Der Hebammenmangel spitzt sich immer weiter zu und sowohl Schwangere als auch die Hebammen selbst leiden darunter. Welche Gründe es dafür gibt und wie sie die aktuelle Situation erlebt, hat uns Hebamme Janine Krupp verraten.
Mit dem positiven Schwangerschaftstest beginnt eine aufregende Zeit – voller Vorfreude. Doch leider wird diese bei vielen Frauen schnell wieder etwas getrübt, nämlich dann wenn die Suche nach einer Hebamme beginnt.
Zunächst stöbert man noch auf den Websites umher und denkt sich: „Ach, die schreib ich mal an.’“ Bald wird man aber auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und sitzt vor einer Liste, die man rauf und runter telefoniert, um eine Betreuung zu bekommen. Grund ist der akute Hebammenmangel in Deutschland.
Janine Krupp ist freiberufliche Hebamme und arbeitet seit 2009 leidenschaftlich in ihrem Beruf. Nebenbei leitet sie gemeinsam mit einer Kollegin die Hebammenpraxis Mamatoto, die selbst mit dem starken Hebammenmangel und der Coronapandemie zu kämpfen hat.
In unserem Interview verrät sie uns, wie sie die aktuelle Situation erlebt, was sie sich von der Politik wünscht und was Schwangere machen können, die keine Hebamme finden.
Mit welchen Problemen siehst du dich als Hebamme aktuell konfrontiert?
Die Problematik unseres Berufsstandes spitzt sich bereits seit mehreren Jahren zu. Steigende Haftpflicht- und Versicherungsbeiträge bei nahezu gleichbleibender Leistungsvergütung zwingen einige Hebammen zur Berufsaufgabe. All die zeitlichen Aufwände stehen in keinem Verhältnis mehr: Ein Großteil unserer Arbeit ist administrativ, ganze 40 Prozents unseres Tuns bleiben unbezahlt.
Wir können es uns mitunter kaum mehr leisten, als Hebamme zu arbeiten und verlieren immer mehr Kolleginnen für diesen wundervollen Beruf. Vertretungen bei Krankheit, für Fortbildungen oder Urlaub sind daher kaum mehr möglich. Ein geregeltes Frei gibt es nicht.
Des Weiteren sind Kursorganisationen besonders jetzt in Pandemiezeiten wahnsinnig kompliziert geworden, ebenso wie die Abrechnung mit den Krankenkassen. Wir sind unter anderem mit willkürlichen Kürzungen von erbrachten Leistungen konfrontiert und zahlen obendrauf noch Portokosten für die Übersendung der Abrechnung, da das Thema Digitalisierung bei den Kassen offenbar noch nicht angekommen zu sein scheint.
Während auf dem Markt Beratungen und Unterstützungsangebote von anderen Dienstleister:innen nach eigenen Preisvorstellungen erfolgen, werden wir seit vielen Jahren völlig unter Wert bezahlt – und das bei einer so hohen Verantwortung für mindestens zwei Menschen. Ein Beispiel: Für einen Wochenbettbesuch wird uns von den Krankenkassen eine Pauschale von 38,46 Euro gezahlt.
Darüber hinaus machen wir uns große Sorgen über die Entwicklung der Geburtshilfe. Vor allem kleinere Kliniken müssen schließen, weil sie schlichtweg nicht mehr wirtschaftlich sind. Auch das ist wiederum ein Problem der Finanzierung im Gesundheitswesen. Da auch immer weniger Kolleg:innen die außerklinische Geburt anbieten können, wird auch den Frauen die freie Wahl auf ihren Geburtsort erschwert oder ist schlichtweg unmöglich.
Es gibt bereits in einigen Bundesländern eine Unterversorgung der geburtshilflichen Einrichtungen, was zur Folge hat, dass Frauen weite Strecken in Kauf nehmen müssen, um ihr Kind in guter Begleitung gebären zu können. Das darf nicht so weitergehen. Es muss sich etwas ändern. Es ist nicht mehr 5 vor 12 – eher 5 nach 12!
