Jugendliteraturpreis 2012 – Nominierungen Sachbuch

Gute Sachbücher für Kinder und Jugendliche erklären nicht nur, sondern machen neugierig, stellen Fragen und geben Anregungen, die Welt zu erforschen und besser verstehen zu lernen. All dies trifft auf die nominierten Werke zu.

Tim Grabham/ Suridh Hassan/ Dave Reeve/ Clare Richards/ Garry Parsons: Filmwerkstatt. So drehst du deinen eigenen Film mit Handy oder Digitalkamera | ab 7 Jahre | Dorling Kindersley | 978-3-8310-1809-3 | 16,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
„Kamera läuft!” – und zwar praktisch sofort, wenn man die verheißungsvolle Schachtel geöffnet hat. Die Filmwerkstatt ist ein niederschwelliges Mitmachbuch mit hohem Aufforderungscharakter, bei dem die Kinder selbst aktiv werden können. Sie liefert das nötige Material und die passenden Anweisungen, um ohne großen Aufwand erste kleine Filme mit respektablen Ergebnissen zu drehen, wie beispielsweise einen Stop-Motion-Film, der sich stolz im Wohnzimmer-Heimkino vorführen lässt. Kernstück ist das Handbuch Regie, das nach einer pragmatisch einfach gehaltenen Einführung mit Informationen über Vorbereitung, Aufzeichnung, Ton, Licht oder Nachbearbeitung zur Produktion von Spielfilmen, Dokumentarfilmen und Animationsfilmen einlädt. Dabei lernen die Leser zentrale Begriffe der Filmproduktion und der Filmanalyse kennen, die jeweils bildlich und verbal veranschaulicht werden. Neben dem Handbuch gibt es noch ein Geräuschearchiv, Material für ein Animationsstudio oder Requisiten. In Text und Bild wirdein komplexes Medium verständlich dargestellt, das zum eigenen Tun animiert und ohne erwachsene Anleitung auskommt.

 

Anke M. Leitzgen/ Lisa Rienermann: Erforsche deine Welt. Mit 100 Forscherfragen durchs ganze Jahr | ab 8 Jahre | 160 Seiten | Beltz & Gelberg | 978-3-407-75359-5 | 16,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Dieses schön und aufwändig gestaltete Experimentierbuch für Kinder hebt sich nicht nur in seinem ästhetisch ansprechenden Layout von anderen Büchern des Genres ab: Erstens findet der Leser neben dem bekannten Repertoire von Experimenten viele mit ausgefallenen und neuen Themen. Und zweitens wird das Forschen selbst vorgeführt. Es ist die Haltung des Suchens, des Ergründenwollens – kurz: einer grundlegenden Neugier, die auch den zahlreichen Forschungsaufträgen unmittelbar eingeschrieben ist. Jede Erforschung geht von einer bestimmten Beobachtung aus, die in Bild und Wort dargestellt ist. Dann werden die notwendigen Materialien aufgeführt und jeweils kommentiert, welche Forschertätigkeit im Vordergrund steht – sei es das Beobachten, das Vergleichen, das Sammeln, Sortieren oder Abbilden. Das Buch liefert auf knapp 160 Seiten ein verblüffend großes Spektrum an Forschungsgebieten und Einblicken in die Physik, Chemie und Biologie, wie es oft nicht einmal Fachbüchern gelingt. Es zeigt originelle Perspektiven auf alltägliche und selbstverständliche Abläufe, die der Gleichgültigkeit ihnen gegenüber nachhaltig schaden: „Losgeforscht!“

 

Oscar Brenifier/ Jacques Després: Was, wenn es nur so aussieht, als wäre ich da? | ab 10 Jahre | 96 Seiten | Gabriel Verlag | 978-3-522-30267-8 | 14,90 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Ich denke, also bin ich? Die Frage nach dem Sein beschäftigt uns Menschen ebenso immer wieder wie: Was ist wirklich? Oder: Was ist wahr? Um solche zentrale philosophische Grundfragen geht es in diesem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Buch. Schon die digital erstellten, aber wie fotografiert wirkenden Szenen mit den comic-artigen Figuren, die jede Frage illustrieren und veranschaulichen, ergeben interessante und überraschende Momente für den Betrachter. Die innovativen Illustrationen werden durch Texte ergänzt, die  strukturiert die wichtigen Fragen der Philosophie behandeln und Antworten geben, die über die Vermittlung des in Schule und Beruf verwertbaren Wissens weit hinausgehen. Norbert Bolz hat den Text in einer gekonnten Balance von Einfachheit und Anspruch übersetzt. Der Leser erfährt viel über die Welt der Philosophie und wird zum Weiterphilosophieren angeregt: Ich denke, also bin ich!

