Diese Woche steht in Berlin alles im Zeichen des Films. Daher kommt auch HIMBEER nicht umhin, sich mit dem internationalen Filmfestival auseinanderzusetzen. Von besonderem Interesse ist für uns natürlich auch, was in diesem Jahr für Kinder und Jugendliche geboten wird, weshalb wir drei Filme der Sektion Generation genauer betrachtet haben…
Ein 10-jähriges Mädchen, das in einem Animationsfilm ihrem Namen den Kampf ansagt, drei Jungs, die sich nach dem Erdbeben auf Haiti zurecht finden müssen, oder das nervenaufreibende Leben von Aktivistenkindern – die Themen und Zielgruppen der Generations-Filme der Berlinale sind so vielfältig und einzigartig gestaltet, wie die Herkunftsländer der einzelnen Regisseure. Eingefangen werden Bilder des Alltags, von Krisen, Freundschaft und Liebe. In Originalsprache und mit englischen Untertiteln verlieren die Filme nichts an ihrer Ursprünglichkeit, setzen aber gleichzeitig auch ein gewisses Maß an Fremdsprachenkenntnis der Kinder voraus.
Regie: Alfredo Soderguit / Uruguay / Kolumbien
Kplus
Anina Yatay Salas ist ein 10-jähriges Mädchen mit einem Problem. Ein Problem, dass wie sie findet kein kleines ist. Ihr Name ist ein Palindrom – also ein Wort, das man sowohl von hinten als auch von vorne lesen kann. Und zwar jeder ihrer Namen, was ihren Vater, wenn man ihn darauf anspricht, jedes Mal in Verzückung versetzt.
Doch Anina wird deswegen in der Schule gehänselt und hasst ihren Namen dafür. Vor allem bringt dieser sie eines Tages auch noch in richtige Schwierigkeiten, als sie mit ihrer Rivalin Yisel eine Prügelei auf dem Schulhof anfängt. Als Strafe bekommen die beiden Mädchen von der Direktorin eine sehr seltsame Aufgabe. Beide müssen eine Woche lang einen schwarzen Briefumschlag bei sich tragen, der versiegelt ist und den sie keinesfalls öffnen und über den sie außerdem mit niemandem reden dürfen.
Durch diese scheinbar leichte, jedoch unerwartet nervenaufreibende Aufgabe – da sie unbedingt wissen wollen, welche Bestrafung innerhalb des Umschlages auf sie wartet – nähern sich die beiden unterschiedlichen Mädchen einander an. Es beginnt eine Reise durch Aninas Welt mit allen Träumen und Ängsten, die das kleine Mädchen umtreiben.
Kritik: Von den drei Filmen, die wir uns aus dem diesjährigen Programm der Generation angesehen haben, ist Anina wohl der am ehesten kindgerechte. Der Animationsfilm ist sehr ansprechend gestaltet und zeugt von komischen bis hin zu überspitzt-klischeehaften Illustrationen. Er weist an vielen Stellen Situationskomik auf, die vor allem im Zusammenhang mit Aninas Vater auffallen. Die einzelnen Charaktere sind sehr genau gezeichnet und für Kinder nachvollziehbar. Es gibt allerdings auch kaum Unerwartetes, weshalb der Film für ältere Kinder und Erwachsene zwar lustig, aber nicht allzu tiefsinnig ist. Die Moral hinter dem Film wird dennoch nicht zuletzt für Kinder einprägsam. Die Angst vor Bestrafung und Gehorsam hat sich bei Anina so sehr festgesetzt, dass in ihren Träumen irreale und auch angsteinflößende Bilder und Situationen hervorgerufen werden. Doch wie sich herausstellt, beabsichtigt die Direktorin genau das Gegenteil: Dadurch, dass sich Anina mit ihrem Verhalten und ihren Vorurteilen auseinandersetzt, nimmt sie sich und ihre Umgebung ganz anders wahr und bekommt dadurch ein ganz neues Selbstbewusstsein. Ein wirklich witzig animierter Film, der Eltern und Kinder begeistern kann.
Red Princesses
Regie: Laura Astorga Carrera / Costa Rica / Venezuela
14plus
Wir befinden uns in den frühen 80er Jahren. An der nicaraguanischen Grenze flieht eine Familie ins benachbarte Costa Rica. Die 11-jährige Claudia und ihre jüngere Schwester Antonia erleben die Revolution auf den Straßen hautnah vom Rücksitz ihres Autos. Ihre Eltern sind sandinistische Aktivisten, die ihre Kinder in Sicherheit bringen wollen. Doch auch in Costa Rica geht der politische Kampf weiter.
Während die beiden Mädchen versuchen, sich in ihr neues Leben einzufinden, werden Pässe gefälscht, Wohnungen gewechselt und seltsame Telefonate geführt. Permanent werden die Kinder aus ihrer gerade aufgebauten Normalität herausgerissen und das für eine politische Idee, die sie versuchen zu leben, jedoch nicht nachvollziehen können.
