STADTGESTALTEN BERLIN: Ein neuer Kunstort für Kinder und Erwachsene hat sich in Berlin aufgetan – und natürlich ist er nicht aus dem Nichts entstanden. Die Idee, einen Ort für Kinder zu schaffen, an dem sie durch zeitgenössische Kunstwerke miteinander und mit der Welt in Kommunikation treten können, hatten die Berliner Künstlerin Rebecca Raue und die New Yorker Kuratorin und Galeristin Laurie de Chiara schon sehr lange im Kopf. Viele Gespräche, Anträge und Überlegungen folgten, und nun haben die beiden ihr Herzensprojekt verwirklicht und artpod gegründet. Und unter diesem Projektnamen im Amerikahaus am Bahnhof Zoo ihre erste Ausstellung: „Imaginäre Reisen“ eröffnet.
Beide Frauen lieben die Kunst und Kinder, und so waren sie zum einen schon oft genug genervt von der Steifheit und der strengen, für Kinder eher abstoßenden Atmosphäre vieler Museen, von der bestenfalls eher einfallslosen angebotenen „Schlumpfkunst“ für kleine Besucher. Die beiden wollten endlich einen Ort in Berlin schaffen, an dem auch und besonders Kinder sich wohl fühlen, an dem sie als Rezipienten wahr- und ernst genommen werden und an dem sie auch ruhig barfuß laufen können oder Purzelbäume schlagen, wenn sie wollen.
Einen Ort, an dem sie sich auf Matten vor eine Videoinstallation fläzen können oder lauthals ihre Begeisterung über das Gesehene zum Ausdruck bringen können. Es gehe um die Erfahrungen, die die Kinder machen, um einen Austausch zwischen Künstlern, Eltern und Kindern.
Zum anderen wollen die ArtPod Gründerinnen ein Zeichen setzen gegen das Elitäre, das sich in der Kunstwelt immer mehr ausgebreitet hat, ein Hindernis, das viele Menschen, vor allem die mit Kindern, davor abschreckt, überhaupt in Ausstellungen zu gehen und Kunstwerke zu erfahren und zu genießen. „Denn Kunst hat im Grunde ja ganz viel mit Gefühl zu tun, da gibt es kein Falsch oder Richtig, Kunst geht alle etwas an,“ meint Rebecca Raue. „Vor allem gehen Kinder ja oft viel unverkrampfter und damit viel natürlicher mit Kunst um und fühlen oder sehen vielleicht viel eher das, was den Künstler zum Werk bewegt hat. Und deswegen ist Kunst für alle und jeden wichtig und jeder kann sie anschauen, anfassen, mögen oder auch nicht mögen. Sie regt auf jeden Fall ein Miteinander an. Und Kommunikation ist so wichtig, vor allem in der Großstadt, das gehört zum Stadtleben unbedingt dazu.“
Es gibt so unglaublich viele Künstler und bisher einfach keinen Ort, an dem sie alle ihre Arbeiten für Kinder zugänglich machen könnten. Deswegen sei dieser neue Kunst-Raum im Amerikahaus so wichtig. Rebecca Raue wünscht sich außerdem, dass die Ausstellungsstücke auch zwischen Eltern und Kindern etwas bewegen können, sie zum Beispiel zu Gesprächen über ihre Gefühle und Empfindungen anregt. Sie ist fasziniert von der Idee, dass jemand, ein Künstler, etwas träumt, daraus entwickelt er dann sein Kunstwerk und durch das Ausstellen dieser Kunst wird sie quasi wieder frei gelassen und regt wieder andere zum Träumen an.
„Und zudem können Kinder hier entdecken, dass auch Erwachsene noch mit Gegenständen spielen, dass sie sich, genau wie Kinder, mit Dingen beschäftigen, die gemeinhin vielleicht noch keinen Sinn ergeben, die aber doch so lebensnotwendig wichtig sind und deswegen eine Berechtigung haben, zu sein!“ Auf den eigentlichen Sinn oder Unsinn der Kunst, wird der Besucher, ob groß oder klein, in dieser Ausstellung unweigerlich gestoßen. Er wird mitgenommen auf eine „imaginäre Reise“ im Kopf und reist auch vor Ort ganz real durch verschiedenste Kunst-Welten – zu Fuß, auf Stelzen oder gerne auch in einem kleinen Holzschiffchen von Rebecca Raue.
