Das Problem ist bekannt – der Wohnraum in Städten wie Berlin oder München ist knapp, besonders für Familien, und für Normalverdiener:innen zusehends unbezahlbarer. Andererseits gibt es nach wie vor viel Leerstand und ungenutzten Platz, sowohl in den eigenen vier Wänden als auch im öffentlichen Raum.
Su Ikes hat mit dem Wohnwendeökonom Dr. Daniel Fuhrhop über „einfach anders wohnen“ gesprochen, wie wir uns besser mit den Umständen einrichten und Flächen gemeinschaftlich nutzen können.
Denkt an das Zuhause eurer Kindheit. Wie viele Menschen lebten damals in wie vielen Zimmern? Vermutlich wohnten mehr Bewohner:innen auf weniger Platz als heute. Unser Wohlstand wird noch deutlicher, wenn wir uns von Eltern und Großeltern erzählen lassen, wie eng es in deren Kindheit zuging.
Wenn man mit Daniel Fuhrhop spricht oder seine Publikationen liest, wird klar: Heute rettet Platz sparen Freiräume in den Städten und es schont die Umwelt. Es ist Zeit darüber nachzudenken, mit weniger Fläche gut auszukommen.
Räume, die man nicht hat, muss man schließlich nicht heizen oder putzen und am meisten Energie sparen Häuser, die gar nicht erst gebaut werden.
Der Wohnwendeökonom berät Kommunen, wie sich Wohnraum besser nutzen lässt: durch Beratung von Eigentümer:innen, den Aufbau von Wohnraumagenturen, Modellen zum sicheren Vermieten an Menschen mit dringendem Bedarf, außerdem vermittelt er Generationen übergreifende Wohngemeinschaften.
In seinem jüngst erschienenem Ratgeber „Einfach anders wohnen! Entrümpeln, Einrichten, Wohlfühlen: 66 praktische Ideen für entspanntes Leben und Arbeiten zu Hause“ (erschienen im oekom Verlag/München 2024), legt er uns nahe, Platz zu schaffen, Platz besser zu nutzen und dadurch Freiräume zu gewinnen: für uns selbst, die Familie und Nachbarn – ja sogar für die ganze Stadt.
Allein im Jahr 2022 kamen 77.000 Menschen neu in die Hauptstadt. Sie alle suchen und brauchen bezahlbaren Wohnraum. Der Berliner Wohnungsmarkt ist – wie auch in München und den meisten anderen Metropolen – sehr angespannt.
Viele Familien müssen sich mit Kindern in den Wohnungen einrichten, in die sie mal kinderlos oder weniger Kindern eingezogen sind, weil sie schlichtweg keine größere finanzierbare Wohnung finden.
Interview mit dem Wohnwendeökonom Daniel Fuhrhop
Seit seinem Erstlingserfolg „Verbietet das Bauen!“ engagiert sich Daniel Fuhrhop für „anderes Wohnen“. Seine Erfahrungen als ehemaliger Architekturbuchverleger, OB-Kandidat, Kommunalberater und Autor von vier Sachbüchern fließen in den neuen Ratgeber „Einfach anders bauen“ ein.
Daniel Fuhrhop ist Associate Member bei Homeshare International. Er engagiert sich bei den Scientists for Future, Fachgruppe Bauen, Wohnen und Habitat. Und er meldet sich zu Wort auf Instagram unter @daniel.fuhrhop und Facebook @danielfuhrhopFB
Welchen Handlungsbedarf siehst du und was würdest du den zuständigen Planer:innen und Politiker:innen dringend raten?
Neu bauen ist teuer und funktioniert derzeit wegen der explodieren Preise schlecht, darum wird sich der Wohnungsmangel so nicht lösen lassen. Doch Wohnraum lässt sich auch durch anderes Wohnen schaffen: Es gibt viele, vor allem ältere Menschen, die überflüssige Zimmer oder Einliegerwohnungen gern anders nutzen würden, die sich aber allein nicht trauen.
