Schon seit einigen Jahren lösen sich die Papas von den alten Rollenbildern und bringen sich aktiver als damals noch ihre Väter in das Familienleben ein. Das sogenannte „neue“ oder „engagierte“ Vatersein wird häufig als Trend bezeichnet. Darüber und mit welchen Fragen Väter zu ihnen kommen, spricht Marc Schulte vom Väterzentrum Berlin e.V. im HIMBEER-Interview.
Marc Schulte ist Vater von drei Kindern im Alter von 13, 17 und 22 Jahren und arbeitet als Sozialpädagoge seit zehn Jahren, also seit Bestehen, im Väterzentrum Berlin e.V. Der Verein, der durch die Senatsverwaltung für Bildung, Familie und Jugend unterstützt wird, bietet professionelle Beratung an und ist gleichzeitig ein Ort der Begegnung und des Austauschs für Papas und ihre Kinder.
Was bietet das Väterzentrum an?
Es gibt drei Bereiche:
Erstens:
Wir sind ein Veranstaltungsort für Väter, Kinder und auch Familien. Hier gibt es Kurse zur Geburtsvorbereitung oder Crashkurse für werdende Väter. Außerdem haben wir ein Papa-Café für Väter in Elternzeit und ein Follow-Up-Familiencafé immer samstags.
Auch kann man bei uns Papa-Kind-Reisen buchen, zum Beispiel ins Indianer Tipi-Dorf, in den Zirkus oder auch Kanu-Touren. Dann finden noch verschiedene Event-Veranstaltungen statt.
Das Zweite:
Wir sind eine Beratungsstelle und hierhin kommen in erster Linie Väter in Trennungssituationen, um sich sowohl psychologisch als auch juristisch beraten zu lassen. Auch bieten wir ein Gruppenprogramm für Väter nach der Trennung an.
Und dann gibt es noch einen dritten Bereich:
Wir sind eine Fachstelle zum Thema Väter und als Experten unter anderem in der Fort- und Weiterbildung tätig. Zum Beispiel bieten wir in Zusammenarbeit mit der Katholischen Hochschule eine Weiterbildung zur Fachkraft in der Arbeit mit Vätern an oder beraten Institutionen und Unternehmen.
Wichtig ist erst mal zu sagen: Wir sind kein Beschulungsprojekt! Wir zeigen den Vätern, die zu uns kommen, nicht, wie ein guter Vater zu sein hat, sondern wir geben einen Raum und einen Ort dafür, etwas Cooles mit den Kindern zu erleben und in den Austausch mit anderen Männern zu treten.
Wie wird euer Angebot angenommen?
Wir haben sehr viel Zulauf. Insbesondere für die Beratung sind wir in ganz Berlin angenommen worden, wir bekommen auch deutschlandweit und aus dem Ausland Anfragen. Der Bedarf ist rein statistisch gegeben: Die benachbarten Schulen hier in Prenzlauer Berg gehen davon aus, dass bei ca. 60 Prozent der Grundschüler die beiden leiblichen Eltern nicht mehr zusammen sind. Also weit höher als es sonst angenommen wird.
Bundesweite Statistiken zeigen, dass ein Drittel aller Kinder bis zum 18. Lebensjahr davon betroffen ist. Durch das Papa-Café kommen aber auch sehr viele Väter in einer intakten Familiensituation zu uns. Auch zu den Veranstaltungen kommen Leute von Außenbezirken, die sagen, dass man gerade dieses Papa-Café-Angebot sonst nicht in der Stadt findet.
Mütter sind aber bei euch auch willkommen …
Ja, vor allen Dingen samstags beim Familiencafé. Wir sind explizit eine familienfreundliche Einrichtung, bei der es darum geht, die Familie zu unterstützen. Es gibt auch Angebote ausschließlich für Väter und Kinder, wie zum Beispiel, wenn wir auf Reisen gehen.
Welche Väter kommen zu euch?
Zu uns kommen Väter, die auch Väter sein wollen; die präsent sein wollen im Leben ihrer Kinder. Ins Papa-Café kommen in erster Linie akademisch gebildete Väter, die sechs Monate und mehr in Elternzeit gehen und so auch wirklich einen Rollentausch zu Hause haben. Sie beschäftigen ähnliche Themen wie Mütter auch: den Alltag strukturieren, Informationen sammeln, einen Ausgleich und den Austausch finden.
In den Beratungsbereich kommen Väter aller Milieus, die finden, dass der Beratungsbereich sehr auf die Bedürfnisse der Frauen ausgelegt sei und sich nicht richtig wahrgenommen fühlen mit ihren Anliegen.
Du bist jetzt seit zehn Jahren dort. Haben sich die Bedürfnisse und Fragen der Väter seitdem verändert?
Dass sich da seit einer Generation sehr viel getan hat, kann man gesamtgesellschaftlich beobachten.
Was wir beobachten ist, dass sich der Trend der „neuen“ oder „engagierten“ Väter jetzt auch nach der Trennung fortsetzt. Früher haben sie sich dann eher zurückgezogen, jetzt wollen Väter auch nach der Trennung präsent bleiben. Neu ist also, dass die Väter das offensiver einfordern. Und das spüren wir als Beratungsstelle, da die Nachfrage unsere Möglichkeiten zum Teil übersteigt. Wir haben im letzten Jahr über 600 Leute beraten und das mit zwei Teilzeitstellen.
Woher kommt die Entwicklung bzw. der Trend der „Neuen Väter“? Ist das wirklich so neu?
Das ist nicht wirklich etwas Neues, den Trend gab es auch schon in den 1920er-Jahren. Damals gab es den ersten neuen Vater und auch die ersten Angebote für Väter. In den 1970er-Jahren kam noch einmal eine solche Welle und heute existiert seit circa zehn Jahren, seit der Einführung des Elterngeldes und später ElterngeldPLUS, eine andere Wahrnehmung in der Gesellschaft.
