Der 35-jährige Jungunternehmer aus Berlin hat 2015 die Online-Plattform GoVolunteer ins Leben gerufen, um die Koordination von Hilfsprojekten zwischen Flüchtlingen und freiwilligen Helfern zu erleichtern.
„2015 war die Hilfsbereitschaft grenzenlos. Diese Dynamik und Energie in der Bevölkerung wollte ich nicht verpuffen lassen“, erzählt Malte über die Gründungsidee von GoVolunteer.
August 2018, an einem dieser sensationell heißen Tage treffen wir Malte Bedürftig im Migration Hub Network in Berlin-Mitte. Er holt sich noch schnell einen Kaffee. Es ist das zweite Interview an diesem sonnigen Morgen. Malte ist groß, ein Hühne von einem Mann, sein Lächeln einnehmend. Nichts bringt ihn aus der Ruhe, nicht die Hitze, nicht die Bienen aus dem nah gelegenen Bienenstock mitten in der City.
Und schon legt er los: Argumentieren, Überzeugen und Mitreißen – das sind die Talente des Malte Bedürftig, insbesondere wenn es um das Thema soziales Engagement geht. Man spürt sofort, dass er von dem, was er tut, vollkommen überzeugt ist.
„Bedürftig“ ist Geburtsname und Programm.
Oft werde er gefragt, ob sein Name nicht ein Künstlername sei. „Bedürftig“ ist Geburtsname und Programm, denn soziales Engagement hat bei den Bedürftigs schon gewissermaßen Familientradition. Maltes Eltern waren beide Lehrer an Hauptschulen, denn sie wollten ganz bewußt Kindern helfen, die nicht die besten Startvoraussetzungen hatten. Sein Vater arbeitete ehrenamtlich mit obdachlosen Kindern, engagierte sich auch politisch und betreut jetzt Willkommensklassen.
Nach dem Studium der Staatswissenschaften und dem Master „Development economics“ in Barcelona arbeitete Malte Bedürftig für niemand Geringeren als einen der weltweit größten Unternehmens- und Strategieberater. Bei McKinsey & Company war er jedoch nicht „der übliche Unternehmensberater“. Seine Zuständigkeit lag im öffentlichen und sozialen Sektor. „Als Unternehmensberater habe ich immer auch versucht, dem, was ich tue, meinen eigenen Stempel aufzudrücken.“ In dieser Zeit fing er an, sich ehrenamtlich zu engagieren, zuerst mit Obdachlosen in Zusammenarbeit mit der Berliner Stadtmission, einer evangelischen Hilfsorganisation, und später mit Geflüchteten.
„Ziel der Plattform GoVolunteer war es, der erste Anlaufpunkt für Menschen zu sein, die helfen wollen“
„Wir haben mit Kindern gespielt, Bibliotheken aufgebaut, Integrationskurse entwickelt oder einfach nur Essen ausgegeben“, erzählt Bedürftig. Wer selbst in dieser Zeit voll Eifer und Tatendrang mit vielen anderen vor Notunterkünften stand, erinnert sich sicherlich, wie chaotisch es zuging im Sommer 2015.
Es gab anfangs niemanden, der die Hilfskräfte koordinierte. Da wurde der ein oder andere Freiwillige auch mal weggeschickt. „Das war natürlich eine frustrierende Erfahrung und ich hatte die Befürchtung, dass diese Energie in der Bevölkerung einfach verpuffen würde.“
Und so sei er mehr oder weniger in seine Startup-Gründung „reingerutscht“. „Ziel der Plattform GoVolunteer war es, der erste Anlaufpunkt für Menschen zu sein, die helfen wollen“, erklärt der Entrepreneur. Auf der Website govolunteer.com können Interessent:innen nach Möglichkeiten zum Engagement suchen und diese nach Ort, Zeit, Sprache und Interessen filtern. Derzeit sind mehr als 3.000 gemeinnützige Initiativen und Veranstaltungen in über 100 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf der Website vertreten.
Viele standen kurz vor dem Helfer:innen-Burn-Out.
Seit der Anfangszeit von GoVolunteer habe sich die Struktur des Engagements extrem verändert. „Damals war das Engagement sehr intensiv. Die größte Herausforderung war die Versorgung, und die Leute haben sich regelrecht hineingestürzt. Einige haben 30 bis 40 Stunden pro Woche ehrenamtlich gearbeitet und teilweise Job oder Studium liegen gelassen. Viele standen kurz vor dem Helfer:innen-Burn-Out“, erinnert sich Bedürftig.
