zellbiologin habe ich mich jahrelang mit Hormonen, Vitaminen, und menschlichen Zellen befasst. In meinen letzten Jahren an der FU haben meine Studenten und ich mit adulten Stammzellen experimentiert, sie haben mich so fasziniert. Und die Eizellen sind die ultimative Stammzellen, aus denen alle Organe und der Mensch selbst entsteht.
Als ich mit 35 endlich soweit war meine eigene Familie zu gründen, hat sich herausgestellt, dass der Weg dorthin nicht unbedingt geradlinig verläuft. Mein eigener Kinderwunsch ist zum Glück irgendwann mal im Erfüllung gegangen. Aber in dieser Zeit ist mir bewusst geworden, wie viele Frauen – und ganz besonders wie viele Akademikerinnen – sehr spät Kinder bekommen. Und wie oft sie dann ratlos dastehen wenn sie ihrerseits alles richtig gemacht und geplant haben, aber ihr Kinderwunsch doch unerfüllt bleibt.
Außerdem ist mir aufgefallen, wie wenig Frauen über ihren Körper wissen. Wie schnell tickt ihre eigene biologische Uhr? Wie viele Eizellen haben sie noch? Wann findet der Eisprung statt?
Ich finde, unsere Gesellschaft tut nichts, um Frauen auf ihre Rolle als Mutter vorzubereiten. Von klein auf wird uns Frauen klar gemacht, dass Bildung, Arbeit, und sogar Karriere eine wichtige Rolle in unserem Leben spielen werden. Also wir verbringen erstmal 20 Jahre Zeit und länger noch, um allen Erwartungen gerecht zu werden. Und dann stehen viele Frauen mit Mitte 30 und Anfang 40 da und wundern sich, dass sie keine Eizellen mehr haben.
Ich spürte in dieser Zeit Wut und auch eine Art der Verantwortung, mein zellbiologisches Wissen anderen zu Verfügung zu stellen. So habe ich Paleo Mama Blog gegründet, mit dem Wunsch, die Biologie hinter dem Kinderwunsch allgemein verständlich zu machen.
Warum verschlechtern sich die Chancen auf eine Schwangerschaft mit zunehmendem Alter?
Das Alter der Frau ist mit Abstand der wichtigste Faktor, warum die Fruchtbarkeit ab einem gewissen Zeitpunkt sinkt und damit auch die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden. Mit steigendem Alter sinkt exponentiell sowohl die Quantität als auch die Qualität der vorhandenen Eizellen. Aber an der Entstehung eines Kindes sind zwei Menschen beteiligt – und zwar gleichermaßen. Es kommt vor, dass die Samenzellen es nicht schaffen, zu der Eizelle hinauf zu schwimmen und sich mit ihr zu vereinigen. Mindestens vierzig Prozent der Ursachen bei Unfruchtbarkeit liegt am Mann und etwa zwanzig sind auf beide Partner zurückzuführen.
Frauen werden mit all ihren Eizellen schon geboren – gibt es nichts, was sie tun können, um ihre Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft zu verbessern?
Bis vor einigen Jahren hielt sich das Dogma fest, eine Frau könne ihre Eizellen gar nicht beeinflussen. Trotz wissenschaftlichen Fortschritts gibt es immer noch Menschen und sogar Ärzte, die glauben, Eizellen funktionieren wie kleine Küchenuhren – auf 40 Jahre aufgezogen und mit klar definiertem Ablaufdatum. Und nichts davon, was eine Frau mit ihrem Körper macht, kann sie beeinflussen.
