Schlaksige Arme und Beine, Haare, die an Stellen wachsen, wo gerade noch zarte Kinderhaut war, das Handy immer griffbereit, Nagellack, Schimpfwörter und Stimmungen in allen Facetten verfügbar. Teenager:innen sind zu gleichen Teilen faszinierend, unerträglich und vor allem: oft undurchschaubar.
Das Leben mit Teens stellt Eltern vor ganz neue Herausforderungen. Was geht bloß in den Köpfen Pubertierender vor?
Die SINUS-Jugendstudie 2024 – „Wie ticken Jugendliche?“ der Bundeszentrale für politische Bildung untersuchte die aktuelle Verfassung der jungen Generation in ihren unterschiedlichen Lebenswelten. Demnach sind die 14- bis 17-Jährigen besorgter denn je, aber fast niemand ist unzufrieden mit dem eigenen Alltag.
Eine Rolle spielt dabei, dass die Befragten „seit sie denken können“ mit vielfältigen Krisen und Problemen wie Kriegen, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel leben. Entsprechend wird ihr Optimismus nicht eingeschränkt durch die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es so für sie nie gab.
Expertin-Interview über das Leben mit Teens
Um Genaueres, besonders auch im Umgang mit Teenager:innen zu erfahren, haben wir die Psychologin und psychologische Psychotherapeutin Doreen Schiller befragt, die seit mehr als 20 Jahren in der Fröbel Erziehungs- und Familienberatung arbeitet.
Welche wesentlichen Veränderungen durchlaufen Teenager:innen in der Pubertät und wie können Eltern diese besser verstehen?
Zunächst einmal: Die Pubertät ist eine ganz natürliche Entwicklung, die Allermeisten kommen unbeschadet durch diese bewegte Zeit. Auf dem Weg vom Kind zur erwachsenen Person gibt es allerdings einschneidende Veränderungsmerkmale auf körperlicher wie auch psychischer Ebene. Äußerlich offensichtlich ist das zum Teil auch recht unproportionale Wachstum.
Die Gliedmaßen werden länger, Füße und Hände werden größer, bei den Mädchen wird das Becken breiter und die Brust fängt an zu wachsen. Das Gewicht nimmt zu und die Geschlechtsorgane reifen heran und werden funktionsfähig. Auch die Schweißproduktion nimmt zu, die erste Periode setzt ein bei den Mädchen, Intimbehaarung wächst, bei den Jungs auch erste Barthaare und sie kommen in den Stimmbruch.
Die Hormone spielen verrückt in dieser Zeit, Testosteron schießt ein bei den Jungs, Östrogen bei den Mädchen und Progesteron bei beiden spricht die allgemeine Verfassung oft einer Achterbahn.
Auch das Gehirn reift, allerdings meist zeitversetzt zu körperlichen Entwicklungen.
Die Region, die für Vernunft zuständig ist, entwickelt sich leider oft als letztes, so ist die Pubertät für Jugendliche wie auch für ihre Eltern eben eine besonders intensive Entwicklungsphase.
Stimmt der Eindruck, dass Kinder heute früher in die Pubertät kommen und woran könnte dies liegen?
Kinder kommen tatsächlich früher in die Pubertät, auch die Regelblutung setzt zunehmend früher ein. Es gibt Statistiken, die darauf hinweisen, dass Kinder in Städten tendenziell früher in die Pubertät kommen als in ländlichen Regionen.
Dazu gibt es verschiedenen Theorien: Einmal lässt sich das auf die Ernährung zurückführen. Der BMI ist mit ausschlaggebend für den Start der hormonellen Umstellung und die Menschen werden zumindest in den wohlhabenden Industrieländern immer größer und schwerer.
Andererseits können auch negative Umweltfaktoren eine Rolle spielen, genauso wie eine zunehmende Stressbelastung. Organismen, die unter Belastung stehen, pflanzen sich schneller und früher fort, solange sie fertil sind, um den Fortbestand zu sichern.
Und wie unterscheidet sich die Pubertät zwischen Jungs und Mädchen?
Für Mädchen sind die körperlichen Veränderungen oft etwas schwieriger, da der Köper an der Hüfte breiter wird und sich auch Fett an Stellen ablagert, die vielleicht nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, während die Jungs meist nicht abgeneigt sind, wenn die Schultern breiter werden und die Stimme tiefer.
Es gibt oft eine Diskrepanz zwischen körperlicher und psychischer Reifung, deshalb sind in dieser Phase Selbstzweifel nicht ungewöhnlich. Die Veränderungen wollen in das Selbstbild integriert werden, das kann einige Zeit dauern, bis sich die Jugendlichen annehmen können.
