Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist Christoph Bauer sehnt sich nach Harmonie.
Wenn die Schwangerschaft zum hormonellen Karneval wird und das geliebte Gegenüber sich in ein bis dato unbekanntes Wesen verwandelt, spätestens dann wird einem Mann klar, dass Familie die mit Abstand härteste soziale Herausforderung ist, die man sich zu Lebzeiten antun kann. Kaum eine soziale Bezugsgruppe kämpft in den eigenen Reihen mit vergleichbar harten Bandagen.
Der Irrglaube elterlicher Regie
Und sind die geschlüpften Kindlein erst mal in der Lage, alleine aufs Klo zu klettern und sich den Hintern selber abzuwischen, führt dieses erhabene Gefühl von Selbstständigkeit geradewegs in den Irrglauben, fortan die Regie übernehmen zu können. Ab dann wird geschrien, gezankt, gekratzt, gekniffen und gerauft. Wobei ich an dieser Stelle zugeben muss, dass der von mir beschriebene kausale Zusammenhang von Thronbesteigung und despotischem Verhalten eine Schlussfolgerung meiner persönlichen Beobachtungen ist und nicht das Ergebnis mir bekannter empirischer und kinderpsychologischer Forschungsarbeit.
Aber ein Blick in die Geschichtsbücher dürfte diese meine These unterstreichen. Doch wäre das Familienleben nicht ein derart schwer vermintes Krisengebiet, in dem es immer wieder ordentlich scheppert, dann hätte ich als Schreiber dieser Kolumne nichts zu tun. Ich müsste mich nicht ständig in die Welt der ironischen Überzeichnung flüchten, müsste nicht zu später Stunde noch viel zu lange Sätze in meinen alten Computer hacken und nicht in der ständigen Angst leben, an der nächsten Straßenecke von einer Pilates-gestählten Sojamilchmutter eins auf die Nase zu bekommen. Ich säße heute pünktlich beim Abendbrot, würde meiner treuen Gemahlin den Rote-Bete-Salat auftun und meinen freundlich lächelnden Kindern über das gescheitelte Haar streichen und ihnen zu ihren erfolgreichen Matheklausuren gratulieren.
Ja, es stimmt, zu viel Harmonie kann verdammt langweilig sein.
Aber eine gute Portion Harmonie kann manchmal auch verdammt gut tun. Ich meine diese wunderbaren Momente, wenn sich alle einig sind, wenn sich alle für die gleiche Idee begeistern, sich alle einem gemeinsamen Traum hingeben. Und, nun kommt‘s, wir haben diesen gemeinsamen Traum gefunden. Und dieser Traum, dem sich meine Töchter, meine Frau und ich in einer emotionalen Symphonie des Einklangs gemeinsam hingeben haben, hat einen Namen: Huhn.
Es geschah an einem der letzten Wochenenden. Mein Schwiegervater hatte wie jedes Jahr um diese Zeit seine riesige Patchworksippe zu einem gemeinsamen Wochenende auf einen wunderschönen Bauernhof eingeladen. Nachdem sich meine große Tochter in einem mehrstündigen Training vom Bauernsohn in die Kunst des Hühnerfangens einweisen gelassen hatte, kam sie plötzlich mit einem rührseligen Lächeln um die Ecke. In ihren Armen hielt sie zärtlich umschlungen das leise glucksende, braune Federvieh. Ihr Name war Elsa und um uns war es geschehen.
Wie süß! Wie weich! Wie schön! Wie süß! Und wie praktisch!
So eine Elsa legt rund 200 Eier im Jahr, was ziemlich genau dem durchschnittlichen Pro-Kopfverbrauch in Deutschland entspricht. Also, es muss nun endlich ein Garten her und dann gibt’s vier Hühner für meine drei Frauen und mich und die Sache mit den Eiern wäre gegessen. Ach ja und essen kann man so eine Elsa natürlich auch. Ich war übrigens erstaunt, wie dünn so ein Hühnerhals ist, wenn da mal zugreift. Der müsste eigentlich ganz einfach umzu… Womit wir uns wieder in besagtem verminten Krisengebiet befänden. Glücklich über den gemeinsamen Traum vom eigenen Huhn begann ich mich geflissentlich mit dem Thema Hühnerhaltung zu beschäftigen.
Rund 180 Hühnerrassen sind im europäischen „Rassegeflügelstandard“ aufgeführt. Nach einer ersten Recherche riet ich meinen Damen zum Orpington Huhn, einer englischen Hühnerrasse, die 1872 von William Cook gezüchtet wurde. Es gibt die sympathisch runden Hühner in den wunderschönsten Farbschattierungen, sie gelten als robust, wenig temperamentvoll, und sie sind hervorragende Eier- und Fleischlieferaten. „Fleischlieferanten“, wie man ein solches Unwort überhaupt in den Mund nehmen kann! „Papa, du bist echt soo fies!“. Geschrei, Gezeter und Getöse. Hinweg der zarte Moment der Harmonie. Als Vater musst du wissen: Eier kannst du haben, aber Hühnerbrust geht gar nicht!