Darum sollte die Politik Beratungs- und Vermittlungsprogramme für „soziales Wohnen“ starten, die älteren Eigentümerinnen helfen. Das hilft gegen Einsamkeit und setzt dringend benötigten Wohnraum frei.
Soziales Wohnen meint Programme, die beispielsweise älteren Menschen Mitbewohner:innen vermitteln, die im Haushalt oder Garten helfen. Übernehmen Kommunen das Risiko der Vermietung einer Einliegerwohnung, verringert das Ängste, die Menschen dabei haben.
Wie radikal wird sich die Aufteilung der Flächen in Stadt und Land zukünftig ändern (müssen), um lebenswertes Wohnen zu gewährleisten und eine sozialere Wohnungswirtschaft zu realisieren?
Der Wandel des Wohnens besteht aus vielen kleinen Wandeln: Jetzt schon ziehen manche Menschen um, bauen einige um, teilen andere Wohnraum. Wenn das immer mehr Personen tun, weil sie Lust dazu haben und dabei unterstützt werden, ändert sich das Wohnen.
Die Schritte mögen klein erscheinen, das Ergebnis nach vielen Jahren wird radikal sein.
Wie aber schaffen wir es, dem großen Wunsch nach mehr Platz und persönlichem Freiraum zu widerstehen, dafür die Vorteile einer lebendigen Nachbarschaft zu erkennen und mehr geteilte Flächen anzustreben?
Im Gegensatz zu dieser Fragestellung halte ich es für völlig berechtigt, wenn jemand, der auf engem Raum wohnt, sich mehr Freiraum wünscht. Es gibt zugleich andere, die überflüssigen Wohnraum haben und diesen nicht mehr benötigen.
Wenn wir deren Wünsche unterstützen, profitieren diejenigen, die mehr Platz brauchen.
Ganz konkret: Mut zur Nähe wagen und die Nachbarschaft beleben – wie funktioniert das in der Stadt und wie und wo kann jede:r von uns anfangen?
Wer am Stadtrand in einem Haus wohnt und Platz übrig hat, aber nicht gleich jemanden ins Haus holen möchte, kann mit kleinen Dingen beginnen: Wie wäre es, einen unbenutzten Raum dem:der Nachbar:in anzubieten, damit der:die dort tagsüber arbeitet, im „Home Office away from Home“?
Oder es gibt eine ungenutzte Garage, die Nachbar:innen für eine Band brauchen können.
In deinem Ratgeber behauptest du: „Jede Schublade weniger macht unsere Städte grüner.“ Was steckt dahinter?
Das Platzsparen soll zwar im Großen dazu beitragen, Freiräume zu schützen und Grün zu bewahren. Doch um ein Haus nicht (!) zu bauen, müssen woanders mehrere Zimmer eingespart werden. Und um ein Zimmer nicht zu benötigen, muss ich mehrere Ecken freiräumen.
Ganz klein gedacht beginnt alles mit Entrümpeln, mit dem Nachdenken darüber, was ich wirklich brauche. Darum fängt mit der Schublade an, was hinterher den Park rettet.
Was rätst du wachsenden Familien in Innenstädten, deren ehemalige Pärchenwohnungen zu klein geworden sind? Bleiben, rausziehen, Häuser besetzen?
Wer es beruflich und privat kann, sollte ans Umziehen denken – nachdem ich selbst viele Jahre in Berlin lebte und dann erst in Oldenburg und nun in Potsdam wohne, kann ich den Berliner:innen nur zurufen: Es gibt Leben außerhalb Berlins!
Wer aber bleibt, kann sich durch tolle Einbauten des Architekten Gerd Streng inspirieren lassen, nach dessen Motto „einbreiten statt ausbreiten“.
Zum Häuser besetzen würde ich selbstverständlich niemals auffordern, aber bei langjährigem Leerstand wie etwa an der Stubenrauch-/Ecke Odenwaldstraße (die „Flora“) kann ich verstehen, wenn manche auf den Gedanken kommen.
Das Glück von Kindern hängt nicht von Quadratmetern ab, womöglich aber der Seelenfrieden ihrer Angehörigen. Was könnten Sofortlösungen sein?
