Familie kann man sich nicht aussuchen, man wird einfach hineingeboren. Ganz gleich, ob man mit Geschwistern oder als Einzelkind, in klassischer Kleinfamilie, Patchwork- oder Regenbogenkonstellationen aufwächst, ob die Verwandtschaft im selben Ort lebt oder über die ganze Republik verstreut, diese Menschen und ihre Geschichten, prägen uns, und sei es durch ihre Abwesenheit ...
Besonders zu Weihnachten sind bei vielen Leuten diese Familienbande mit all ihren Verwicklungen besonders präsent, wenn es zu klären gilt, wer wann wo mit wem feiert. Schön, wenn man es organisiert bekommt, eine große Runde friedlich unter dem Weihnachtsbaum zu versammeln.
Aber Anlässe gibt es ja viele, bei denen Familienzweige aufeinander treffen, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben. Aus Kindersicht tauchen da durchaus manch schräge Gestalt und Verhaltensweise auf, aber eben auch der bewunderte coole Sprayer-Onkel, die als Schauspielerin erfolgreiche Tante oder die Cousine mit eigenem Pferd. Vom Alltag der Kindheit bleibt einem meist nicht allzu viel im Gedächtnis, aber an die Familienfeiern mit ihren Skurrilitäten erinnert man sich oft so lebhaft wie Autorin Katinka Buddenkotte an die Geburtstagsfeiern ihrer Oma.
Ob Blut dicker als Wasser ist, sei mal dahingestellt, aber die Verwandten begegnen einem im Leben immer wieder und gerade wir als Generation zwischen heranwachsenden Kindern und alternden Eltern stellen fest, dass Familie doch mehr Bedeutung hat als wir vielleicht manchmal dachten.
Also sollte man die Familienfeste feiern wie sie fallen und die Kinder am besten immer mittendrin – so wie bei Theresas Einschulung, der Hochzeit von Juris und Finjas Eltern oder dem Familientreffen bei Martha und Ella.
Familientreffen: Die Hochzeit von Juris und Finjas Eltern
Dass all seine liebsten Menschen bei der Hochzeit seiner Eltern versammelt sind, gefällt dem dreijährigen Juri bestens. Alle sind gerührt, mit welch feierlichem Ernst seine Schwester Finja ihre Mutter auf dem Weg zur Open-Air-Trauung am Seeufer begleitet.
Obwohl hinter Antje und Stefan schon dreizehn gemeinsame Jahre liegen, erleben ihre Kinder zum ersten Mal bewusst, dass die Familien aufeinandertreffen, die sich bislang erst zwei Mal begegnet sind. Zu weit auseinander leben alle, niemand aus der Familie wohnt in der selben Stadt wie das Hochzeitspaar und seine Kinder.
Doch für Juri und Finja stecken beide Familienzweige voller wichtiger Bezugspersonen, die sie mehrmals im Jahr sehen. Antje und ihre fünf Geschwister pflegen schon immer einen starken Zusammenhalt. Praktischerweise leben aber immer gleich mehrere Familienmitglieder auf einem Fleck, sodass die Besuche bei ihnen immer kleine Familientreffen sind.
Finjas Onkel Thomas wohnt mit seiner Familie im Haus seiner Eltern und wiederholt so die Konstellation, in der er und Stefan großgeworden sind: Oben die Großeltern, unten die junge Familie. Auch Antjes Geschwister Ines und Marc teilen sich ein Haus, sodass dort gleich vier Cousinen und Cousins auf Finja und Juri warten, die sich auf die Besuche dort genauso freuen wie auf die bei Oma Ulrike, Opa Manfred und Tante Inken. Aber alle zusammen zu erleben, in festlicher Kleidung und Stimmung, ist natürlich noch viel besser!
Familientreffen zu Pfingsten bei Martha und Ella
Einmal im Jahr lädt Marthas und Ellas Opa Harald zu Pfingsten seine vier Kinder samt Anhang zu einer gemeinsamen Reise ein – schon die Organisation bringt die Familie mehrmals bei Kaffee und Kuchen zusammen. Familientreffen sind für Ella und Martha jedenfalls nicht etwas, was auf besondere Anlässe beschränkt ist – ihre in der selben Stadt lebenden Verwandten sind feste Bestandteile des alltäglichen Lebens.
Cousine Lola fungiert schon seit Jahren als heißgeliebte Babysitterin, Monique, ihre Großmutter mütterlicherseits, und Stiefopa Hartmut sind mindestens einmal in der Woche für die beiden Mädchen da und Onkel Adrian taucht häufig bei ihnen auf und hat dann immer Spannendes zu erzählen und mitzubringen von seinen Reisen.
