Blick in eine ungewisse Zukunft

STADTGESTALTEN München: Dem Münchner Geburtshaus droht das Aus. Die Suche nach neuen vier Wänden läuft auf Hochtouren. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Susanne Braun.

Den Schuhen nach zu urteilen, muss die Familie, die hier wohnt, recht groß sein. Gut 20 Paar stehen im Flur, ganz sauber und ordentlich aufgereiht. Die Garderobe quillt vor lauter Jacken und Mänteln fast über. Trotzdem herrscht eine sehr angenehme Ruhe. Nur der Parkettboden unter den Füßen knarzt etwas. Zu sehen ist niemand. Spielzeug steht herum. Sowie Gläser auf der Fensterbank, neben Flaschen mit Wasser, Apfelsaft und Orangensaft. Von der Decke baumelt eine Lampe, die wie ein riesiger Schneeball aussieht.

Plötzlich öffnet sich eine Tür, eine Frau lächelt und meint: „Komm herein, der Vorbereitungskurs für Paare ist hier.“ Ein Vorbereitungskurs für Frauen, die ein Kind erwarten. Die eine außerklinische Geburt planen. Und so laufen im „Geburtshaus München“ auch keine Ärzte in weißen Kitteln herum, sondern Hebammen. Kreißsäle gibt es ebenfalls nicht, sondern Geburtszimmer. Genauer gesagt zwei, die wie große, gemütliche Schlafzimmer aussehen. Nur der Wickeltisch mit Wärmelampe verrät, dass hier eher weniger geschlafen wird.

Die schöne, große Altbauwohnung beherbergt also keine Großfamilie. Zwölf Hebammen kümmern sich im Geburtshaus – das einzige in München – um schwangere Frauen und deren Partner, begleiten diese auf ihrem Weg, eine Familie zu werden – vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit. Doch dem Geburtshaus droht das Aus.

Nach 20 Jahren – in denen einige tausend Kinder geboren, fast ebenso viele Familien gegründet und zahllose Menschen glücklich gemacht wurden. Allein im vergangenen Jahr brachten die Hebammen im Geburtshaus über 245 Babys zur Welt. Doch der Mietvertrag wurde gekündigt und eine Verlängerung steht nicht in Sicht.

„Wir haben bislang noch keinen Ersatz gefunden. Im Juli müssen wir draußen sein“, sagt Susanne Braun, die Geschäftsführerin des Münchner Geburtshauses und ärgert sich. „Wir hätten schon etwas mehr Unterstützung von der Stadt erwartet. Aber wir geben nicht auf, sind dankbar für jeden Tipp und jede Unterstützung.“

In Neuhausen, direkt an der Nymphenburger Straße, arbeiten die Hebammen auf einer Fläche von 175 Quadratmetern. Unterteilt in sechs Räume: zwei Geburtszimmer, zwei Beratungszimmer, ein Kursraum und ein kleines Büro. Dazu ein Bad mit großer Wanne sowie ein Schmutzraum. „Wir brauchen eigentlich noch mehr Platz. Mit einem separaten Schmutz- und Sauberraum, einem weiteren Geburtszimmer und Kursraum sowie einem größeren Büro- und Gemeinschaftsbereich für uns Hebammen“, meint Braun und erklärt: „275 Quadratmeter wären ideal – wie bisher in zentraler Lage, mit einer guten Anbindung und in der Nähe einer Klinik.“

Momentan arbeitet das Geburtshaus vor allem mit der Taxisklinik eng zusammen, wenn es zu Komplikationen kommt. „Aber die treten selten auf. Wir vertrauen der natürlichen Kraft des Menschen und kennen uns bestens mit ihr aus.“

275 Quadratmeter, zentrale Lage, gute Anbindung – ein solches Mietobjekt ist besonders in München nur sehr schwer zu finden. Das weiß auch Braun. „Zumal wir keine einfachen Büroräume suchen, sondern einen Ort, an dem sich die schwangeren Frauen wohl und geborgen fühlen“, erklärt sie. Das sei schon vor 20 Jahren schwierig gewesen. Damals gab es bereits in Berlin mehrere Geburtshäuser. 1994 eröffneten schließlich sechs Hebammen das „Geburtshaus München“. Von dem Gründungsteam ist noch eine Hebamme aktiv. Dorothea Zeeb gibt weiterhin Kurse in den Räumlichkeiten, die Susanne Braun mit ihren elf weiteren Hebammen bald verlassen muss. Dann gäbe es in München kein Geburtshaus mehr.

Obwohl die Nachfrage steigt. Denn München wächst. Immer mehr Menschen zieht es in die bayerische Metropole, immer mehr Kinder werden geboren. Und in den Kliniken herrscht großer Personalmangel. Eine Hebamme muss sich oft um drei oder vier Geburten gleichzeitig kümmern. „Im Geburtshaus bieten wir neben einer sehr familiären Atmosphäre eine sehr intensive, ganzheitliche und individuelle Eins-zu-Eins-Betreuung“, sagt Braun und betont: „Es wäre sehr schade, wenn die Frauen und Familien in München nicht mehr die Wahlmöglichkeit hätten, sich zwischen Hausgeburt, Geburtshaus oder Klinik zu entscheiden.“

Mittlerweile ist der Vorbereitungskurs im Geburtshaus vorbei. Bettina Eisenhut, eine der Hebammen, verabschiedet die werdenden Mamas und Papas. Und sie lächelt. „Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass es in München bald kein Geburtshaus mehr geben soll“, sagt sie. „Dafür ist eine außerklinische Geburt eines Kindes etwas viel zu Wichtiges, Elementares und Schönes im Leben. Denn ein Kind ohne medizinische Hilfsmittel, ohne Druck und Stress, aus eigener Kraft auf die Welt zu bringen, ist ein unglaubliches Gefühl und Glück. Für die gesamte Familie.“

Alle weiteren Infos zum „Geburtshaus München“ und wie man die Hebammen unterstützen kann: www.geburtshaus-muenchen.de

Text: Sebastian Schulke