In allen Situationen ist es wichtig, als Eltern sensibel zu reagieren, denn fast immer sind Jugendliche verunsichert und viel mit sich beschäftigt.
Ihre Privatsphäre ist jetzt auf jeden Fall zu achten.
Hier gilt es nachsichtig mit dem Tempo der Kinder mitzugehen und sich keinesfalls über sie lustig zu machen, wenn die Hormone verrückt spielen.
Neue, auch schwierige Verhaltensweisen wie Aggressionen oder Rückzug tauchen auf. Wie geht man angemessen damit um?
Es ist ein Stückweit normal, dass sich Jugendliche mal im Ton vergreifen und unbeherrscht sind. Das gehört in diese Zeit mit hinein.
Man kann nicht mehr viel erziehen in der Pubertät – eine gute Beziehung zum Kind ist wichtig.
Eltern müssen sich damit abfinden, nicht mehr alles mitzubekommen und ihre schützende Hand nicht dauerhaft über den Nachwuchs halten zu können. Aggressives Verhalten zeigt sich tendenziell eher bei Jungs, auch Mädchen machen Probleme zunehmend mit sich oder innerhalb ihrer Peergroup aus. Dabei ist zu beachten, dass Wut ein sekundäres Gefühl ist und sich meist auf ein anderes vorherrschendes Gefühl draufsetzt.
Das kann Verunsicherung, Angst oder Ohnmacht sein. Was liegt dem ungewohnten Verhalten also zugrunde? Gibt es Streit in der Schule oder Ablehnung in der Gruppe? Vielleicht sind es auch innerfamiliäre Probleme und Streit zwischen den Eltern, die zu Hause belasten. Manchmal reagieren Kinder auch psychosomatisch mit häufigen Bauch- oder Kopfschmerzen, wenn sie etwas belastet.
Der beste Weg für Erziehungsberechtigte ist, trotz allem sensibel zu bleiben und Verständnis aufzubringen. Vorsichtiges Nachfragen und auch das Bekunden der eigenen Sorge ist dabei hilfreich. Wenn Eltern genervt und ablehnend reagieren, werden sie nicht viel erfahren.
Wie können Eltern maßvoll Grenzen setzen, ohne dabei die Autonomie ihrer Jugendlichen zu stark einzuschränken?
Grenzen setzen ist ein Thema in der Erziehung – sobald der Nachwuchs dem Babyalter entwachsen ist. Tatsächlich ist es zu spät, wenn man in der Pubertät damit anfängt.
Interesse zu zeigen, ist jetzt wichtig.
Wie heißen die Freund:innen, welche Spiele sind aktuell und was ist gerade angesagt? Jugendliche brauchen jetzt zunehmend mehr Freiheit, um sich auszuprobieren und können mit einem Vertrauensvorschuss meist gut umgehen.
Eltern sollten nur eingreifen, wenn es unbedingt nötig ist und dabei einkalkulieren, dass Jugendliche ihre Grenzen austesten wollen. Eine Grenze gibt Halt und Sicherheit und wird eher akzeptiert, wenn alle bei der Festlegung mit eingebunden werden.
Wichtig ist auch das Besprechen der Konsequenzen.
Meiner Erfahrung nach wünschen sich die meisten Jugendlichen strukturgebende, klare Eltern. Viele haben noch keine klaren Vorstellungen wie ihr Lebensweg nach der Schule weitergeht. Das ist nicht schlimm, sie wollen sich ausprobieren. Im Leben geht man oft nicht den geraden Weg, denn Umwege erweitern die Ortskenntnis.
Mit dem Beginn der zunehmenden Selbstständigkeit der Kinder müssen nicht alle Grenzen kategorisch feststehen. Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, wie etwa den Wechsel zur weiterführenden Schule oder die Kündigung beim Sportverein, ist es ratsam, zusammen zu entscheiden.
Die permanente Nutzung von Smartphones und sozialen Medien bei Teenager:innen ist nahezu Normalität. Gibt es hierzu Orientierungshilfen?
Das ist die Herausforderung unserer Zeit. Auch hier ist aber das Wichtigste zu begreifen: Wir sind Modell für unsere Kinder. Vorbild sein ist das wirkmächtigste Prinzip.
Wie gehe ich also selbst mit Medien um, liegt mein Smartphone immer am Tisch und bin ich jederzeit abrufbar? Was sehen meine Kinder bei mir? Auch hier gilt: Verständnis haben wirkt sich positiver aus als Verbote aufzustellen. Diese führen nur dazu, dass ich zunehmend weniger von meinem Kind erfahre.
Es ist wichtig, sie aufzuklären und ihnen zu zeigen, worauf sie achten müssen. Oft wissen Digital Natives allerdings besser Bescheid als ihre Eltern und freuen sich, ihre Welt auch mal zum Thema zu machen.
Es braucht viel Verständnis für ihre digitale Lebensrealität.
Dann heißt es auch mal mitzocken und in neue Welten eintauchen. Cybermobbing und Cybergrooming sollte allen ein Begriff sein und Bildschirmzeiten können am besten für alle in der Familie festgelegt werden.
Letztlich sollen Jugendliche dazu in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen, Gefahren zu erkennen und Probleme mit Eltern besprechen zu können. Bei Ratlosigkeit und Überforderung helfen gute Beratungsstellen in Berlin, wie etwa Lost in Space.
Bei den nötigen Reglementierungen können wir uns durchaus auch auf Konflikte einstellen, denn das Suchtpotenzial ist groß und Jugendliche werden uns ihren Frust spüren lassen, wenn sie aus einer Chatgruppe fliegen oder ein bestimmtes Level in ihrem liebsten Game an diesem Abend nicht mehr erreichen werden. Entscheidend ist, ob es neben aller digitaler Verlockung auch noch genügend Kontakte und Spaß im echten Leben gibt.
Wie findet man heute die richtige Balance, um gleichzeitig Vertrauensperson als auch Erziehungsberechtigte:r zu sein?
Beziehung ist wichtiger als Erziehung, aber eins muss klar sein: Eltern sind nicht die besten Freund:innen ihrer Kinder. Erfahrungen können nicht weitergegeben werden, sie wollen von den Kindern selbst erfahren werden.
Gleichzeitig ist es auch gut, über die Gefahren dieser Welt aufzuklären. Das muss aber nicht in großem Umfang und in ständiger Wiederholung passieren. Wir können unsere Kinder nicht vor allem schützen, unsere Aufgabe ist es, stückweise loszulassen.
Es ist auch gut, Kindern die Möglichkeit zu geben, sich zu reiben. Reibung erzeugt Wärme.
Es geht nicht darum, möglichst konfliktlos durch die Pubertät zu kommen. Wichtig ist, dass Kinder wissen, dass ihre Eltern da sind, wenn sie sie um Hilfe bitten.
Wie lässt sich mit Zurückweisungen der eigenen Kinder am besten umgehen?
Man ist als Elternteil von Pubertierenden gut beraten, sich ständig zu vergegenwärtigen, dass diese jungen Menschen nach wie vor sehr empfindsam sind, auch wenn sie das nicht (mehr) zeigen.
Wir sollten bei möglichen Attacken nicht zurückschießen, sondern uns darin üben, selbst gefühlvoll und nachsichtig zu bleiben, entsprechend der Herausforderung „Die Kunst einen Igel zu küssen.“
Feedback geben über die eigene Gefühlslage ist dabei gut und wichtig, aber möglichst nicht aus einer Kränkung heraus.
Außerdem hilft auch hier Selbstbeleuchtung: Was an meinem Verhalten bringt mein Kind dazu, sich zurückzuziehen oder unverschämt zu reagieren? Interessiertes Dranbleiben wird sich über die Zeit auszahlen.
Wann ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und welche Angebote gibt es?
Immer dann, wenn Eltern allein mit ihrem Kind nicht weiterkommen und sich ernsthaft Sorgen machen oder wenn der:die Jugendliche gezielt danach fragt.
Berlin verfügt über eine breit aufgestellte Landschaft von Erziehungs- und Familien-Beratungsstellen: In jedem Stadtbezirk gibt es eine EFB in kommunaler Trägerschaft, die dem Jugendamt angeschlossen ist, als auch eine EFB in freier Trägerschaft.
Die Expertin
Doreen Schiller arbeitet als Psychologin und psychologische Psychotherapeutin seit mehr als 20 Jahren in der Erziehungs- und Familienberatung von Fröbel, zuerst bei Con-Rat in Treptow-Köpenick und seit 2017 bei CLARA in Friedrichshain. Sie selbst hat zwei erwachsene Kinder und wohnt am Rand von Berlin.
CLARA gehört zum freien Träger Fröbel, hier können Eltern und auch Jugendliche kostenlos und vertraulich Beratungen zu allen relevanten Themen und in verschiedenen Spachen in Anspruch nehmen. efb-berlin.de
Ratgeber rund ums Leben mit Teens, Schul- oder Kleinkindern
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