Heute macht er drei Gruppen aus: die spontanen Helfer, diejenigen, die sich ab und an einsetzen und die dritte Gruppe, die sich regelmäßig engagiert. „GoVolunteer hilft jedem:jeder dabei, das Richtige für den eigenen Lebensentwurf zu finden. Ich sehe bei Karriere und Engagement kein Entweder-Oder.“ Es drehe sich auch nicht mehr alles nur um Geflüchtete. Hinzugekommen sind die Bereiche Demokratisierung, Fremdenrechte, Tierschutz, Umweltschutz und Arbeit mit älteren Menschen, Kindern und Jugendlichen. Und es seien immer mehr Geflüchtete und Migrant:innen unter den Helfer:innen.
Wieder eine Energie, die der Sozialunternehmer und sein mittlerweile 30-köpfiges GoVolunteer-Team nicht verpuffen lassen wollten und mit ihrem Programm „Engagierte Newcomer“ aufgefangen haben. Sich als Geflüchteter oder Newcomer, wie Malte Bedürftig sie nennt, ehrenamtlich zu engagieren sei für ihn der „ideale Weg“, sich zu integrieren.
Sich in einer Gemeinschaft zu Hause zu fühlen, indem man sie mitgestaltet: Integration durch Partizipation. „Viele Geflüchtete haben auch das Bedürfnis, der Gemeinschaft, die ihnen geholfen hat, etwas zurückzugeben“, weiß Bedürftig.
Das Programm „Engagierte Newcomer:innen“, das von der Europäischen Union und Aktion Mensch gefördert wird, begleitet die Geflüchteten bei ihrem dreimonatigen Engagement im Katastrophenschutz, im Tierheim, bei der Pflege älterer Menschen oder im Umgang mit Obdachlosen.
„Die Newcomer:innen werden erst darüber aufgeklärt, was ehrenamtliches Engagement überhaupt bedeutet und welche Konventionen es da gibt. Anschließend wird gemeinsam ausgelotet, in welchem Bereich der Teilnehmer:innen mit ihren Kompetenzen am besten passen“, erläutert Bedürftig.
28 Stunden pro Woche für das Ehrenamt sieht das Programm vor. Die Programmteilnehmer:innen haben die Möglichkeit, an Community-Veranstaltungen und verschiedenen Freizeitaktivitäten teilzunehmen. „Engagierte Newcomer:innen“ unterstützt die Geflüchteten aber auch bei der Frage, wie es weiter gehen soll: mit Bewerbungscoachings, Workshops zu Communication Skills, Kontakten und Referenzschreiben
Jemand, der sich so explizit für Geflüchtete einsetzt, macht sich auch angreifbar. Als Claudia Roth, die schon lange ins Visier des rechten Lagers geraten ist, ein Unterstützer-Video für GoVolunteer aufnimmt, sieht sich GoVolunteer mit einem Shitstorm aus dem Pegida- und AfD-Lager konfrontiert.
Nach einem kurzem Hilferuf an die Community kommt es zu einer entsprechenden Gegenreaktion. Bedürftig bezeichnet sich selbst als „Grundoptimist“ und lässt sich von derartigen Vorkommnissen nicht aus der Ruhe bringen. Er steht zu 100 Prozent zu dem, was er tut.
„Für Themen wie Meinungsfreiheit, Vielfalt und Demokratie muss man ‚das Maul aufmachen‘, damit sie selbstverständlich bleiben.“
Besonders das Thema Vielfalt liegt dem Start-up-Gründer und seinem Team sehr am Herzen. Seit September 2017 setzt die bundesweite Kampagne „So bunt ist Deutschland“ mit Fernsehwerbung, Social Media-Aktionen und Merchandising ein Zeichen für Vielfalt.
Ausgangssituation war das Dilemma, dass Kindern eine einzige Farbe für Haut zur Verfügung stand: diese rosafarbenen Buntstifte mit der Bezeichnung „hautfarben“. „Damit lässt sich unmöglich unsere vielfältige Gesellschaft in Deutschland abbilden“, argumentiert Bedürftig.
Ein Set mit zwölf Buntstiften soll Kindern jeglicher Herkunft ermöglichen, sich und ihre Familie malen zu können. Mittlerweile ist auch ein Malbuch hinzugekommen, indem es nicht nur um verschiedene Hautfarben und Kulturen, sondern zum Beispiel auch um homosexuelle oder bisexuelle Paare geht.
Der Erlös aus dem Verkauf der Produkte fließt zu 100 Prozent in die Integrationsprojekte von GoVolunteer. Wo ihr sie in Berlin und anderen Städten kaufen könnt, findet ihr ebenso wie eine Online-Bestellmöglichkeit auf der GoVolunteer-Website.
Eine Anekdote, die Malte Bedürftig gerne erzählt, wurde ihm als Feedback zu den „So bunt ist Deutschland“-Buntstiften zugetragen: Eine Mutter fragt ihr Kind nach dem hautfarbenen Buntstift, die Tochter entgegnet „Welchen?“.