Jugendliteraturpreis 2012 – Nominierungen der Jugendjury

Einen eigenen Preis verleiht die Jugendjury, die sich aus sechs Jugendleseclubs aus Berlin, Sachsen, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein zusammensetzt. Bei zwei Nominierung sind sich die Heranwachsenden mit der erwachsenen Kritikerjury einig, man darf gespannt sein, für welchen Titel sie sich am Ende entscheiden.

Patrick Ness/ Jim Kay: Sieben Minuten nach Mitternacht | ab 11 Jahre | 216 Seiten | cbj | 978-3-570-15374-1 | 16,99 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
„Das Monster tauchte kurz nach Mitternacht auf. Wie das bei Monstern eben üblich ist.“ Der 13-jährige Conor O’Malley hat keine Angst vor dem Monster. Er fürchtet sich vielmehr vor dem Alptraum, den er in letzter Zeit ziemlich oft träumt…

Conors Mutter ist krank. Als sie wieder ins Krankenhaus muss, soll Conor so lange bei seiner Großmutter wohnen. Doch er will nicht, dass sie ihm hilft. Er will nicht, dass ihm überhaupt jemand hilft. Auch nicht das Monster, das ihm drei Geschichten vom wahren Leben erzählt. Bis es ihn auffordert, eine eigene, vierte Geschichte zu erzählen und die Wahrheit endlich auszusprechen.
Sieben Minuten nach Mitternacht ist ein unglaublich beeindruckendes Buch. Es handelt von der Verschlossenheit und Zerbrechlichkeit eines Jungen, der einen möglichen Verlust nicht akzeptieren will. Patrick Ness erschafft mächtige sprachliche Bilder, wie das Monster, und Jim Kay liefert wundervolle Illustrationen. Dadurch entsteht eine perfekte Atmosphäre und Umgebung für diese traurige, berührende, teilweise aber auch unterhaltsame Geschichte.

 

Regina Dürig: Katertag. Oder: Was sagt der Knopf bei Nacht? | ab 14 Jahre | 112 Seiten | Chicen House im Carlsen Verlag | 978-3-551-52034-0 | 9,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
„Es ist schwierig, beim Schreiben ruhig zu bleiben und sich nicht wieder so leer zu fühlen wie vor einem Jahr. Vielleicht war es doch keine gute Idee, das alles aufzuschreiben. Aber jetzt gibt es kein zurück mehr.“

Stell dir vor, du kommst nach Hause und am Küchentisch wartet dein Vater. Seine Fahne ist schon von weitem zu riechen und er wird mit jedem Tropfen Alkohol, den er zu sich nimmt, immer mehr zu einer fremden Person.
Nicolas lebt glücklich mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester, bis sein Vater das Trinken anfängt. Die Familie beginnt, an den Lügen des Vaters zu zerbrechen. Als alles schon verloren scheint, schreibt Nicolas wütend und enttäuscht einen Brief an seinen Vater. Dabei versucht er nichts auszulassen, auch wenn es ihn sehr schmerzt, sich an die Tiefpunkte der Vergangenheit erinnern zu müssen.
Katertag. Oder: Was sagt der Knopf bei Nacht ist ein ergreifendes und anrührendes Buch, das sich den Problemen des Alkoholismus stellt.

 

Susan Vaught: Kopfschuss | ab 14 Jahre | 384 Seiten | cbj | 978-3-570-30415-0 | 8,99 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Stell dir vor, du erwachst und dir fehlt ein Jahr deines Lebens.

Deine Eltern verhalten sich seltsam. Warum?
Dein bester Freund hasst dich. Warum?
Du hast abgedrückt. Warum?

Niemand will dir Antwort geben. Einzig die Schwester deines besten Freundes und ihre Großmutter behandeln dich normal, reden mit dir und zwingen dich damit, über deine Entscheidung nachzudenken.

Man beginnt zu lesen und ist verwirrt. Aber das ist okay, denn der Protagonist ist es auch. Von Anfang an sieht man die Welt durch Jerseys Augen und gemeinsam fügt man die Scherben des vergangenen Jahres zusammen. Denn Jersey sucht nach den Gründen für seinen Selbstmordversuch, um zu entscheiden, ob er weiterleben oder endgültig gehen möchte.
Das Buch lebt nicht nur von den Dialogen, sondern auch von den wirren Gedankengängen des Protagonisten. Egal ob „Gummischnürsenkel“, „Froschfürze“ oder „Cheerleader“, Jersey muss zwanghaft alles aussprechen. Die Autorin beschreibt die Situation nach einem Selbstmordversuch realistisch, fesselnd und emotional. Dabei stellt sie die Tiefe der Charaktere authentisch dar. Das Buch greift das gesellschaftliche Tabuthema Selbstmord bei Jugendlichen überzeugend, mitreißend und vor allem humorvoll auf. Trotz des ernsten Themas wirkt der Text nie belehrend, sondern zaubert, durch die gelungene sprachliche Umsetzung meist ein Lächeln auf das Gesicht des Lesers.