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Situation Schwangerer und die Arbeitsbedingungen der Hebammen?
Das sind zwei sehr komplexe Fragen – ich versuche mich mal kurz zu fassen: Schwangere sind besonders in der Pandemie von großen Ängsten betroffen. Neben der Angst vor der Ansteckung und den noch wenig bekannten möglichen Folgen, steht vor allem die Angst vor der Geburt ohne Partner:in bzw. Begleitung im Vordergrund. Hebammen steckten sich an oder waren in Quarantäne, so dass auch hier Begleitungen in Schwangerschaft, Geburt oder im Wochenbett wegfielen.
Die Isolation von Freund:innen und Familie war bzw. ist besonders schwer in einer Phase, in der Frau ihr Glück doch so gern teilen möchte. Es entwickelte sich noch mehr Redebedarf, weil wir zeitweise die einzigen Kontaktpersonen waren. Das Tragen der Maske hat vielen Frauen große Schwierigkeiten bereitet – bis heute. Kursangebote können größtenteils immer noch nur online stattfinden. Es fehlen der Austausch und das Empowerment der Frauen untereinander sehr.
Und wir Hebammen hatten durch die wirklich schwierigen Bedingungen große Probleme den Beruf mit der Familie zu vereinbaren. Während des ersten Lockdowns hatten wir nicht mal Anspruch auf Notbetreuung in Schule und Kita, weil wir – so unglaublich das klingt – von der Bundesregierung schlicht vergessen wurden.
Das ist übrigens auch generell unser Eindruck vom Bundesgesundheitsministerium: Wir werden kaum beachtet. Aufgrund von Homeschooling und der Kinderbetreuung zu Hause konnten wir noch weniger arbeiten, was in Anbetracht des niedrigen Einkommens noch schwieriger auszuhalten war und in Teilen immer noch ist.
Schutzausrüstung wurde uns bis heute nicht gestellt. Wir waren und sind sehr auf uns allein gestellt und mussten zusehen, wie wir an Material kommen. Das sind nur einige der Probleme, die uns durch die Pandemie entstanden sind.
Wie viele Familien betreust du zur Zeit?
Im Schnitt nehme ich für die umfassende Begleitung in Schwangerschaft und Wochenbett vier bis fünf Familien pro Monat an. Durch die lange Betreuungszeit von 12 bis 18 Monaten sind es monatlich dann recht viele kleine und große Menschen mit unterschiedlichem Betreuungsbedarf parallel.
Wie sieht dein Alltag derzeit aus und wie vereinst du Job und Familie?
Das Hebammenleben ist für die eigene Familie eine große Herausforderung. Ich bin mit wenigen Ausnahmen sieben Tage pro Woche arbeiten – meine Woche hat etwa 45-60 Stunden. Feste Termine sind kaum planbar, Ausflüge können meistens nur spontan geplant werden oder es bedarf großer Organisation.
Gleichzeitig kann ich wie andere Selbständige frei über meine Zeit verfügen, so dass ich wichtige Ereignisse oder auch Termine mit meinen Kindern wahrnehmen kann. Ich habe feste Zeiten in denen ich erreichbar bin, so dass ich im Mama-Modus recht ungestört bin. Die Zeit mit meinen Kindern genieße ich dann umso intensiver.
Nun endlich hat sich die Coronasituation ein wenig entspannt. Die Kinder sind wieder in Schule und Kita, so dass ich relativ normal zu meinen Hausbesuchen gehen oder meine Kurse durchführen kann. Damit entfallen mehrere Stressoren. Ich hoffe inständig, dass es jetzt so bleibt. Die 14 Monate Ausnahmezustand waren wirklich schwer zu handeln.
Wie hoch empfindest du den Druck, selbst nicht krank werden zu dürfen?
Auf einer Skala von 1-10? Eine klare 12.
