Wie das kleine Lob zum großen Glück führt. Ein Goldfarb und Goldfarb-Special über Kommunikation.
„It‘s the communication, stupid …“ Wir wissen es doch eigentlich alle, im Kern geht es fast immer um Kommunikation. Wobei, da hätten wir es ja schon: Es zählt zum Grundwissen, „immer“ und „nie“ am besten ganz aus dem Sprachschatz zu streichen, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen und Konflikte geht.
Warum es sich aber durchaus lohnen kann, wertschätzende Worte und liebevolle Gesten auch mal einzufordern, beschreiben unsere Kolumnist:innen, das Paartherapeut:innenpaar Laura und Tobias Goldfarb mit dem „Grüezi-Prinzip“.
Das Grüezi-Prinzip
Ihr geht den steilen Pfad hoch, der Rucksack ist schwer, die Sonne brennt. Wie wollt ihr überhaupt noch den Gipfel erreichen? Wäre es nicht viel besser umzukehren und zurück in die Hütte zu gehen? Da kommen euch Wander:innen entgegen und lächeln euch an, nicken euch zu.
Je nach Gegend hört ihr ein „Servus“, „Grüezi“ oder „Hallo“ und schon strömt neue Energie in eure Waden, eure Schritte werden beschwingter, ihr lächelt zurück und wenn ihr dazu noch die Puste habt, sagt ihr ebenfalls „Servus“, „Grüezi“ oder „Hallo“. Jetzt seid ihr sicher: Den Gipfel werdet ihr erreichen.
Steile Pfade
Auf dem steilen Pfad einer langjährigen Beziehung hört ihr selten nette Grüße. Eher hört ihr „Du hast deine Socken liegen lassen“, „So räumt man eine Spülmaschine nicht ein“ oder „Weißt du noch damals, als wir noch ein Liebesleben hatten?“.
Wenn ihr Sprüche dieser Art hört, wird der Weg noch steiler, der Rucksack noch schwerer und ihr werdet statt des Gipfels den Kühlschrank ansteuern.
Auf dem langen Pfad einer Beziehung brauchen wir nichts nötiger als Aufmunterung, ein beschwingtes „Grüezi“ in jedweder Form. Das kann eine Umarmung sein, ein liebes Wort oder ein Ring. Es geht im Kern um Anerkennung: Ich erkenne die Mühen, die du auf dich nimmst, und schätze sie.
Warum nur ist das in einer Beziehung so schwierig?
Warum ist die Besteigung der Matterhorn-Nordwand ein Kinderspiel gegen ein dauerhaft glückliches Beziehungs- und Familienleben mit Kindern?
Das kleine „Grüezi“, die kleine Anerkennung, bleibt oft in den Strapazen des Alltags als erstes auf der Strecke, oder war nie vorhanden.
Doch wenn wir keine Anerkennung bekommen, sind wir alleine auf uns zurück geworfen. Esther Perel, eine der führenden Sexualtherapeut:innen, sagt: „Was gibt es Schlimmeres als zu zweit alleine zu sein?“ Selbst eine negative Anerkennung ist oftmals besser als gar keine Anerkennung.
Wir sind soziale Wesen
Wir brauchen Austausch, Anerkennung und Kontakt. Schon als Kinder tun wir alles, um diese Nähe zu bekommen. Als Kinder wünschen wir uns die Anerkennung von den Eltern, von Oma, Opa und den Geschwistern. Wir machen alles, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.
Und selbst wenn wir die Anerkennung nicht bekommen, versuchen wir mit allen Mitteln auf uns aufmerksam zu machen: Weinen, Schreien, Eis auf den Boden werfen oder, wenn wir etwas älter sind, merkwürdige Tattoos.
Wir holen uns dann als Kind vielleicht Schelte ein – aber auch das ist lebendiger, als ein „Aneinander vorbei schauen“. Wir beißen als Erwachsene zwar nicht mehr in den Teppich oder werfen mit Brei um uns, aber das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, der Durst nach Anerkennung ist tief in uns verwurzelt.
