In dieser Kolumne widmen sich unsere Gastautor:innen Laura und Tobias Goldfarb einer Frage, die den Paartherapeut:innen häufig gestellt wird und die viele Paare mit Kindern umtreibt.
Liebe Goldfarbs …
… seit der Geburt unseres zweiten Kindes vor knapp zwei Jahren ist unser Liebesleben komplett eingeschlafen. Wir sind trotzdem irgendwie glücklich, wir schaukeln das Familienleben gemeinsam, wir sind einander die besten Freunde, aber ich möchte mich nicht mit einer Kompromisslösung abfinden. Ist es irgendwie möglich, das Verlangen wieder zu entfachen? Was sagt ihr?
Christine*, 38
Die Goldfarbs antworten
Liebe Christine,
du kennst bestimmt das Märchen von Dornröschen: aus dem hundertjährigen Schlaf wacht die Heldin erst dann auf, wenn der Prinz sich durch alle Dornen gekämpft hat und sie wachküsst. Im Vergleich zu Dornröschen gibt es in deiner Situation eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Es muss keine hundert Jahre dauern, bis euer Liebesleben aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Die Schlechte: Es gibt keinen Prinzen, der kommt und euch wachküsst. Das müsst ihr selbst erledigen.
Schauen wir uns das Dornengestrüpp, unter dem eure Leidenschaft schlummert, einmal an. Du schreibst, dass ihr das Familienleben gemeinsam schaukelt. Fantastisch, ihr seid ein gutes Team, zum Wohl der ganzen Familie. Doch gerade darin liegt auch das Problem. Eine romantische Partnerschaft ist kein Arbeitsteam. Die Liebe, und allem voran die Leidenschaft, brauchen Distanz. Oder, wie man so schön sagt: ohne Luft keine Flamme.
Um die romantische Seite eurer Beziehung neu zu entdecken, braucht ihr Abstand. Momente, in denen ihr kein Team seid, das sich blind aufeinander verlassen kann. Das liegt in der Natur des Begehrens: Wir können nur das begehren, was wir nicht haben. Das ist leider die Crux an allen romantischen Beziehungen: Verlangen bedeutet, sich nach etwas zu sehnen, das man nicht hat, etwas zu werden, das man nicht ist.
Klingt unmöglich, in einer langjährigen Beziehung? Klar, es ist schwierig. Aber unmöglich ist es in der Regel nicht. Selbst bei Paaren, die sich seit Jahrzehnten kennen, erleben wir immer wieder, dass sie im Gegenüber etwas entdecken, dass ihnen bislang verborgen war. Versuche einmal, das Ganze wie eine Detektivgeschichte zu betrachten: Es ist spannend, in der Partner:in das zu suchen und zu finden, was sie oder er auch noch ist. Neben dem, was bekannt ist, schlummert in der Regel viel. Wahrscheinlich sogar einiges, was sie oder er selbst noch nicht entdeckt hat.
Aber ihr seid doch, wie du in deiner Frage beschrieben hast, beste Freund:innen! Klar, aber auch besten Freund:innen lässt man Distanz. Auch beste Freund:innen tun Dinge, von denen man kaum etwas weiß. Versucht einmal, wie echte beste Freund:innen miteinander umzugehen. Bleibt beste Freund:innen, aber werdet euch ein bisschen fremd.
Bleibt ein Team, das für eure Kinder einfach alles macht. Aber gebt nicht nur euren Kindern Komplimente und Aufmerksamkeit, sondern auch einander. (Gut, die Komplimente sollten sich ein bisschen anders anhören als die für die Kinder). Lobt euch für Kleinigkeiten. Denn ihr wisst genau: Auch die Kleinigkeiten machen jede Menge Mühe. Und seid nicht verlegen, Komplimente und Aufmerksamkeit voneinander einzufordern. Klar, das tun die Kinder auch, aber ihr müsst weder schreien, noch mit den Fäusten auf den Boden hauen oder euer Essen vom Teller werfen.
Sagt einander einfach, wenn ihr ein nettes Wort oder eine Umarmung braucht. Seid großzügig mit euch selbst und miteinander. Seid Freund:innen und Fremde zugleich. Es ist ein Spagat, ein Tanz auf Messers Schneide. Aber hat ein Tanz auf einer scharfen Klinge nicht auch etwas Leidenschaftliches? Kultiviert eure Sehnsucht – nicht nur die nach einem erfüllten Liebesleben, sondern jede Sehnsucht, die ihr in euch findet. Denn etwas zu verlangen, heißt etwas zu wollen. Und etwas zu wollen, heißt sich zu entscheiden.
Doch Entscheidungen sind schwer, denn jede aktive Entscheidung schließt wiederum andere Möglichkeiten aus. Viele haben Angst, etwas zu wollen, weil sie in Wirklichkeit Angst vor einer Entscheidung haben. Angst vor dem Geräusch sich schließender Türen, hinter denen weitere Möglichkeiten stecken. Aber wenn wir durch keine Tür gehen, hilft es auch nicht, wenn sie alle offen stehen. Wollen bedeutet Wählen und Wählen bedeutet Selbsterschaffung. Indem wir wählen, werden wir zu dem, was wir sein wollen.
Daher rührt oft eine Scheu vor dem Wollen, dem Verlangen, dem Sehnen. Man braucht Selbstvertrauen, und Vertrauen in den Anderen. Man macht sich verletzlich, indem man sagt, was man will – gerade, wenn es um das Dornengestrüpp der Leidenschaft geht. Aber erst, wenn man sich durch diese Dornen kämpft, sich eventuell auch einige Kratzer auf der Seele holt, erst, wenn man sich ganz zeigt, ist man in der Lage, etwas zu erschaffen.
Ihr habt eine Frage, der sich die beiden Paartherapeut:innen widmen können? Dann schreibt uns an liebegoldfarbs@himbeer-verlag.com
Goldfarb & Goldfarb
Laura und Tobias bieten Paartherapie, Einzelsitzungen, Beziehungs-Check, Mediation und Teambuilding in ihren Räumen in Berlin-Prenzlauer Berg oder als Online-Sitzungen (auch auf Englisch) an. goldfarb-goldfarb.com