Jeruscha Strelow hat mit "Was mein Herz zum Schlagen bringt" beim THEO Literaturwettbewerb 2012 zum Thema "Maschinen" in der Kategorie Lyrik den ersten Platz belegt.
THEO Berlin-Brandenburgischer Preis für Junge Literatur 2012
Erster Preis Lyrik
Der Takt tickt im Takt,
das Metronom schlägt den Takt
Meine Augen singen den Chor,
seine Finger geben Melodien vor
Meine Hände lenken die U-Bahn,
meine Ohren denken
Meine Lippen verrenken
sich, sicherheitshalber schaue ich mich um,
um zu sehen, wo ich bin.
Ich bin. Ich bin. Ich bin. Ich bin ich. Ich bin ich. Ich bin nicht. Ich bin nicht
Manchmal bin ich nicht ein Mensch.
Der Takt tickt im Takt,
das Metronom schlägt den Takt
Das Rattern des Zuges ist mein Herzschlag
Dum du dum, du dum, du dum, du dum, du dum Ich bin dumm. Ich bin dumm. Ich bin dumm.
Ich bin dumm.
Bin ich dumm? Bin ich dumm? Bin ich überhaupt ein Mensch?
Ich liebe, also bin ich ein Mensch.
Ich liebe es hier zu sitzen, die U-Bahn zu lenken Meine Gedanken an das Rauschen der Züge
zu verschenken
Ich liebe, den Puls des Zuges zu spür’n, zu fühl’n Um ihn in mir aufzunehmen,
ihn einzusaugen wie ein Schwamm
Ihm seinen letzten Atemzug zu rauben,
damit ich atmen kann
Nur einer kann atmen, er oder ich,
der Tunnel verschluckt unser letztes Licht
Wir sind eins
Der Takt tickt im Takt,
das Metronom schlägt den Takt
Ich verschlucke den Zug
Wir sind eins
Er ruft aus mir raus,
boxt mit der Faust in meinen Bauch
Ich krümme mich vor Schmerzen,
verlasse den Wagon
Renne mit einem sich übergebenden Herzen Richtung Beton
Reiße eine Wand heraus, stelle mich auf sie rauf und segle den Kudamm entlang
Richtung Freiheit, Richtung sich für immer verpflichtender Bann
Im Wasser unter mir schwimmen Meerjungfrauen
Du kannst deinen eigenen Augen nicht trauen? Vertraue doch mir! Das ist echt, das ist keine Phantasie Auf dem atlantischen Kudamm bin ich der Kapitän, der Herrscher des Geschehens
Eine, ich bin eine Krasse,
eine mit ner fiesen Grimasse
Ich habe Macht! Das Meer legte er mir in die Hände, ich bin eine Fremde
Ich bin zu jung, zu ungeduldig, neugierig,
ständig auf ’m Sprung
Ich bin
Ich bin. Ich bin. Ich bin. Ich bin. Ich laufe.
Ich renne. Ich laufe
Ich tauche aus dem Meer wieder auf, ich sitz’ im
Zug, mein geliebter Zug
Du bist mein allerletzter Atemzug
Der Takt tickt im Takt,
das Metronom schlägt den Takt
Das Rattern ist mein Herzschlag, mein Herzinfarkt Ich bin deine untergebene Magd
und du hast mich nicht mal gefragt
Notbremse! Stopp! Halt!
Halt mich hier fest!
Ich hab meinen Herzschlag verloren,
des Zuges Puls ist weg
Der Zug wurde ohne Herzschlag geboren
Er ist nur eine Maschine, ein kleiner gelber Fleck Ich aber nicht, hier, auf Erden
Bei mir, bei euch, es liegt nicht an uns
Es liegt an euch uns zu versteh’n
Weil wir es selber nicht tun
Wir sind ständig auf Zack und können nie ruh’n Wir sind unermüdlich, diese Jugend hier
Helden, die niemals aufgeben werden
Und wir sterben, jetzt schon, jeden Tag ein Stück Geschehenes geht einfach nicht mehr zurück
Denn der Takt tickt im Takt
Das Metronom schlägt den Takt
Es ist nur eine Frage der Zeit
Wann der Zug ist für die nächste Fahrt bereit Bis er wieder aus dem Tunnel der Stadt seine Leiden schreit
Gib mir noch ein wenig Zeit
Jeruscha Strelow, 15 Jahre
THEO Preisträgerin 2012, Kategorie Lyrik