Das wurde medial sehr gehypt und die damalige Familienministerin Ursula Von der Leyen hat daraus fast eine Art DAX-Chart gemacht, wie viele Väter in Elternzeit gehen. Die Darstellung von Männern und auch die Erwartungshaltung an Männer, also als behütend, fürsorglich, präsent usw. hat sich auf jeden Fall verändert.
Wie realistisch ist das Prinzip des engagierten Vaters für Familien umsetzbar?
Paare wünschen sich und praktizieren laut Umfragen vor der Familiengründung eine paritätische Aufteilung. Beide sollen sich beruflich selbst verwirklichen können, beide sollen für den Haushalt verantwortlich sein und wünschen sich, dass sie sich beide auch für die Kindererziehung verantwortlich fühlen.
Wenn das Kind da ist, folgt eine erste Re-Traditionalisierung: Er verdient mehr, also geht er weiterhin arbeiten oder sogar mehr und außerdem brauche das Kind jetzt vor allen Dingen die Mutter, so die allgemeine Meinung. Und dann entscheiden sie sich für eine 12:2-Lösung, also die Mutter geht das Jahr in Elternzeit, der Vater nur zwei Monate.
Auch, wenn viele Väter sich deutlich mehr wünschen. Dann kommt vielleicht ein zweites und drittes Kind und diese Schere vergrößert sich. Das ist ein Problem, wenn es eigentlich beide nicht so wollten.
Die nächste Stufe der Re-Traditionalisierung erfolgt dann bei der Trennung. Dann kommt das Kind zur Mutter und der Vater sieht es nur noch 14-tägig oder gar nicht mehr.
… und dann kommen sie zu euch in die Beratung. Was ist denn das Beste für das Kind im Falle einer Trennung?
Das ist natürlich sehr individuell, aber im Fokus unserer Beratung steht das Kind. Es muss klar getrennt werden: Was ist die Paar-Ebene, die gescheitert ist, und was ist die Eltern-Ebene, die ein Leben lang gilt. Auch schauen wir, wo die gegenseitige Wertschätzung ist. Es funktioniert nicht, wenn ich eine rein kritische, abwertende Haltung gegenüber dem Anderen habe.
In diesem Aushandlungsprozess nach der Trennung fühlen sich die Väter eher in der Defensive und das ist dann besonders oft der Fall, wenn Paare vorher ein sehr traditionelles Rollenverhältnis hatten.
Wir raten Vätern daher generell zu einer langen Elternzeit, um eine eigene Bindung zum Kind aufzubauen, eigene Rituale mit ihm zu kreieren, um im Eltern-Kontext auf Augenhöhe zu kommen. Von Anfang an dabei zu sein, das würde ich immer empfehlen.
Apropos Elternzeit – es gibt ja seit einiger Zeit den Trend, dass Väter genau in ihren zwei Monaten eine Familien-Weltreise planen. Das widerspricht dem gleichberechtigten Rollenverhältnis, oder?
Das angesprochene Modell ist zwar gängig, wir sollten uns aber trotzdem davor hüten, das so abzuwerten. Für die Familien ist das eine super Zeit und auch ein tolles Geschenk, das der Staat ermöglicht, damit die Familie noch mal anders zusammen wachsen kann.
Das Idealbild vom „Neuen Vater“ ist für viele Familien aus verschiedenen Gründen nach wie vor nicht möglich. Ich höre immer wieder von Vätern, dass sie sich in Sachen Elternzeitgestaltung bzw. -verteilung auch etwas anderes vorstellen können, aber das ist oft gar nicht mit ihren Partnerinnen verhandelbar.
Wie ist die rechtliche Situation für Väter?
Der rechtliche Rahmen für Väter hat sich in den letzten Jahren sehr an den der Mütter angenähert. Mit der Sorgerechtsreform von 1995 hat sich einiges getan. Die Rechtsprechung ist allerdings etwas anderes. Nach wie vor ist das sogenannte Wechselmodell, also dass das Kind an zwei Orten sein Zuhause haben kann, in den Köpfen nicht verankert, bisher gehen alle immer zuerst von dem Residenzmodell aus – das heißt, die Kinder wohnen bei einem Elternteil fest.
Oft ist das die Mutter. Dazu gab es dieses Jahr ein Urteil des Bundesgerichtshofs, was viele als wegweisend bezeichnen, da für das Wechselmodell dadurch eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Wir sagen nicht, das Wechselmodell ist unbedingt der Königsweg, aber er ist das, was wir uns für die Kinder wünschen – ein shared parenting.
Was denkst du, wie gleichberechtigt sind denn Mutter und Vater in Deutschland?
Es existiert ein unterschwelliges psychologisches Muster, was sich überall durchzieht, in den Institutionen und auch in den Köpfen von Frauen und Männern: Die Mutter ist die wichtigere Bindungsperson für das Kind als der Vater.
Doch da verändert sich mittlerweile die Erwartungshaltung, wie präsent der Vater sein soll. Genau das ist mit „Neuen Vätern“ gemeint. Viele Männer sagen, sie wollen es anders machen, als noch ihre Väter.
In meiner Generation, also Jahrgang ´60 bis ´72, hat es oft noch ein deutlich schlechteres Vater-Sohn Verhältnis gegeben. Auch heute wollen Papas vieles noch anders machen als ihre Eltern, doch dass so viele heutzutage von einem guten Verhältnis zwischen ihnen und ihren Vätern sprechen, ist neu.
Auch unsere Titelgeschichte der HIMBEER-Ausgabe August/September 2017 geht es um das Thema Neue Väter und was sie mit ihren Kindern verbindet.