Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist Christoph Bauer Kolumnist Christoph Bauer erzählt über Kollisionen mit LKWs und Mitbürgern ...
Heute bin ich beim Joggen nur knapp dem Tod entronnen. Ich bin ein leidenschaftlicher Jogger. Joggen macht glücklich, ich kann dabei wunderbar meine Gedankenknoten entwirren und außerdem ist es wahnsinnig gesund – wenn man dabei nicht überfahren wird. Zugegeben, die Auseinandersetzung mit meinem Kopfchaos hatte mich beim Überqueren der Straße den 7,5-Tonner glatt übersehen lassen. Nur durch einen adrenalingepeitschten Satz konnte ich dem anrollenden Monster gerade noch entkommen.
Eine Hermes-betuchte Ü40-Mutter und ihr streng gescheiteltes Buggy-Kind schoben sich genau in diesem Augenblick aus einer der anliegenden Gründerzeittüren und wurden Zeuge dieser atemberaubenden Stuntszene. Doch statt mir zu dieser athletischen Meisterleistung und meinem Überleben zu gratulieren, wurde ich von der Barbourjacken-Mama aufs Übelste beschimpft. „Sind Sie verrückt? Das ist ja wirklich das Letzte! Wie kann man nur…“. Und ich hatte tatsächlich nichts Besseres zu tun, als mich auch noch zu entschuldigen. Für was? Ich hatte nicht das Gefühl, dass diese Frau aus Sorge um mein Leben so scharfzüngig reagierte. Nein, es war ihr Bürgersinn, der sich durch meine Unvorsichtigkeit angegriffen fühlte.
Man muss sich nur mal vorstellen, welch unappetitlichen Anblick die Jogger-LKW-Kollision abgegeben hätte. Mutter und Kind hätten mit größter Wahrscheinlichkeit ein paar sehr unruhige Nächte gehabt, vielleicht wäre sogar eine spezielle therapeutische Behandlung nötig gewesen, um dieses Erlebnis psychisch zu verarbeiten, vom LKW-Fahrer ganz zu schweigen. Krankenwagen, Abschleppwagen, Tatortreinigungspersonal, Umleitung, Verspätungen usw. Mein verpeilter Joggingausflug hätte also, gerade in Anbetracht der Folgekosten, einen solidargemeinschaftlichen Kollateralschaden anrichten können.
Ihre Empörung war also absolut angebracht und meine demütige Entschuldigung die einzig sozialkompetente Reaktion darauf. Gibt es eigentlich ein Gesetz, das es einem verbietet, sich überfahren zu lassen? Eine EU-Richtline? Da sollte der Gesetzgeber unbedingt aktiv werden! Schließlich sind die Zeiten, in denen man mit sich und seinem Körper nach Lust und Laune umspringen konnte, lange vorbei. Überleben ohne Nebenkosten ist so etwas wie eine Bürgerpflicht geworden. Und die gilt es gesetzlich zu regeln, denn nur so kann sie von jedem Einzelnen eingefordert und natürlich auch kontrolliert werden!
Anschnallpflicht, Rauchverbot, Regulierung der Salzmenge im Brot – da ist noch viel Luft nach oben. Ich fürchte nur, wenn Vater Staat sich weiterhin so fürsorglich zeigt, dann könnte es ganz schön eng werden für mich. Dann heißt es Hofgang statt Waldlauf. Mein Sündenregister würde mich, bei entsprechender Kontrolle durch Staat und rechtschaffene Mitbürger, in kürzester Zeit zum Outlaw machen: Zucker-, Fett-, Salz-, ja sogar Nikotinmissbrauch! Alkoholkonsum in Anwesenheit von Kindern! Fahrradfahren ohne Helm! Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa…
Bisher war die Joggerei für mich eine recht egoistische Angelegenheit. Es ging um meine Stressbewältigung, um meinen Bauchumfang, um meine Gesundheit, um meine Lebenserwartung. Doch nun ist mir klar, Joggen ist ein Beitrag für die Solidargemeinschaft. Und wenn es um den Erhalt der Volksgesundheit geht, da können sich unsere Volksvertreter von mancher Diktatur noch ein Scheibchen abschneiden.