Das macht aber keinen Sinn: Die gleichen Therapeuten, die gut verstehen, dass jeder Mensch seinem Herz, seiner Leber, seinem Hirn und fast jedem anderen Organ sehr wohl nachhelfen kann, indem man seinen Lebensstil, Ernährung, Vitamine und Bewegung anpasst, wollten eine lange Zeit nicht akzeptieren, dass Eierstöcke auch unterstützt werden können. Gerade bei den späten Müttern, deren biologische Uhren die letzten Minuten schlagen, können diese Anpassungen entscheidend sein. Oft ist es schon mit kleinen Veränderungen im Lebensstil möglich, die biologische Uhr um ein paar Minuten zurückzudrehen. Manchmal sogar auch mehr, das ist jedoch wirklich sehr individuell.
Was können Frauen über 35 konkret tun, um eine gewünschte Schwangerschaft zu begünstigen?
Es ist erstmal wichtig zu wissen, dass es (fast) immer möglich ist, die Eierstöcke zu unterstützen, damit sie im fortgeschrittenen Alter fitter bleiben und gute Eisprünge schaffen. Die Ernährung sollte sich an der mediterranen Diät orientieren. Und man sollte bedenken, dass „mediterran“ nicht Pizza und Pasta bedeutet, sondern vor allem viel frisches Gemüse und Obst, häufig Fisch, Kohlenhydrate wie Bulgur, Quinoa und Wildreis sowie viel Olivenöl. Mehrere Studien konnten deutlich zeigen, dass Paare, die sich nur ein halbes Jahr mediterran ernährt haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit schwanger werden konnten, ob auf natürlichem Wege oder mit künstlicher Befruchtung. Auf Alkohol sollte bis auf etwas Rotwein am besten verzichtet werden.
Noch ein paar weiteren Maßnahmen sind generell wohltuend: extra Omega-3 und eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die Eizellen sowie die Gebärmutter der älteren Mütter zu unterstützen; diese müssen aber dem individuellen Hormonbild angepasst werden. Auch Faktoren, die wir schon länger kennen und die eine erfolgreiche Schwangerschaft begünstigen, dürfen nicht vergessen werden. Zum Beispiel ein guter BMI (Body-Mass-Index). Frauen, deren Gewicht möglichst nahe am Idealgewicht liegt und die sich gesund, fett- und zuckerarm ernähren, haben die besten Chancen, schwanger zu werden und zu bleiben. Dazu kommen noch einige wenige Vitaminpräparate, das wichtigste darunter wäre die Folsäure.
Warum ist Folsäure wichtig für Frauen vor der Schwangerschaft?
Wenn eine Frau sich nur ein einziges Vitamin in Verbindung mit Kinderwunsch merken kann, sollte es die Folsäure sein. Ausreichende Versorgung mit Folsäure in den ersten Schwangerschaftswochen trägt dazu bei, einige der schweren neurologischen Erkrankungen bei Babys fast komplett zu verhindern. In diesem Fall spielt ihre genetische Veranlagung kaum eine Rolle. Es ist also ihre Entscheidung allein, die Folsäure rechtzeitig zu nehmen, was einen riesigen Unterschied für die Zukunft und Gesundheit ihres Kindes machen wird. Es ist sehr interessant, wie viele Frauen bei der ersten Schwangerschaft an die Folsäure denken, aber bei den späteren Kindern nicht mehr.
Wenn der Kinderwunsch länger unerfüllt bleibt, werden viele Paare nervös.
Vor allem bei den späten Müttern ist die Ungeduld groß. Ihre Lebensplanung steht schon fest, außerdem sind ihnen die Risiken einer späten Schwangerschaft bekannt. Oder sie wollen unbedingt, dass es mit einem Geschwisterkind noch klappt. Deshalb ist ihre Nervosität sehr leicht nachzuvollziehen. Wenn es mit der Schwangerschaft nicht wie erwartet klappt, kommt der nächste Spannungsfaktor hinzu: eine psychische Belastung, die aus einer Mischung von Ungewissheit und Kontrollverlust besteht. Und aus Schweigen, denn von unerfülltem Kinderwunsch redet man nicht.
Wann sollte ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch einen Arzt aufsuchen? Und welchen Arzt?