Trotzdem versuchen Claudia und Antonia ihr Leben irgendwie ins Lot zu bekommen. Ob es die regelmäßigen Stunden im Chor sind, das Sammeln von Pionieransteckern oder der geschwisterliche Zusammenhalt. Doch dann verschwindet ihre Mutter und nichts scheint wieder normal werden zu können.
Kritik: Princesas Rojas ist ein Film, der mit sehr einfachen Mitteln eine sehr kleine aber unheimlich fesselnde Geschichte erzählt. Man sieht die Welt und die damalige Zeit aus den Augen der Kinder, wodurch nicht alles verständlich ist, was die Erwachsenen machen oder entscheiden, aber auch ein gewisser Grad an Spannung aufrecht erhalten wird. Da man die gleichen Situationen wie Claudia und Antonia erlebt, und die Aktionen der Eltern teilweise unverstanden bleiben oder sogar ungerecht erscheinen, wird ein spürbares Band zwischen den Geschwistern und dem Zuschauer geknüpft, was die Intensität des Filmes – auch wenn nur Alltagsgeschichten mit gelegentlichen Zwischenfällen widergegeben werden – ungemein steigert. Man kann nie genau absehen, wie es weitergehen wird, ganz so wie im richtigen Leben. Und das Ende kommt abrupt und überraschend. Auch wenn es in diesem Film um politische Themen geht, so trifft er doch keine Aussage über gut oder schlecht, falsch oder richtig. Er zeigt einzig und allein den Einfluss, den Politik auf eine Familie haben kann. Princesas Rojas ist sehr gut für Kinder geeignet, da dieser Film aus der Sicht der Kinder agiert und auch die intensive Geschwisterliebe und die Opfer, die man zeitweise dafür bringen muss, sehr gut nachvollziehbar sind. Gleichzeitig führt er vorsichtig an die Wirklichkeit der Welt heran. Jedoch sollte man vielleicht vor dem Kinogang seinen Kindern einen gewissen Hintergrund vermitteln, da sonst die wenigen erkennbaren Zusammenhänge nicht mehr klar erscheinen. Von den drei Generations-Filmen, die wir gesehen haben, hat uns dieser am meisten überzeugt.
Three Kids
Regie: Jonas d’Adesky / Belgien
Kplus
Vitaleme, Pierre und Mickenson fristen ihr Dasein in einem Waisenhaus in Port-au-Prince. Die Tage sind geprägt von Schule, Fußball und Steinchenspielen. Bis eines Tages das größte Erdbeben Haiti erschüttert, das die Insel je gesehen hat. Kurzerhand ergreifen die Jungen die Flucht und finden sich auf den Straßen der Hauptstadt wieder. Die Freiheit, der sie sich vorher beraubt fühlten, liegt ihnen nun zu Füßen.
Nach und nach bauen sie sich ein neues Leben auf: ein leer stehendes Haus, eine ausrangierte Matratze, ein neuer Gott. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie die meiste Zeit mit dem Stehlen von Dingen, die sie brauchen oder die sie weiterverkaufen können.
Doch eines Tages wird Vitaleme durch einen Zufall von den anderen getrennt und sieht sich mit der Einsamkeit, die die Freiheit mit sich bringen kann, und Geistern seiner Vergangenheit konfrontiert. Es bleibt die Ungewissheit, ob er seine Freunde wiederfindet und ob sie zusammen einen neuen Weg in ihre Zukunft beschreiten können.
Kritik: Haiti. 2010. Wenn man diese Wörter hört, schleichen sich automatisch viele Bilder in den Kopf. Zerstörte Häuser, Trümmer, begrabene Menschen, Hilfsorganisationen. Das große Erdbeben Haitis war das schwerste in Amerikas jüngerer Geschichte und eine verheerende Katastrophe. Umso mehr ist es Twa Timoun anzurechnen, dass er sich nicht nur darauf reduziert. Das besagte Beben wird tatsächlich nur mehrere Sekunden in Form von unscharfen Bildern und dem Wackeln der Kamera dargestellt. Es hat keinen großen Einfluss auf der Verlauf der Geschichte, außer, dass die drei Jungen es als Gelegenheit zur Flucht aus dem Waisenheim wahrnehmen. Niemand muss hier also mit einem Katastrophenfilm rechnen. Tatsächlich versucht der dokumentarisch anmutende Film den Alltag dreier Kinder einzufangen, der auch schon vorher nicht in „Ordnung“ war, auf der Suche nach ihrer Bestimmung im Leben. Die Vergangenheit wird gekonnt mit verschiedensten filmischen Mitteln in Szene gesetzt und auch die Performance der Laiendarsteller Vitaleme, Pierre und Mickenson ist sehr überzeugend. Jedoch entsteht kein packender Spannungsbogen. Zu oft werden Szenen von Fußballspielen gezeigt oder es entstehen schleichende Pausen, die keine Aussagekraft haben. Alles in allem birgt der Film gelungene, authentische Szenen, findet jedoch nicht zu einem runden Ganzen.
Text von Laura Goede und Sophie Gottschall