Jugendliteraturpreis 2012 – Nominierungen Bilderbuch

Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2012 im Bereich Bilderbuch sind sechs wundervolle Werke japanischer, polnischer, schwedischer und deutscher Autoren. Von Hildegard Müllers Cowboy bis zu Ken Kimuras 999 Froschgeschwistern.

Yvonne Hergane/ Christiane Pieper: Einer mehr | ab 2 Jahre | 24 Seiten | Peter Hammer Verlag | 978-3-7795-0335-4 | 12,90 Euro
bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Der Betrachter begleitet kleine Jungen durch einen Tag in der Kita. Da geht es turbulent und abwechslungsreich zu: Man zankt und vergnügt sich im Planschbecken, weint, als es luft- und wasserleer zurückbleibt, spielt Nachlaufen, baut Berge und Meer im Sandkasten, macht Streiche, lacht, isst, trinkt und schläft.

Die kleine Geschichte startet mit einem Jungen und auf jeder Seite kommt ein weiterer dazu. Am Ende sind es dann ganz kurz einmal zehn, bevor sie durch einen Streich des einen wieder auseinanderstieben. Dieses Erzählprinzip verstehen bereits ganz junge Kinder und fallen alsbald von selbst mit dem Ruf „Einer mehr!“ beim Vorlesen an passender Stelle ein. Neben diesem Refrain bietet auch die je eigene Farbigkeit der Doppelseiten eine gute Orientierung für die Kinder.

Die comic-hafte Darstellung der kleinen Kerle ist trotz kargen Strichs bewunderungswürdig ausdrucksstark in Mimik und Körpersprache und macht sie zu Sympathieträgern mit viel Identifikationspotenzial. Das handliche Pappbilderbuch im Querformat begeistert schon die Kleinsten mit seinen schwungvollen Reimen.

 

Ken Kimura/ Yasunari Murakami: 999 Froschgeschwister ziehen um | ab 3 Jahre | 48 Seiten | NordSüd Verlag | 978-3-314-10017-8 | 13,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Als sie noch Kaulquappen waren, reichte der Platz für alle. Aber nun ist es mit 999 Froschkindern viel zu eng geworden im Teich. Daher wollen die Eltern Frosch mit ihrem quirligen Haufen umziehen. Das bedeutet viel Stress für Mama und Papa. Schon bald beginnen die Kleinen zu quengeln, wie man es eben von Kindern auf Reisen kennt: Hunger, Durst, Müdigkeit. Außerdem lauern unterwegs zahlreiche Gefahren – die Schlange, die kleine Frösche „mit einem Biss“ verschlingen kann, oder der hungrige Falke. Der aber hat die Rechnung ohne die beherzte Froschfamilie gemacht: Unfreiwillig wird er zum Umzugshelfer und so landen schließlich alle wohlbehalten in einem neuen Teich.

Die Bilder von Yasunari Murakami – eine Mischtechnik aus Aquarell-, Wachsmal- und Buntstiften – gewähren dem Leser dank der Weißflächen viel Freiraum. Geschickt ausgewählte Perspektiven und originelle Bilddetails fordern zum genauen Schauen auf. Zumeist in Hauptsätzen erzählt und mit viel wörtlicher Rede lässt sich der Text prima vorlesen. Eine frische Umzugsgeschichte, die den Betrachter durch die lichte Bildgestaltung anlockt.

 

Hildegard Müller: Der Cowboy | ab 4 Jahre | 32 Seiten | Carlsen Verlag | 978-3-551-51746-3 | 12,90 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Anna ist mit ihrem rollenden Spielzeug-Hund Toto unterwegs zum Meer. Am Strand sitzt lässig ein Junge mit einem viel zu großen Cowboyhut im Liegestuhl – nichts rührt sich, nur ein loses Holzteil am Liegestuhl schaukelt im Wind. Seinen Hut hat der „Cowboy“ tief ins Gesicht gezogen, ein langes Lasso hängt über seiner Schulter. Anna läuft mit erhobenem Kopf vorbei – völlig unbeeindruckt von dem Jungen mit dem „ganz blöden Cowboyhut“. Ihr Toto soll schwimmen lernen, doch bald schon trägt eine hohe Welle ihn weit hinaus aufs Meer. Erwachsene Strandbesucher kommen angelaufen, aber keiner handelt. Da kommt – von ganz hinten – die knappe Frage: „Gibt`s ein Problem?“ Der Cowboy tritt auf. Und löst das Problem. Jetzt findet Anna ihn doch ganz sympathisch und wir sehen die beiden im letzten Bild – sie mit Lasso, er mit Toto.

Hildegard Müllers kräftige Striche wirken wie Kreidezeichnungen. Ihre Bildkompositionen fokussieren das Geschehen unmittelbar, man sieht nur, was wirklich wichtig ist, nichts ist überflüssig. Auch der Text ist auf das Wesentlichste begrenzt. Ein Bilderbuch, erzählt in Filmsequenzen, puristisch in Form und Farbe, mit viel Gefühl und Happy End.