Esther ist zwar nicht zusammen mit ihren Halbgeschwistern Isabelle und Adrian aufgewachsen, fühlt sich ihnen aber genauso eng verbunden wie ihrem Bruder Christoph, der mit seiner Frau und den drei Kindern weiter entfernt lebt.
Ein Gefühl, das ihre Töchter teilen. Sie haben einen guten Draht zu jedem Familienzweig, nicht zuletzt zu Oma und Onkel väterlicherseits, die am anderen Ende der Republik wohnen und es doch oft einrichten, die beiden zu sehen. Und so sind Martha und Ella der verbindende Faktor in dieser Patchworkkonstellation auf Großelternebene.
Familientreffen zu Theresas Einschulung
Endlich kann Theresa auch die letzte Bastion ihrer Schwester Elisabeth erobern, endlich Schulkind sein, darauf hat sich der willensstarke Lockenkopf schon lange irre gefreut. Heute steht sie im Mittelpunkt ihrer Familie, die sich zu der feierlichen Zeremonie in der Waldorfschule eingefunden hat.
Theresas Eltern Doro und Wolfgang sind beide die jüngsten von jeweils fünf Geschwistern, dementsprechend groß ist die Verwandtschaft und zahlreich die Anlässe für Familienfeiern. Ob Einschulungen, Geburtstage, Hochzeiten, Kon Rationen, Konzerte oder Premieren – Theresa und Elisabeth kennen es nicht anders, als dass ihre aus Musiker:innen, Künstler:innen und Schauspieler:innen bestehende Familie und enge Freunde oft und gerne zusammenkommen.
Da im Gegensatz zu Wolfgangs Hunderte von Kilometern entfernt lebenden Eltern und Geschwistern alle aus Doros Verwandtschaft in erreichbarer Nähe wohnen, spielen diese auch im Alltag von Theresa und Elisabeth eine lebhafte Rolle, besonders die großen Cousins Johann, Anton, Balthasar und Otto. In verschiedenen Konstellationen trifft
die Familie mindestens alle zwei Wochen aufeinander, unternimmt gemeinsam etwas oder verreist auch mal zusammen.
Alle teilen die Leidenschaft für gutes Essen, beinahe jedes Familienmitglied spielt mindestens ein Instrument – so geht es bei ihnen immer beschwingt zu, so wie an diesem sonnigen Einschulungstag voller Musik, Blumen und guter Wünsche für Theresas Zukunft.
Omas Geburtstag am Ende der Welt
Wir fahren zu Omas Geburtstag. Sie wohnt jetzt bei meinem Onkel und meiner Tante, weil sie alleine nicht mehr so gut klar kommt. Aber das weiß Oma nicht. Sie denkt, sie muss meiner Tante im Haushalt helfen. Viel machen kann sie da natürlich nicht, dafür ist sie zu alt, aber umso mehr Ratschläge geben, wie was gemacht werden sollte. So bleiben alle auf Trab, und das ist ja wichtig.
Wir sind keine große Familie, aber seit ich einmal die Stopp-Uhr meines Cousins ausgeliehen habe, weiß ich es mit Sicherheit: Wenn wir feiern, gibt es keine ruhige Minute. Als wir aus dem Auto steigen, ruft meine Schwester: „Juhu, wir sind am Ende der Welt!“. Meine Eltern lächeln, weil sie nicht „Arsch der Welt“ gesagt hat, so wie sie es manchmal tun. Meine Schwester und ich mögen das Ende der Welt, so zum Besuchen.
Oma wird 70, und ich schon bald sechs.
Dann komme ich in die Schule, und der Spaß ist vorbei, sagt meine Schwester. Ich freue mich trotzdem darauf. Schreiben kann ich ja schon, aber nur meinen Namen, und den in Spiegelschrift. Das hat mir Tante Ille beigebracht, und die Oma hat geschimpft.
Woher Tante Ille diese Flausen im Kopf hat, wollte die Oma wissen, und Tante Ille hat gesagt: „Na, von dir, Mami.“ Alle außer Oma haben gelacht, die hat sich zu sehr gewundert. Tante Ille ist sonst nie frech, und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie es jemals war. „Ach doch, als wir klein waren, schon“, hat mein Papa gesagt, aber dass die beiden mal klein waren, konnte ich mir noch weniger vorstellen.
In meiner Familie sind alle groß, aber die größte ist natürlich Oma.
Sie ist etwa so groß wie ein Schiff, und zieht sich an wie eine Couch. Meine Mama meint, das sollte ich der Oma besser nicht sagen, schon gar nicht an ihrem Geburtstag. Es gibt viele Dinge, über die ich nicht reden soll, bei den Verwandten. Dabei wird mein Bruder bald geboren, und meine Eltern haben mir genau erklärt, wie es dazu kommen konnte. Es hat viel mit Liebe und Natur zu tun, und ich nehme doch an, dass es für die Verwandten schon interessant ist.
