Dr. Herbert Renz-Polsters neues Ebook „Alles über Corona“ klärt über das Virus auf, gibt Orientierung zu den bisher getroffenen Maßnahmen und informiert über Fragen zur Ansteckung. Uns verrät er, warum das Lehrerzimmer eine Problemzone ist und welche Zutaten für ein starkes Immunsystem unverzichtbar sind.
Nicht erst seit seinem Bestseller „Kinder verstehen“ zählt der Wissenschaftler, Kinderarzt und Vierfachvater Dr. Herbert Renz-Polster zu den gefragtesten Experten, wenn es um die kindliche Entwicklung geht. Auch sein Blog greift regelmäßig aktuelle gesellschaftliche Themen ebenso wie alltägliche Elternfragen auf. kinder-verstehen.de
Nach Lockdown und Homeschooling sind in Berlin inzwischen Schulen und Kitas wieder geöffnet und setzen dabei auf regelmäßige Testung des Personals, Vermeidung von Durchmischen der Gruppen und den Mund-Nasen-Schutz. Halten Sie das für einen gangbaren Weg?
Grundsätzlich sind das wirksame Maßnahmen. Und so wie es aussieht, werden die Testungen in absehbarer Zeit auch effektiver sein, weil die Tests wahrscheinlich schneller und billiger werden. Dennoch fehlen mir hier wichtige Dinge – sie können entscheidend werden, wenn der Infektionsdruck in der Umgebung der Kitas und Schulen weiter ansteigt, was im Winter ja durchaus sein könnte.
Wichtig scheint mir zum Beispiel das: Wenn Ansteckungen in pädagogischen Einrichtungen passieren, werden sie dorthin in aller Regel importiert. Und zwar von Erwachsenen – das gilt zumindest für Kitas und Grundschulen, teilweise aber auch für weiterführende Schulen. Eine unbedingt gut zu regelnde Problemzone ist deshalb das Lehrerzimmer. Zumindest bei steigendem Infektionsdruck sollte es aufgelöst und durch virtuelle Meetings ersetzt werden.
Auch der rotierende Unterricht ist ein Problem: Da kommen immer neue Lehrer in die Klasse – was wenn einer von ihnen positiv getestet wird? Dann muss die halbe Schule in Quarantäne. Was ich vor allem vermisse, ist der Hinweis auf die Verlagerung des Unterrichts nach draußen bzw. in halboffene oder zumindest gut belüftete Räume. Mit guter Kleidung und dem Willen dazu ist alles möglich.
Wir sagen jetzt vielleicht: Das ist uns zu viel Aufwand – aber je mehr der Infektionsdruck ansteigt, desto konsequenter müssen die Maßnahmen sein, sonst sind die Schulen sofort wieder zu.
Angebote wie Arbeitsgemeinschaften, Kunstkurse oder Sportgruppen sind meist gestrichen. Was für Auswirkungen hat das auf die kindliche Entwicklung?
Sie müssen oft deshalb darauf verzichten, weil wir Erwachsenen nicht flexibel genug sind. Man kann Sport treiben und Kunst und Musik auch – aber müsste dann damit zum Beispiel mit den Kindern in den Park gehen statt in die Turnhalle oder den Musikraum. Wenn man die Schule wie bisher weiter betreiben will, ja, dann fahren wir noch lange mit angezogener Handbremse.
Es gibt jetzt aber auch keinen Grund, um die reguläre Schule zu glorifizieren, also wo Kinder den ganzen Tag sitzen und dann ein, zweimal Sportunterricht haben plus ein paar kurze Pausen. Bekommen da die Kinder den Auslauf, den sie bräuchten? Von wegen. Das erklärt dann zum Beispiel, dass Forscher herausgefunden haben, dass die Kinder sich während der Schulschließungen in Deutschland insgesamt mehr bewegt haben als in den Schulzeiten – anders als oft vermutet. Einfach, weil sie mehr Zeit hatten und dann öfter mal Spielen gegangen sind.
Ich kann nur sagen: Eine Schule, die für die kindlichen Entwicklung taugt, muss Kopf, Herz, Hand der Kinder ansprechen. Da müssten Geist, Körper und Seele genährt werden. Vielleicht nehmen wir die Erfahrungen dieser Krise ja als Anregung etwas mutiger darüber nachzudenken, was Kinder eigentlich von einer Schule erwarten dürfen.
Viele Einrichtungen haben jetzt strenge Regeln aufgestellt, damit Kinder mit Erkältungssymptomen zu Hause bleiben. Was können Eltern tun, um das Immunsystem ihrer Kinder zu stärken?
Ja, die Regeln sind sicher verständlich, um möglicherweise infizierte Kinder fernzuhalten. Wenn man die Übertragungswege dieses Virus allerdings kennt, dann weiss man auch, dass mit einem an Symptomen orientierten Vorgehen nicht einmal zehn Prozent der Infektionen verhindert werden können, also übertreiben sollten wir das nicht. Hoffen wir, dass bald die heiß ersehnten Schnelltests da sind, sonst wird das ein Winter-Märchen, das niemand erleben will.
Das Immunsystem stärken? Da denken viele dann an Pülverchen und Tröpfchen, aber das ist nicht der richtige Ansatz – das Immunsystem der Kinder ist ja zum Glück nicht so konstruiert, dass es nur taugt, wenn man neben einer Apotheke wohnt. Unser Abwehrsystem ist gerüstet, gut zu arbeiten, solange Kinder in einem normalen, artgerechten Umfeld leben. Dazu gehört Auslauf, draußen sein, Wechsel von kalt und warm – dann klappt auch das Schlafen besser, noch ein Plus für das Immunsystem.
Auch eine normale Ernährung hilft – aber auch die muss nicht aus esoterischen Beigaben oder Diäten bestehen. Auch wer mal Pommes mit Mayo isst, kriegt davon nicht gleich eine Erkältung. Wichtig ist das Raumklima – wir Menschen sind eigentlich für viel Luft gedacht, nicht für überheizte, trockene Innenräume.
Wenn die Erkältung nicht mehr abzuwenden ist: Was raten Sie Eltern, die sich Sorgen machen, dass ihr Kind sich mit Corona infiziert hat?
Die gute Nachricht ist die, dass Corona für die Kleinen auch nicht schlimmer ist als die Viren, die die Eltern schon kennen, von Rotaviren bis Grippeviren. Der Kinderarzt wird da nicht aus allen Wolken fallen und den gleichen Rat geben wie bei den anderen Virenerkrankungen: zu Hause bleiben, Schonung, zurück zur Schule erst, wenn das Fieber und die Krankheitszeichen weg sind.
Apropos Fieber: ich bin der Überzeugung, dass nicht jedes Fieber gleich behandelt gehört, diese Reaktion ist nämlich vom Immunsystem eigentlich eingeplant, um gegen die Erreger vorzugehen. Bei einer möglichen COVID-Erkrankung kommen dann natürlich noch Fragen der häuslichen Quarantäne dazu und wie man Ansteckungen von anderen vermeiden könnte und so weiter – aber für diese Fälle der Fälle habe ich ja mein Ratgeber-Büchlein zu Corona geschrieben.
Dr. Herbert Renz-Polster: Alles über Corona. Was du wissen musst. Was du tun kannst. 184 Seiten, eBook, 2020, Preis frei wählbar: kinder-verstehen.de