Resonanz finden
Wenn in einer Partnerschaft darauf kein Augenmerk gegeben wird, dann wird aus einer romantischen Liebe ganz schnell (wenn es gut läuft) ein funktionierendes Team oder (wenn es schlecht läuft) ein Kampf um Gerechtigkeit, ein Aufwiegen von Leistungen.
Oder man sucht sich die Anerkennung die es in der Partnerschaft nicht gibt, woanders – im Beruf, bei seinen Mitmenschen, im Sport oder in einer Affäre. Was können wir tun, wenn wir weder Eis auf den Boden werfen noch unser sauer verdientes Geld ins Tattoo-Studio tragen wollen?
Wie bekommen wir von unserer:unserem Partner:in die Resonanz, die uns so gut tun würde?
Wir fordern unsere Klient:innen auf, nach diesen Anerkennungen zu bitten. Warum sollte der:die Partner:in immer von den Augen ablesen können, was man gerade braucht? Es ist okay, kleine Geschenke und Gesten einzufordern. Oft ist eine eingeforderte Umarmung ebenso schön wie eine spontane.
Und wenn man sich unsicher ist, ob die Zuneigung ehrlich ist, dann hat man die Möglichkeit, danach zu fragen. Wenn wir merken, dass der:die Partner:in uns für etwas Bestimmtes wertschätzt, lobt und anerkennt, dann werden wir alles versuchen, um genau das zu wiederholen und zu kultivieren.
Positive Paarkultur: Fokussiert euch auf das, was ihr gut und gerne macht und vom Gegenüber wertgeschätzt wird.
Wir beginnen eine Paarkultur zu schaffen, bei der jede:r der Beteiligten das macht, was sie:er kann und dafür wertgeschätzt wird, was sie:er bietet – statt nur auf das zu schauen, was man vermeintlich nicht kann oder erfüllt.
Der Mut, Wertschätzung zuzulassen
Der Clou liegt darin, für euch selbst herauszufinden, welche Art von Wertschätzung ihr braucht. Manche bekommen lieber Lob für das, was sie tun, als für das, was sie sind. Andere schätzen Resonanz auf das, was sie sind, unabhängig von einer konkreten Aktion.
Menschen die in ihrer Kindheit selten Wertschätzung bekommen haben, lassen diese im Erwachsenenalter oft nicht zu. Für sie fühlt es sich dann ganz kitschig an, wenn ihr:e Partner:in sie auf Händen trägt. Sie wehren es ab und sagen: „Darauf kann ich gut verzichten. Ich bin nicht abhängig von ihrem:seinem Lob.“
Das ist ein Schutzmechanismus, um nicht noch einmal der Meinung von Anderen ausgeliefert zu sein. Doch dafür verzichtet man auf das, was man jetzt anders erleben könnte als damals.
Man bleibt in den alten, von Kindheit an erlerntem Mustern gefangen, und verzichtet damit darauf, Dinge anders, wohlwollender und zugewandter zu erleben. Es gehört also nicht nur Mut dazu, Wertschätzung auszudrücken, sondern auch sie zuzulassen.
Findet das richtige Maß für euch
Welches Maß an Zuneigung braucht ihr? Und in welcher Form? Das gilt übrigens auch für das Liebesleben. Lieber zu viel einfordern, als sich frustriert zurückziehen.
Lieber zu gut gelaunt „Grüezi“ schmettern, auch wenn man gar nicht auf dem Matterhorn ist, sondern bloß in Kreuzberg, als auf klassisch teutonische Art in die andere Richtung zu schauen. In diesem Sinne: Grüezi, Servus und Ciao!
Goldfarb & Goldfarb
Laura und Tobias bieten Paartherapie, Sexualtherapie, Einzelsitzungen und Mediation in ihren Räumen in Berlin-Prenzlauer Berg oder als Online-Sitzungen (auch auf Englisch) an. goldfarb-goldfarb.com
Hier findet ihr alle Kolumnen von Laura und Tobias Goldfarb
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