Über 10.000 Kinder erblickten mit ihrer Hilfe das Licht der Welt. Luise Kaller ist Hebamme seit 50 Jahren und ein Ende ist längst nicht in Sicht.
Im Interview mit HIMBEER spricht die Mutter von zwei Söhnen und Großmutter zweier Enkel über ihre erste Geburt als Hebamme, die Entwicklung der Geburtshilfe und das Besondere am Hebammenberuf.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Geburt?
Ich habe 1967 in Leipzig die Lehre als Hebamme angefangen. Die erste Geburt alleine, das war die fünfte Geburt, vorher war ich immer mit einer ausgebildeten Hebamme eingeteilt.
Diese Geburt also fand im Fahrstuhl statt. Es war so: Ich musste die Frau abholen an der Aufnahme und man hört das dann schon, ob die Frau Presswehen hat und ich dachte: „Oh, das hört sich schon recht dramatisch an“. Dann bin ich mit der Frau in den Fahrstuhl und der Kopf kam, da habe ich das Kind geholt. Ich sage ja immer – solche Geburten gehen gut, da passiert nichts.
Wie meinen Sie das?
In der Notsituation macht man automatisch das Richtige, muss ich immer wieder feststellen. Das war das erste Kind alleine, da erinnere ich mich noch sehr gut. Und die erste Geburt, die ich als fertige Hebamme gemacht habe, war bei einer Frau, die kriegte ihr dreizehntes Kind. Ich glaube die hat mir eher gesagt, was ich machen soll (lacht).
Warum sind Sie Hebamme geworden?
Das war gar nicht mein Traumberuf, ich wollte eigentlich Kosmetikerin werden. Damals war ich 16, dafür musste man aber 18 sein. Ich hatte schon immer einen Hang zu Kindern, als junges Mädchen habe ich immer schon auf Kinder aufgepasst. Also bin ich ins Krankenhaus gegangen und habe gefragt, ob man sich dort noch bewerben kann und da haben sie mich als Säuglingsschwester angenommen.
Irgendwann habe ich mich mit einem Assistenzarzt unterhalten und der hat erzählt, dass seine Schwester jetzt gerade Hebamme geworden ist. Als ich nach Hause kam habe ich zu meiner Mutter gesagt: Ich bewerbe mich jetzt als Hebamme! Also war das eine Entscheidung im Nachtdienst.
Und stehen Sie noch heute hinter der Entscheidung?
Ja, ich habe das nie bereut! Seit vielen Jahren bin ich nun Beleghebamme. Ich komme ja aus der ehemaligen DDR und da gab es die noch nicht, also freiberufliche Hebammen. Das gibt es seit rund 25 Jahren und ich finde das ist noch mal eine Bereicherung.
Früher war Geburtshilfe eher so „Schmalspur“. Man hat die Frau entbunden und sie danach fast nie wieder gesehen. Es war nicht so eine Gemeinschaft wie jetzt. In die Geburtshilfe spielen ja auch andere Sachen mit rein wie Psychologie und auch ein bisschen Chirurgie – das hat man ja früher alles nicht mitgekriegt. Also ich würde es wieder so machen.
Wie hat sich die Geburtshilfe im Laufe der Zeit verändert?
Heute kann man vieles im Vorfeld abklären und das ist natürlich toll. Es kann aber auch ein Fluch sein. Ein gewisses Restrisiko bleibt immer, dennoch finde ich es gut, dass bestimmte Fehlbildungen am Kind frühzeitig erkannt werden können und wir dann die Frau schon darauf vorbereiten können.
Vieles ist ja gut behandelbar, wie zum Beispiel die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Bei manchen Sachen gibt es hundertprozentige Überlebenschance für die Kinder, wenn es frühzeitig festgestellt wird.
Und warum ein Fluch?
Zum Beispiel gibt es heutzutage relativ viele künstliche Schwangerschaften, da haben die Frauen oft schon eine Odyssee wie zehn Jahre Kinderwunsch hinter sich. Und da möchte man natürlich, dass alles perfekt wird und dann wird jede Untersuchung gemacht.
Wenn ich gefragt werde, was ich von einer Fruchtwasseruntersuchung halte, dann sage ich immer: Wenn Sie wissen, wie Sie mit dem Ergebnis umgehen, machen sie es. Wenn nicht, dann lassen Sie es. Es ist oft so, dass die Frauen das einfach gerne möchten und wenn es für sie eine Sicherheit ist, sollen sie es auch machen. Der goldene Mittelweg macht es!
Sie sind das Testimonial des Kinderwagenherstellers bonavi. Wie kam es dazu?
Die beiden Brüder, die bonavi gegründet haben, waren auf der Suche nach jemandem, der vom Fach ist und Erfahrungen mit reingeben kann. Und so ist der Zusammenschluss gekommen.
Ich habe den Prototypen begutachtet und da haben wir dann noch einiges verändert, sodass der Wagen schön leicht wird und es einen schön großen Korb gibt etc.
Was ist das Besondere an dem Beruf?
Jede Frau ist anders, das heißt man muss sich auch auf jede Frau anders einstellen. Eine Geburt ist immer eine soziale Sache und für mich auch immer noch – nach so vielen Kindern – ein Wunder. Aus einer Eizelle und ein bisschen Eiweiß wird ein fertiger Mensch.
Emotional ist es keine Routine und das ist eben auch der Vorteil, wenn man die Frauen vorher schon kennt. Da kann man sich aufeinander einstellen. Früher war die Frau schon schmerzverzehrt, wenn die Hebamme die Tür aufgemacht hat und dann musste sie sich noch auf mich einstellen.
Wie lange haben Sie noch vor, Hebamme zu sein?
Ich glaube so richtig aufhören werde ich sowieso gar nicht können, weil es macht viel zu viel Spaß! Allerdings habe ich früher pro Jahr ungefähr 100 bis 120 Frauen entbunden. Das ist praktisch jeden dritten Tag und das schaffe ich jetzt nicht mehr.
Ich habe früher zehn bis 14 Frauen pro Monat angenommen, die Zahl muss ich jetzt runterfahren auf sechs bis acht Frauen im Monat. Ob ich noch in fünf Jahren ständig rufbereit bin wie jetzt, das weiß ich nicht. Aber im Moment ist es noch sehr gut, wie ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
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