Wenn nach etwa einem Jahr regelmäßigen „Übens“ es mit dem Schwanger werden noch nicht klappt, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Aber das gilt nicht für über 35-jährige Frauen. Bei vielen in dieser Gruppe sinkt die Chance, schwanger zu werden von Monat zu Monat, und es gibt wirklich keinen Grund zu lange zu zögern, bevor man sich in einer Kinderwunschklinik meldet.
Dort wird erstmal eine ganze Reihe von Tests durchgeführt, Zyklusmonitoring nennt sich so etwas. Findet der Eisprung regelmäßig statt? Wie sieht es mit den Hormonen aus? Sind die Eileiter durchlässig, ist die Gebärmutter fit? Auch die Samenqualität wird untersucht – das alles kostet Zeit und dauert weitere Monate, bis alle Informationen zusammenkommen.
Deshalb ist es für Frauen über 35 am besten, nicht zu lange zu warten, bis sie den Sprung vom Gynäkologen in die Kinderwunschpraxis wagen. Auf diese Weise halten sie möglichst viele Optionen offen. Außerdem sollten sie ihren Lebensstil so anpassen, dass er ihre Weiblichkeit und ihre Fruchtbarkeit unterstützt und nicht gegen sie wirkt.
Warum sollte ich die Qualität und Quantität meiner Eizellen überhaupt bestimmen lassen?
Weil die individuelle Unterschiede zwischen den Frauen groß sind. Während die allermeisten mit 25 und 30 problemlos Kinder bekommen können, ist das mit 35-40 schon sehr individuell. Deshalb sollte jede Frau ihre Eizellreserve spätestens mit 30 prüfen lassen, um ihr Leben besser im Griff zu haben und möglichst viele Optionen für sich offenzuhalten.
Wir Frauen werden mit etwa 300.000 bis 400.000 Eizellen geboren und, sobald wir in die Pubertät kommen, gehen jeden Monat etwa 1000 Eizellen verloren. Ob wir dabei einen Kinderwunsch haben oder nicht, mit Pille verhüten oder nicht, eine Beziehung haben oder nicht, erstmal studieren und Karriere machen wollen oder nicht .. spielt alles für die Eizellen gar keine Rolle.
Unsere biologische Uhren ticken aber nicht alle in gleicher Geschwindigkeit. Deshalb können manche Frauen noch mit 40 problemlos Kinder bekommen; manche anderen aber nicht mehr. Deshalb ist wichtig, diese Information rechtzeitig zu haben, um die Beziehungen und Karriere besser planen zu können.
Und was, wenn man mir sagt, dass ich nur noch drei kleine Eilein übrig habe?
Haha… So ein Ergebnis wäre schon mal gar nicht möglich, weil Tests dafür nicht sensitiv genug sind…. Außerdem wird die Reserve nicht gezählt, sondern vorausgesagt – auch etwas, was heutigen Mädchen im Biologie Unterricht beigebracht werden sollte.
Und stimmt es, dass die Bestimmung der Eizellenqualität Kassenleistung ist?
Es ist nur die Quantität und nicht die Qualität der Eizellen, die bestimmt werden kann. Außerdem liefern die Tests keine Zahlen. Auch das ist eine veraltete Vorstellung – das Eizellen wie kleine Küchenuhren ticken, bis sie irgendwann abgelaufen und keine mehr übrig sind.
Was gemessen wird sind zwei einfache Hormonwerte, die, mit einer einfachen Ultraschalluntersuchung kombiniert, sich zu einer präzisen Aussage fügen, wie es um die Fruchtbarkeit der Frau steht. Am besten bekommt man diese Untersuchung bei einem Kinderwunscharzt. Je nach Lebenskonstellation kann dieser Test eine Kassenleistung sein, aber selbst wenn man ihn aus eigener Tasche zahlt, kostet die wertvolle Information immer noch weniger als ein einziger Gang zu H&M.