 

Ija Lindenbaum: Mia schläft woanders | ab 5 Jahre | 40 Seiten | Oetinger Verlag | 978-3-7891-7546-6 | 12,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Mia ist aufgeregt: Sie besucht ihre Freundin Cerisia, um dort zu übernachten. Doch bald schon empfindet sie Fremdheit und Befremden: Das Abendessen schmeckt irgendwie „komisch“ und sie ekelt sich vor Cerisias Hund. Überhaupt setzt die Freundin ihr Hausrecht allzu forsch durch. Kurz: Mia fühlt sich gehörig unwohl und die Freundschaft zwischen den beiden eigenwilligen Mädchen steht auf dem Prüfstand.

Die opulente bildliche Umsetzung erinnert an eine Opernbühne – vor allem durch die Darstellung der Räume mit ihren Verzerrungen und dem genauen Blick für Proportionen. Großartig ist auch der Einsatz kräftiger Farben vom warmen Gelb der Abendessenszene über das tiefe Purpur für die Traumszenen und die Schwärze der Nachtszenen. Zahlreiche skurrile Details machen das Bilderbuch zu einem großen Schauspaß. Eine ganz alltägliche Kindererfahrung wird in Mia schläft woanders gegen den Strich gebürstet und Mias Erleben in beeindruckende Bilder und einen klugen Text gefasst.

 

Nikolaus Heidelbach: Wenn ich groß bin, werde ich Seehund | ab 6 Jahre |  32 Seiten | Beltz & Gelberg | 978-3-407-79443-7 | 14,95 Euro
bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Ausgehend von irischen und schottischen Mythen um Frauen, die eigentlich Seehunde sind, erzählt Heidelbach die Geschichte eines Jungen, der mit Mutter und Vater, einem Fischer, an einer Meeresküste lebt. Die Mutter wird die Familie verlassen.

Der ruhige Text lässt mit seinen kunstvoll knappen Sätzen dem Leser einen großen Spielraum für eigene Vorstellungen. Was Heidelbach mit Wasserfarben auf Papier, mit Gouache und Buntstift zaubert, sind nie zuvor gesehene Bildwelten voller Magie. Die Meereswelt schwimmt dem Betrachter förmlich entgegen und beim zweiten Blick erkennt er, dass die Seewesen beispielsweise menschliche Gesichter haben oder der Wal auf seinem Rücken einen ganzen Königspalast trägt. Mit einer ungeheuren Lebendigkeit in der Figurendarstellung und in den intensiven Landschaftsbildern entsteht eine Atmosphäre, in der ein Geheimnis ein Geheimnis bleiben darf – bis der Leser es selbst entschlüsselt.

Nikolaus Heidelbach zeigt in diesem rundum besonderen Bilderbuch noch einmal neue und andere Facetten seines künstlerischen Schaffens und hat ein Kleinod der Erzähl- und Bildkunst für Kinder vorgelegt.

 

Iwona Chmielewska: Blumkas Tagebuch | ab 9 Jahre | 64 Seiten | Gimpel Verlag | 978-3-9811300-6-5 | 29,90 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Schon die ersten Seite macht neugierig: Eine Gruppe von Kindern, sichtlich nicht aus unserer Zeit, zeigt sich dem Fotografen. Die Tagebuchschreiberin Blumka stellt zwölf Kinder aus dem Waisenhaus des polnischen Pädagogen Janusz Korczak vor – sich selbst zuletzt. Jedes Kind wird in seiner gegenwärtigen Individualität dargestellt, denn Details der traurigen Biografien werden nur angedeutet und dies eher im Bild als durch den Text. Der zweite Teil des Buches ist „ihm“ gewidmet: „Und das ist unser Doktor“, sagt Blumka auf der Doppelseite, die den Leiter des Heims beim Wäscheaufhängen zeigt – eine gekonnt verknappte Charakterisierung der pädagogischen Arbeit Korczaks. Blumka schildert dessen Ansichten darüber, wie Menschen miteinander umgehen sollten, und jede Begebenheit ist eine Miniatur von Prinzipien einer humanistischen Pädagogik.

Für die Collagetechnik wird leitmotivisch vergilbtes, liniertes Schreibpapier verwendet, wie es aus Blumkas Tagebuch stammen könnte. Und zwar immer dann, wenn es um Wesentliches geht. In den knappen Texten schwingen unausgesprochene Gedanken mit, die sich mit Details der Illustration zu komplexen Aussagen verbinden. Blumkas Tagebuch ist ein künstlerisch beeindruckendes und emotional berührendes Bilderbuchkunstwerk, das sein Thema für Kinder nachvollziehbar umsetzt – und das auf eine tiefgründige Weise
.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner