Vaterkolumne HIM – Unser Kolumnist Christoph Bauer schüttelt seinen läusefreien Kopf über die Hysterie seiner Frauen ob einer einzigen Kopflaus und wünscht sich seine Kumpeln Mücke aus Kindheitstagen zurück ...
Sie nannten sie Mücke. Mücke war meine Freundin, von der ersten bis zur vierten Klasse. Wobei „Freundin“ trifft es nicht so ganz, sie war mein bester Kumpel. Sie war so ganz anders als die anderen, blöden Mädchen: einen guten Kopf größer als ich, stark und mutig.
Dass ihre Eltern ihr diesen Kosenamen gaben, hatte also nicht unbedingt etwas mit ihrer Erscheinung zu tun, wohl eher mit der Tatsache, dass man ihr als jüngstes Familienmitglied und Schwester dreier Jungs die Rolle des zarten, feenhaften Nesthäkchens angedeihen lassen wollte. Hat nicht so geklappt. Mücke war ein ganzer Kerl.
In letzter Zeit muss ich öfter an Mücke denken, denn anders als andere Mädchen hatte sie keine Angst vor Insekten. Sie traute sich sogar, Spinnen in die Hand zu nehmen. Meine Töchter sind diesbezüglich deutlich anders gestrickt als Freundin Mücke. Nun finde ich es grundsätzlich ganz okay, dass meine Töchter auf den ersten Blick als Mädchen zu erkennen sind und nicht ständig Jungs in den Schwitzkasten nehmen.
Aber wenn es um Insekten geht, dann wäre mir ein bisschen mehr Mückenattitude doch ganz recht. Dass sie hysterisch um sich schlagen, wenn sich eine Wespe auf ihrem Marmeladenbrot zu schaffen macht, kann ich ja noch nachvollziehen. Meiner Großen hat ein solches Mistvieh letzten Sommer in die Lippe gestochen. Danach schwoll ihr zartes Gesicht auf Basketballgröße an und sie landete für ein paar Tage auf der Kinderstation des nächsten Krankenhauses. Aber bei Spinnen … Warum muss man sich so sehr über Spinnen aufregen?
Oder über Kopfläuse? Ja, uns hat es erwischt. Jahrelang blieben wir verschont, doch nun wurde die gemeine Kopflaus im Blondschopf meiner Großen gesichtet. Ich bleibe an dieser Stelle bewusst im Singular, denn tatsächlich war es genau eine Kopflaus, die da entdeckt wurde und die zu einem wahren Ausnahmezustand in unserem Familienleben geführt hat.
Eine! In unseren Breiten finden sich in den seltensten Fällen mehr als zehn Läuse auf einem Kinderkopf. Sie saugen uns ein bisschen Blut ab und unsere Haut reagiert mit juckenden kleinen Pusteln auf diese Attacken. Muss man deshalb gleich ein Zinnober veranstalten, als ob ein extraterrestrischer Killervirus drohe die Menschheit zu vernichten?
Würde ich mir erlauben, den sommerlichen Angriff der Moskitos mit Mückenspray niederzuschlagen, meine Frauentruppe würde mir wegen der Verwendung chemischer Kampfstoffe sofort Hausverbot erteilen. In so einem Fall wird mit Zeitungen zugeschlagen und es werden homöopathische Kügelchen gegen den Juckreiz verabreicht. That’s it.
Im Kampf gegen die Killerlaus scheint jedoch keine Keule hart genug.
Und weil jeder, der sich mit dem Thema beschäftig, sofort anfängt, sich selbst am Kopf zu kratzen, wurde die ganze Familie prophylaktisch in diesen Vernichtungsfeldzug mit einbezogen. Flaschenweise wurde das säuerlich stinkende Läuseshampoo auf unseren Häuptern vergossen. Das Zeug ist so ölig, dass wir mit unseren Fetthaaren danach aussahen wie eine abgehalfterte White-Trash-Familie aus Mobilehome-City. (Erinnern sie sich an die Frisur von Charlize Theron im Film Monsters? Ich bin mir sicher, sie hat das gleiche Mittel verwendet).
Eine Woche lang wurden Kopfkissenbezüge ausgetauscht, unsere Mähnen mit Läusekamm und Antifettshampoo malträtiert und hysterisch nach der Laus durchwühlt. Die Laus ist weg. Endlich haben meine Frauen wieder die Muße, sich über kleine Weberknechte und verfressene Wespen zu echauffieren.
Was meine Kumpeline Mücke wohl treibt? Ich stelle mir vor, dass sie in Militärhosen und Holzfällerhemd in irgendeinem Forschercamp in irgendeinem Regenwald sitzt und das geschlechtsspezifische Verhalten unattraktiver Insekten studiert. Oder das von Menschenaffen: Auf der Suche nach der Anthropologie der Hysterie.