Vaterkolumne HIM – unser Kolumnist Christoph Bauer trinkt wieder Tee.
„Das schmeckt voll eklig, bähhh“. Sie hatte heimlich an meiner Tasse geschlürft. Seitdem besetzt Kaffee im Ekelranking meiner Tochter Platz 2, direkt nach der Zigarette. Und das ist mir auch ganz recht so, denn meine Frau ist vor einigen Monaten der George-Clooney-Jüngerschaft beigetreten. Jede Espressoportion kommt seitdem im edel lackierten Aluminiumgewand daher, bevor sie perforiert und ausgepresst wird.
Der kleine Schwarze ist zum Luxusprodukt mutiert und fräst nun kultivierte Kerben in unsere Haushaltskasse. Dies ist aber nicht der Hauptgrund, warum ich mich gerade an meiner Transformation vom Kaffee- zum Teetrinker abarbeite. Ich tue dies aus Protest!
Tee war schon immer das Getränk der Protestbewegung.
Die Thermoskanne mit dem Chai darf nicht fehlen, egal ob man gegen Castoren, Investoren oder Diktatoren protestiert. Aber um solch prominente Angriffsziele geht es bei mir gar nicht. Mein teebeseelter Protest zielt auf die neue Espresso-Bar bei mir um die Ecke. So ein schönes Ladenlokal, beste Lage, Parkett, Stuck, alles vom Feinsten – und da fällt dem ehrgeizigen, kreativen Berliner Jungunternehmer nichts besseres ein, als eine Kaffeemaschine aufzustellen und „Cappuccino und Co“ anzubieten. Ich habe heute noch mal nachgezählt: In einem Radius von 200 Metern um unser Haus befinden sich inzwischen zwölf Coffee-Shops.
Würden wir in Amsterdam leben, wäre das die natürlichste Sache der Welt. Aber wir leben in Berlin. Mit wehenden Fahnen bin ich in den 90ern aus München geflohen, um mir fortan den kreativen Wirbelwind Berlins um die Ohren fegen zu lassen.
Meine Kinder hier groß zu ziehen, war eine bewusste Entscheidung gegen die Langeweile und für die Vielfalt.
Wie toll, in einer Stadt zu leben, in der jede noch so schräge Idee ihr Ladenlokal findet. Doch in den Ladenlokalen meiner direkten Umgebung ist dem kreativen Wirbelwind die Puste ausgegangen. Daran scheint auch die massenhafte Bereitstellung koffeinhaltiger Stimulanzien nichts zu ändern – im Gegenteil.
Nimmt man außerdem die pharmakologische Wirkung des Koffeins einmal genauer unter die Lupe, so könnte dieser Kaffeehaus-Tsunami noch sehr weitreichende Folgen für die Gesamtatmosphäre in meiner Nachbarschaft haben: „Hemmung der Muskelkontraktionen in den Wänden der weiblichen Eileiter und somit Behinderung der Passage von befruchteten Eizellen in die Gebärmutter, mit der möglichen Folge einer verminderten Fruchtbarkeit der Frau“ (Wikipedia). Hört, hört!
„Durch Koffein wird das sympathische Nervensystem aktiviert, was zu einer erhöhten Adrenalinausschüttung führt und so das Kampf- und Fluchtverhalten aktiviert“. Ja Wahnsinn! Man stelle sich vor, Frauen ohne Kinderwagen, Typen mit polierten Fressen oder auf der Flucht. Diese Vorstellung muss nicht unbedingt abschreckend sein, wenn man sich so manche Gestalten hier im Kiez ansieht.
Aber im Großen und Ganzen findet mein Gejammer über das soziale Umfeld hier doch auf einem sehr hohen Niveau statt. Ich fühle mich wohl hier, mag meine Nachbarn und meine Angst, von Kinderwagen überfahren oder hysterischen Müttern erschlagen zu werden, habe ich durch eine intensive Konfrontationstherapie auch in den Griff bekommen. Ich habe keine Lust, mich vom Koffein in die Flucht schlagen zu lassen und ich weigere mich, die Familienplanung einem einfallslosen Cappuccino-Unternehmer zu überlassen. Lasst uns also Tee trinken, hier bleiben, ganz viel Liebe machen und für kreative Geschäftsmodelle demonstrieren.