 

Heekyoung Kim/ Krystyna Lipka-Sztarballo: Wo geht’s lang? Karten erklären die Welt | ab 10 Jahre | 48 Seiten | Gerstenberg Verlag | 978-3-8369-5352-8 | 12,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Eine fremde Stadt, ein fremdes Land, ein fremder Kontinent gar: Wie finden wir uns zurecht? Und wo geht’s lang? Hätten wir keine Landkarten, Atlanten oder Stadtpläne, müsste jeder Weg, immer wieder neu gefunden werden. Eine wunderbare Idee, dieses Thema in einem Kindersachbuch aufzugreifen! Aber nicht nur die Themenwahl überzeugt, sondern auch die ganz besondere Weise der Vermittlung kartografischen Wissens aus Vergangenheit und Gegenwart. Die asiatische Perspektive der Autorin auf die Karten der Welt allein veranschaulicht schon, wie sehr der eigene Standort die Weltkarte in unserem Kopf prägen kann – ein wichtiger Gedanke im Rahmen der Globalisierung. Denn Wo geht’s lang? zeigt nicht nur in dieser spezifischen regionalen Perspektive, wie Karten die Sicht auf die Welt und wie die Sicht auf die Welt Karten verändern können. Die Illustrationen auf hohem Niveau sind äußerst abwechslungsreich gestaltet und ergeben in ihrer Vielfalt dennoch ein harmonisches Ganzes. Das im positiven Sinn sperrige Sachbuch regt an zur Auseinandersetzung, macht das mehrmalige Anschauen lohnend und präsentiert ein zentrales Thema auf geniale Weise.

 

Fabrizio Silei/ Maurizio A.C. Quarello: Der Bus von Rosa Parks | ab 11 Jahre | 40 Seiten | Jacoby & Stuart | 978-3-941787-40-7 | 14,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Rosa Parks erlangte Berühmtheit, weil sie im Jahr 1955 ihren Sitzplatz im Bus nicht einem anderen Fahrgast überlassen wollte. Sie war schwarz, er weiß. Diese Geschichte erzählt ein Großvater und damaliger Augenzeuge des Geschehens seinem Enkel. Es war einer jener Momente in der Geschichte, nach denen nichts mehr wie zuvor sein kann.

Der Großvater berichtet von der Atmosphäre jener Zeit der Rassentrennung und der Diskriminierung. Den Text begleiten und überbieten bisweilen die für ein Sachbuch aufregend künstlerischen Illustrationen mit meisterhaft gewählten und ausgeführten Perspektiven in film-ästhetischer Anmutung. Überzeugend ist auch die einfache, aber wirkungsvolle Idee, die Bilder der Vergangenheit in Schwarz-Grau-Weiß-Tönen darzustellen, die der Gegenwart in praller Farbigkeit. Nicht nur diese erinnert an Hoppers Bilder: Die letzte Doppelseite des Buches zeigt eine kluge Adaption eines Hopperschen Gemäldes, das die historischen Verhältnisse im wahrsten Sinne ver-rückt und dem Heute anpasst. Dieses Buch ermutigt zur Zivilcourage im alles entscheidenden Moment. Und man kann es über Jahre hinweg mit Gewinn aus wechselnden Perspektiven und unter neuen Gesichtspunkten betrachten.

 

Reinhard Osteroth/ Moidi Kretschmann: Holz. Was unsere Welt zusammenhält | ab 12 Jahre | 192 Seiten | Bloomsbury | 978-3-8270-5449-4 | 16,90 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Auf innovative Weise folgt der Leser dem Werkstoff Holz durch die Kulturgeschichte und alle Bereiche des täglichen und weniger alltäglichen Lebens. So wird Fragen auf den Grund gegangen: Welche Hölzer eignen sich für den Bau von Musikinstrumenten? Wie wird Holz in welcher Form zum Heizstoff? Wie wird Holz beim Schiffsbau eingesetzt? Der jahrtausendealte Werkstoff wird in thematischer Breite dargestellt und sogar komplizierte ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen werden, auf den Leser abgestimmt, beantwortet. Typografie und Papierart passen sich dem Erzählten auf vielfältige Weise an. Bildmaterial und Zeichnungen aus Gegenwart und Vergangenheit komplettieren die Darstellungen. Neben den in sich abgeschlossenen Themenkapiteln sind auch die jeweils wiederkehrenden Rubriken sehr gelungen: Die Geschichte einer Kommode und ihrer Restaurierung durchzieht das Buch wie ein roter Faden und bringt so einen persönlichen Aspekt ein. „Seitenblick“ widmet sich neben Fachbegriffen auch Kuriosa rund um das Thema Holz. Und in der Rubrik „Baum und Wald“ gefällt besonders die exemplarische Anlage, in deren Zentrum jeweils die Eiche steht. Wer glaubt, ein ganzes Buch über Holz könnte langweilig sein, wird hier eines Besseren belehrt.