Wenn Frauen Kinder bekommen, leisten sie Unglaubliches. Als Kunsttherapeutin begleitet und empowered Hannah Elsche alle, die in dieser einmaligen Zeit zwischen (unerfülltem) Kinderwunsch, möglicherweise schwieriger Geburt, Familiengründung und Elternsein doppelt Unterstützung brauchen.
In Hannahs Gemeinschaftsatelier in der Liebenwalder Straße fällt an diesem kalten Wintertag die Sonne. Auf zwei Rollwägen und einem Sideboard finden sich Pinsel, Malkreiden, Stifte und was man noch so brauchen könnte, um die eigenen Gedanken und Gefühle auf eine Leinwand zu bringen. An den Wänden im hinteren Bereich hängen einige von Hannahs Werken.
Das Bild einer hochschwangeren Frau liegt im Schatten. Trotzdem sticht es besonders ins Auge. Mit ihren klaren dunklen Umrissen, dem großen Bauch strahlt die Frau eine Urkraft aus, und wegen der aufgestützten Pose zugleich Verletzlichkeit. Mit einem Arm verdeckt die Schwangere ihr Gesicht. Sie könnte jede sein – und dafür stehen, wie jede Frau ihren ganz eigenen Weg zum Muttersein gehen muss.
Depressionen in Schwangerschaft und Wochenbett, Fehlgeburten oder auch eine ungewollte Kinderlosigkeit sind immer noch Tabuthemen, die verarbeiten werden wollen.
So kommen auch die Frauen, die während Einzeltherapien Kunst schaffen oder sich in kunstpädagogischen Workshops ausprobieren, mit individuellen Erfahrungen. Und doch gibt es Überschneidungen.
Wenn es an Support fehlt
„Erstgebärende hadern oft damit, wenn sie sich nicht freuen können“, so Hannah Elsche. „Sie sehen pastellige Nestbaufotos auf Instagram und quälen sich damit, dass sie doch auch glücklich sein müssten.“
Ein anderer großer Teil kommt, um das Geburtserlebnis zu verarbeiten. Das Gefühl, allein gelassen worden zu sein, treibt viele um, erzählt Hannah. „Manche werden im Krankenhaus ans CTG angeschlossen und warten dann unter Schmerzen stundenlang darauf, dass jemand nach ihnen schaut.“ Gewalt unter der Geburt ist ein riesiges Thema.
Der Hebammenmangel verschärft das Problem. Auch im Krankenhaus fehlen oft Personal und Zeit, sich den Ängsten der Gebärenden anzunehmen. „Und dann sagen nach einer Geburt auch noch alle: ‚Hauptsache, das Kind ist gesund.‘ Das schürt Tabus. Nirgendwo ist Platz für Negatives“, so Hannah Elsche.
Als Mutter von drei Kindern hat sie selbst erlebt, wie es ist, wenn die Geburt anders verläuft als in der eigenen Vorstellung. „Als ich mich mit anderen Frauen ausgetauscht habe, war ich schockiert, wie viele wirklich krasse Geschichten zu erzählen hatten“, sagt sie. Mit ihrem Angebot will sie Raum dafür schaffen, dass belastende Geburts– oder auch Verlusterfahrungen endlich Gehör finden – und betroffene Frauen mögliche Traumata professionell begleitet bearbeiten können.
Begleiten statt bewerten
„‚Ich kann eigentlich gar nicht malen‘, ist der Satz, der hier meist als erstes fällt“, sagt Hannah mit einem Lächeln. „Dabei geht es in der Kunsttherapie natürlich nicht um Talent, sondern um die Themen der Frauen.“ Bei einer Einzelsession gibt es ein kurzes, einleitendes Vorgespräch. Dann wird auch schon gemalt.
In dem Prozess hält Hannah sich zurück. „Auf Wunsch erkläre ich, wie bestimmte Materialien eingesetzt werden können, bringe frisches Wasser für die Pinsel. Ich leiste Hilfestellung bei der Kunstarbeit, aber ansonsten begleite ich nur“, erklärt sie. „Als Kunsttherapeutin übernehme ich die Aufgaben einer ‚guten Mutter.‘“ Wer zu ihr kommt, der soll sich etwas gönnen.
Das Prinzip der Verschwendung gilt hier nicht. Wem das eigene Bild nicht gefällt, darf wieder und wieder einen Versuch wagen. Was auf der Leinwand zum Ausdruck gekommen ist, klärt sich oft bei der Bildbesprechung am Ende jeder Session. „Mitzuerleben, wie Kreativität bei der Bearbeitung schwieriger Themen helfen kann, ist toll.“
Geburt als Wegweiser fürs Leben
Nicht zuletzt durch ihre Arbeit stellt sie fest, wie sich der Diskurs über Mutterschaft und Geburt langsam verändert, zumindest in einer Bubble wie Berlin. Zudem komme das Thema Gewalt unter der Geburt immer mehr bei Fachkongressen an.
Gesellschaftlich muss hingegen noch viel passieren. „Am Ende ist die Art, wie wir gebären, ein feministisches Thema“, sagt Hannah. „Es braucht viel mehr Politik, mehr Berichterstattung, es müssen auch mehr Männer mit im Boot sitzen.“ Als Mitglied des Vereins Mother Hood e.V. engagiert sie sich ehrenamtlich dafür, dass alle Frauen eine sichere, selbstbestimmte Geburt erleben dürfen und die Unterstützung bekommen, die sie dafür brauchen.
Mit gutem Grund: „Wie wir geboren werden, hat Einfluss auf unser gesamtes weiteres Leben. Geburt ist keine alleinige Frauensache – das geht alle an.“