Eure Hebammenpraxis kämpft derzeit ums Überleben. Wie ist die Situation und wie kam es dazu?
Das ist ein sensibles Thema, da ich diesen wundervollen Ort gemeinsam mit Kolleginnen und viel Herzblut erschaffen habe. Eine Hebammenpraxis ist kein wirtschaftliches Unternehmen wie andere kleine Unternehmen, da nahezu all unsere Leistungen der festgesetzten Hebammenvergütungsvereinbarung unterliegen.
Und wie bereits erwähnt, stehen diese Vergütungen in keinem Verhältnis zu der tatsächlich erbrachten Leistung. Sprich, von einem Hebammengehalt lässt sich kaum eine Praxis unterhalten. Deshalb hatten wir vor der Pandemie zahlreiche Kursleiter:innen, die mit uns gemeinsam die Räume nutzten und für Frauen ein umfassendes Angebot ermöglichten.
Da auch diese durch das Verbot von Präsenzkursen massive finanzielle Ausfälle zu beklagen hatten, kam es zu einer Kündigungswelle. Auch Hebammen gingen – aus verschiedenen Gründen. Wir suchen seit über ein Jahr nach neuen Kolleg:innen – leider ohne Erfolg.
Nachdem nun all unsere Ressourcen aufgebraucht waren, entschlossen wir uns dazu, einen Spendenaufruf zu machen. Dank großer Unterstützung können wir vorerst bis Jahresende weitermachen. Was danach kommt, ist noch unsicher. Wir suchen händeringend nach Kursleiter:innen und Hebammen.
Was macht die Arbeit als Hebamme so besonders für dich? Würdest du diesen Beruf jungen Menschen empfehlen?
Jederzeit! Ein klares JA. Ich liebe diesen Beruf, es ist meine absolute Passion, Familien in dieser besonderen Lebensphase so sehr unterstützen zu können. Ich spüre Erfüllung, Leidenschaft und großes Glück, meinen Traumberuf ausüben zu dürfen.
Seit über zwölf Jahren bin ich mit Leib und Seele dabei. Wenn jetzt noch die Arbeitsbedingungen und die Wertschätzung von der Politik entsprechend angepasst werden, könnte es nicht schöner sein. Ich trage mit meiner Arbeit zu einem großen Teil der Frauen- und Kindergesundheit bei und erlebe fast täglich große Dankbarkeit dafür.
Was empfiehlst du Schwangeren, die keine Hebamme finden?
Bitte werdet laut! Meldet es eurer Krankenkasse und beschwert euch. Auf unsere-hebammen.de könnt ihr die Unterversorgung melden. Darüber hinaus macht es großen Sinn Mother Hood e.V. zu unterstützen, indem ihr Mitglied werdet. Diese wunderbaren Menschen machen sich stark für euch und auch für uns, nehmen politischen Einfluss und haben bereits viele sensationelle Dinge vorangebracht.
In vielen Städten werden unter anderem Notfallsprechstunden bei Hebammen angeboten. Hier findet die Eine oder Andere mitunter noch gute Unterstützung. Nehmt Kursangebote wahr und informiert euch – support your local Hebamme! Tauscht euch mit Freund:innen und Familienangehörigen aus – bittet um Unterstützung.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Oh, so einiges. Ich wünsche mir für Frauen eine Geburtshilfe, die ihren Bedürfnissen gerecht wird. Die freie Wahl ihres Geburtsortes und eine sanfte Geburtshilfe.
Für uns Hebammen wünsche ich mir eine Work-Life-Balance, eine bessere Vergütung für unsere Leistungen, Wertschätzung und Unterstützung auf berufspolitischer Ebene. Eine größere Lobby würde uns sehr helfen, mit unseren Anliegen wirklich gesehen zu werden.
Ich wünsche mir darüber hinaus, dass sich alle Menschen für uns und die Geburtshilfe stark machen. Für die Gesundheit der Frauen und ihre Kinder, denn es ist nicht egal, wie wir geboren werden.
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