 

Antonia Michaelis: Der Märchenerzähler | ab 15 Jahre | 448 Seiten | Oetinger | 978-3-7891-4289-5 | 16,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Nicht zu jeder Frage gibt es eine Antwort und nicht hinter jedem Märchen steckt nur Phantasie. Nichts ist wie es scheint und nichts ist sicher. Die Welt ist nicht schwarz und weiß und niemand ist nur gut oder böse.

Das sind Dinge, die Anna Lehmann lernen muss, als sie Abel Tannatek kennen lernt. Nach außen hin gibt dieser den unnahbaren, verschlossenen Jungen – doch was passiert daheim, in der trostlosen Wohnung, wo er seiner kleinen Schwester ein Märchen erzählt, von dem viel zu viel der traurigen Wahrheit entspricht? Als Personen umkommen, die Abel und seiner Schwester im Weg stehen, ist Anna verunsichert: Hat der polnische Kurzwarenhändler, wie Abel in der Schule genannt wird, etwas mit den Morden zu tun?
Das Buch überzeugt vor allem durch seine außergewöhnliche, schon fast poetische Sprache und seine ungewöhnliche Erzählweise, in der sich die Grenzen von Realität und Fiktion verschieben.

 

Tabitha Suzuma: Fortbilden. Wie kann sich etwas so Falsches so richtig anfühlen? | ab 15 Jahre | 448 Seiten | 978-3-7891-4744-9 | Oetinger | 17,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung
„Forbidden“, verboten, abartig und schlecht: Inzest ist in der Gesellschaft eines der letzten Tabuthemen, das krampfhaft totgeschwiegen wird.

Tabitha Suzuma tut genau das Gegenteil: Sie zeigt die Zwiespältigkeit der Gefühlswelt eines Geschwisterpaares auf, das sich ineinander verliebt. Das schafft sie, ohne dem Leser irgendeine Meinung aufzuzwingen; sie lässt ihn jegliche Vorurteile vergessen.
Maya und Lochan sind Protagonisten, die dem Leser auch noch lange nach dem Schließen des Buchdeckels durch den Kopf gehen und ihn nicht mehr loslassen mit ihrer vorsichtigen, zärtlichen Annäherung, dem Erschrecken vor den eigenen Gefühlen und ihrer Hilflosigkeit.
Forbidden ist eine der schönsten Liebesgeschichten der letzten Jahre – nicht zuletzt durch den großartig einfühlsamen Schreibstil von Tabitha Suzuma, den Bernadette Ott toll übersetzt hat. Durch die Verflechtung zweier Erzählperspektiven entsteht ein Netz, aus dem sich der Leser nur schwerlich befreien kann – faszinierend wunderbar!

 

Els Beerden: Als gäbe es einen Himmel | ab 16 Jahre | 624 Seiten | FJB im Fischer Verlag | 978-3-84114-2135-7 | 19,95 Euro | bei Amazon bestellen

Jurybegründung:
Die belgische Sicht auf den zweiten Weltkrieg: Die Deutschen halten das Land besetzt, verbreiten Angst und Schrecken, doch nicht alle schalten auf Gegenwehr und Widerstand. Aufgehetzt durch ihren Lehrer wollen sich die Jugendlichen Jef und Ward der flämischen Spezialarmee anschließen und am Russlandfeldzug teilnehmen. Jef wird von seinem Vater zurückgehalten. Der charismatische Ward aber zieht in den Krieg und verkörpert damit den gern verschwiegenen Typus des Kollaborateurs. Schauplatz ist ein kleines Dorf und der Konflikt vollzieht sich zwischen den Jugendlichen Ward, Jef, Remi und Renée. Freundschaft, Liebe und Verrat sind die bewegenden Zutaten. Die Sprache ist poetisch und der Erzählfluss so komplex wie die Kriegswirren und die Zerrissenheit der jugendlichen Akteure selbst. Ein Kriegsroman aus ganz anderer und für den deutschen Leser ungewohnter Perspektive. Dargeboten in einem eigenwilligen, fast kargen Stil. Ein bewegendes Stück Literatur, das über die erzählte Zeit hinaus eine Botschaft vermittelt und damit bei Weitem mehr als „nur“ einen historischen Kriegsroman darstellt. Wie Krieg und Demagogie Freundschaften zerstören können, ist ein Lehrstück von berührender Gegenwärtigkeit.

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