Für Kinder wird eine Hütte zum Palast, ein Baumhaus zur Burg und ein Spielplatz zur Welt. Natürlich sollten sie aber genug Platz in der Wohnung bekommen, schließlich verbringen sie dort oft mehr Zeit als Eltern; darum ist es mehr als sinnvoll, das größere Zimmer den Kindern zu überlassen und selbst im kleineren zu schlafen.
Wenn es doch einmal eng wird, weil ein Geschwister hinzukommt, kann man sich anders helfen: Nutzt kompakte Möbel, teilt Räume mit Schränken und Regalen. Und entrümpelt zusammen mit den Kindern, damit sie lernen, dass Freiräume glücklich machen.
Beim Projekt der „Wohnraumoptimierung“ in Hannover haben eine Innenarchitektin, ein Tischler und die Upcyclingbörse knappen Raum ideal genutzt. Sie bauten Hochbetten, Schränke und Stauraum aus Restholz vom Messebau und nutzten kostengünstig den Platz bis unter die Decke.
Wie kann das Zusammenrücken und Zusammenleben auf engem Raum im privaten wie im öffentlichen Raum gelingen? Welche Bedürfnisse müssen erfüllt werden und wie riskant ist dieses Unterfangen?
Viele teilen bereits das Auto, aber nicht nur Mobilien auch Immobilien lassen sich teilen. Allerdings fällt Mut zur Nähe oft schwer.
Doch was könnte im schlimmsten Fall passieren, wenn man Nähe wagt? Falls es nicht klappt, versteht man sich eben nicht und geht wieder auseinander. Zusammen gewinnen wir dafür Nähe, Freundschaft und Liebe.
Jede:r muss für sich selbst beurteilen, wieviel Nähe gewünscht ist. Es bringt aber auf jeden Fall neue Ideen, einmal ein Wohnprojekt zu besuchen, die einen Raum oder mehrere Räume teilen. Über die Plattform bring-together.de wurden 2023 rund 6.000 Menschen in Wohnprojekte vermittelt.
Wer Räume teilt, spart Platz und hat noch mehr davon. Was sich anhört wie ein Widerspruch, ist ganz logisch – wenn jede:r Küche und Bad nur für sich nutzt, wird mehr Fläche verbraucht. Aber welche Räume möchten wir gemeinsam nutzen?
Das fragten sich auch die Mitglieder:innen des Wohnprojekts R50 in Berlin. Die meisten wollten Gästezimmer teilen, eine Gemeinschaftsküche und Werkstatt, einen Gartenschuppen und Fahrradraum. Vielleicht auch eine Sauna, einen Kinder- und Yogaraum.
Gemeinsam kann man sich Räume leisten, die sonst nie möglich wären. Das zeigen auch Wohnprojekte wie Wagnisart in München.
Das Clusterwohnen kombiniert private und gemeinschaftliche Räume: Fünf bis zehn Menschen teilen sich dort einen Gemeinschaftsraum und eine große Küche und jede:r einzelne bewohnt ein eigenes Apartment mit ein oder zwei Zimmern, Bad und Kochnische – fürs eigene Süppchen kochen oder Kaffee.
Welche zukunftsweisenden Wohnprojekte gibt es aktuell in Berlin, die mit gutem Beispiel ein soziales und umweltbewusstes Zusammenleben vorantreiben?
Zum Glück muss ich diese Frage nicht aus dem Kopf beantworten, sondern finde die Antworten im Serviceteil meines Ratgebers: Tolle Beispiele gibt es entweder im Wohnprojekte-Portal der Stiftung trias (wohnprojekte-portal.de) oder auch bei der Berliner Netzwerkagentur Generationenwohnen (netzwerk-generationen.de).
Einfach anders wohnen – das Buch
Daniel Fuhrhop: Einfach anders wohnen: Entrümpeln, Einrichten, Wohlfühlen: 66 praktische Ideen für entspanntes Leben und Arbeiten zu Hause. Mit Tipps zu Wohnen auf wenig Platz & Homeoffice, Taschenbuch, 144 Seiten, bekomm Verlag, 08/2024, 16 Euro
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