Onkel Karl sagt ja immer: „Man lernt nie aus.“ Dann erzählt er zwei große Kuchenstücke lang Sachen, die ich nicht verstehe, weil er Mathelehrer ist. Kurz vor dem dritten Stück Kuchen sagt mein Papa dann: „Man lernt aber nicht so viel, wenn man immer nur selber redet, Karl.“ Und dann lacht auch Oma, denn Papa ist ja ihr Junge, der darf frech sein.
Meine Mutter hat die Oma beim letzten Geburtstag gefragt, ob Mädchen denn nicht frech sein dürften, und Oma wurde mal wieder ganz diplomatisch. Das ist ihre Spezialität: „Ach, wart‘s ab, du hast ja bisher nur Mädchen. Aber dein nächstes Kind wird ein Junge, da kennste dann den Unterschied.“
Nichts bleibt lange geheim
Meine Mutter hat gelächelt, bis unser Hund kurz darauf gemerkt hat, dass mein Bruder auf dem Weg ist. Der Hund bellt jede Frau an, die auch nur ein kleines bisschen schwanger ist, aber er kann natürlich nicht sagen, was für ein Kind es wird. Er ist ja kein Arzt, oder gar meine Oma. Aber beide zusammen sind schon zirkusreif, hat meine Cousine gemeint.
Ich würde weder den Hund noch Oma zum Zirkus geben, aber meine Cousine sagt manchmal Sachen, die sie gar nicht so meint, weil sie Schriftstellerin werden will. Aber erst lernt sie etwas Vernünftiges, sagen alle, und meine Cousine und ich zwinkern uns zu. Obwohl sie schon viel älter als ich ist, hat sie ein Geheimnis mit mir. Wir haben verabredet, vor den anderen immer ganz vernünftig zu tun, aber heimlich Schriftstellerinnen zu werden.
Das Geheimnis habe ich dann Tante Ille erzählt, und daraufhin hat sie mir dann das mit der Spiegelschrift gezeigt, damit es geheim bleibt. Aber ich glaube, Oma hat schon Lunte gerochen. Sonst würde sie mir ja nicht zu ihrem Geburtstag ein Schreibheft schenken, und meiner Schwester nicht. „Das war mal wieder sehr diplomatisch“, hat meine Mutter gemeint, und meine Oma hat so unwillig mit dem Kopf geschüttelt. Sie ist ja schon alt, und kennt ihre Talente, da muss man sie nicht dauernd drauf hinweisen.
Natürlich hat meine Schwester geweint, weil sie nur Milky Ways bekommen hat, die fast so alt wie Oma sind. Da Onkel Karl es nicht ertragen kann, wenn Kinder weinen, hat er meiner Schwester dann ein Buch geschenkt, und gesagt: „Hier, du bist ja schon groß, du kannst ja schon lesen.“ Meine Schwester hat gefragt, wieviel Geld sie bekommt, wenn sie die erste Seite davon zum Abendessen vorliest. Meine Oma meint, dass meine Schwester ein sehr geschäftstüchtiges Kind sei, das hätte sie von ihr.
Mein Vater hat gesagt, wenn meine Schwester es schafft, die erste Seite von „Moby Dick“ fehlerfrei aufzusagen, bekommt sie eine Mark. Dann habe ich geschrien, weil ich ja gar keine Chance hatte, auch geschäftstüchtig zu sein. Also hat meine Cousine angeboten, dass ich ihr eine Geschichte erzähle, sie die aufschreibt, und dann vorliest. Alle fanden die Idee toll, weil wir so ganz lange still und beschäftigt waren. Obwohl ich eine sehr ernste Geschichte erzählt habe, hat meine Cousine schon beim Schreiben gelacht.
Am Abend hat meine Schwester angefangen, aber schon beim ersten Satz hat sie sich vertan. „Es heißt nämlich: Nennt mich Isma-el, nicht Ismäl“, meinte Onkel Karl. Meine Schwester hat trotzdem zwei Mark bekommen, damit sie mit dem Schreien aufhört. Meine Cousine hat dann meine Geschichte gelesen: „Bald kommt ein Kind aus Mama heraus. Es ist mit viel Liebe darein gekommen. Genaueres darf ich nicht sagen, weil ihr ein bisschen spießig seid. Außerdem will Mama nicht, dass Oma jetzt schon weiß, dass sie Recht hatte, so wie immer. Aber ich hoffe, es wird ein freches Kind, so wie immer.“
Erst haben sich alle verschluckt, aber dann haben sie doch gelacht und meine Tante hat es in ihr kleines Büchlein hineingeschrieben, in das ich reingucken darf, wenn ich groß bin. Um dann zu verstehen, weshalb wir gelacht haben. Dabei weiß ich es jetzt schon: Wir sind einfach eine komische Familie.