„Es gibt in der Ausstellung auch ausdrücklich keine Führungen, weil das Wort Führung mit sich bringt, dass man was zu lehren hat, das wollen wir eben genau nicht, sondern wir wollen tatsächlich von den Kindern lernen und ihnen zuhören.“ Trotzdem gibt es so genannte Reisebegleiter, die Informationen zu den Kunstwerken anbieten, wenn sie gewünscht sind.
„Wenn man auf Reisen geht, also in ein fremdes Land geht, dann kann man alleine ganz viel erfahren, aber es kann ganz hilfreich und schön sein, wenn einem jemand erzählt – weißt du, da hat der alte König gewohnt in diesem Schloss oder so – und auf einmal öffnen sich andere Welten.“
Gleich am Anfang der Reise steht zum Beispiel ein superlanger Kickertisch, an dem mindestens 26 Personen Platz finden. Der Künstler, Wolfgang Karl May (da steckt die Abenteuerlust schon im Namen), hat seinen Kicker wie eine lange, kurvige Gebirgslandschaft geformt. Es gibt einen Berg darin, der ist das eine Tor, und von diesem Berg aus spielt man den Ball den sandigen Weg entlang durch einen Canyon hindurch, an Hügeln und Höhlen vorbei, bis ins andre Bergtor.
Wie Mary Poppins kann man im nächsten Raum an einem riesigen, roten Sonnenschirm von einer Wand zur anderen fliegen. Die Künstlerin Katharina Lackner liebt das Reisen und ist durchgehend in der Weltgeschichte unterwegs, ohne festen Wohnsitz, und dieses Lebensgefühl drückt sie durch ihre Kunst aus.
Neben ihrem bewegten Seilbahn-Kunstwerk liegt auf dem Boden ein gefundener Baumstamm von Olafur Eliasson – dieses lange Stück Holz hat selbst eine weite Reise als Treibholz hinter sich und lädt nun zum Balancieren ein.
Der Künstler Stefan Saffer hat Trommeln zu einer Art Satelliten-Mobile aufgehängt, die in verschiedenen Farben an Sonne, Mond und Venus erinnern. Im Raum liegen Bälle bereit, mit denen man auf diese Planeten werfen kann – die Klänge, die dadurch entstehen, verändern wiederum die Wahrnehmung seiner Kunst. „Wenn man sich vorstellt, ein Bild von van Gogh würde plötzlich zu einem sprechen oder Musik machen, würde das den Betrachter ja auch sehr berühren und ihn dazu bringen, das Bild mit anderen Augen oder anderen Sinnen wahr zu nehmen,“ lacht Stefan Saffer.
Viele dieser Ausstellungsstücke sprechen Kinder schon allein durch ihre Beschaffenheit an – da gibt es Raketen, die man beklettern kann, eine Schaukel von Thilo Frank, in der sich der Himmel spiegelt, in den man auf ihr fliegt. Es gibt einen Ping Pong Halfpipe von Max Frey, durch die hunderte von Bällen klackern und einen Springbrunnen aus alten Badewannen und Duschen, die Franz Hoefner und Harry Sachs zu einer Installation zusammengeschraubt haben.
Andere Kunstwerke machen die Kinder eher nachdenklich und regen sie zu Fragen an – etwa ein schwarzer Plastiksack von Eduardo Basualdo, der von der Decke baumelt und in dem sich etwas bewegt, das nicht zu definieren ist. Oder eine dunkle Werkstatt, die an das Chaos von Petterson und Findus erinnert, die aber über und über bestückt ist mit alten Alltagsgegenständen, Erinnerungen des Künstlers Ethan Hayes-Chute aus seiner eigenen Kindheit.
Alle diese Künstler haben ArtPod für diese erste Ausstellung ihre Werke übrigens umsonst zur Verfügung gestellt, aus Überzeugung und eben auch aus Liebe zu Kunst und Kindern. Ihr Lohn sind die Freude und all das, was ihre Arbeiten bei den Menschen auslösen können. Und sie sind nun natürlich gespannt auf die kommenden Wochen, in denen ihre Kunstwerke erlebt, gefühlt und betrachtet werden, freuen sich vor allem auf die Kinder, die alles mit Leben erfüllen werden.
Und Rebecca Raue und Laurie de Chiara arbeiten hoffentlich derweil weiter daran, das Amerikahaus für eine dauerhafte Kinder-Kunst-Institution in Berlin zu gewinnen. Und spätestens nach Besuch dieser wirklich gelungenen und besonderen Ausstellung, wird sich jeder auf ihre Seite stellen und sie dabei unterstützen wollen!
Text: Ilka Lorenzen