Klar, die anderen Jahreszeiten haben auch ihre Vorzüge, aber seien wir doch mal ehrlich – der Sommer ist doch die allerbeste!
Sommer, wie wir ihn uns vorstellen: Eisessen ohne Ende, Sonne satt, luftige Kleidchen, Grill-Picknicke, wilde Wasserspiele und viel, viel Zeit in der Natur und an der frischen Luft. Kinder fallen abends erschöpft ins Bett und Eltern sitzen in lauen Sommernächten noch lange draußen.
Der letzte Winter saß unserer Autorin Katinka Buddenkotte beim Schreiben noch in den Knochen, aber wir schließen uns uneingeschränkt ihrer Hoffnung an, dass die Wetterfee uns dieses Jahr einen Sommer wie aus unseren Kindheitserinnerungen beschert.
Endlich Sommer – die Sehnsucht nach Baggersee, Eisessen, großen Ferien
Der lange Winter hat mich alt werden lassen. Ich höre mich schon an wie meine Oma: „Früher, da gab es noch richtige Jahreszeiten, im Winter lag der Schnee bis zum ersten Stock, aber der Sommer dauerte von Juni bis September!“
Aber so war es doch, oder? Ich meine, auch noch als wir Kinder waren, wir können uns daran erinnern, dass wir sechs Wochen am Stück im Baggersee planschten, jeden Tag schnell unser Eis gegessen haben, weil es sonst geschmolzen wäre, und wir sogar bei der Ernte mitgeholfen haben. Auch wenn es sich in den meisten Fällen mehr um das Pflücken vereinzelter Johannisbeeren als um das Sensen von Kornfeldern gehandelt haben dürfte.
Aber ganz im Ernst: Wir würden heute ein ganzes Feld mit der Nagelschere mähen, wenn dafür endlich, endlich wieder ein echter, langer Sommer käme. Wir benötigen doch nur ein kleines Zeichen: Einen ernstzunehmenden Sonnenstrahl, ein Vogelzwitschern, ein Pfund Spargel, das nicht acht Euro kostet, würde schon ausreichen, um uns alle wieder in Schwung zu bringen.
Vielleicht lächeln wir über Menschen, die behaupten, sie würden sich von der Energie des Lichts ernähren, aber wir lachen nicht mehr, wenn dieses Licht länger als drei Monate fehlt.
Gerade in einer Großstadt ist es ungeheuer wichtig, dass der Himmel mal die blaue Fahne hisst, und man sich eines Morgens denkt: „Ich motte die Stiefel ein! Man reiche mir die Flip-Flops!“ Und selbst, wenn sie einem nicht auf Kommando angereicht werden, hat man plötzlich die Power, die Latschen selbst zu holen, ja, man hat sogar den Mut, einen kurzen Rock anzuziehen, und der Welt da draußen die käsigen Beine zu präsentieren, denn man weiß: „Erstens sehen die anderen genau so aus, zweitens ist diese widerliche Blässe in drei Tagen verschwunden, juhu!“
Wenn man selber anfängt, die Blumen auf den Balkon zu stellen und den Grill aus dem Keller zu holen, dann machen plötzlich alle anderen mit. Gemeinsam schafft es eine ganze Stadt, sich auf das große Vorhaben vorzubereiten, die Café-Besitzer stellen ihre Tische nach draußen, Fahrräder werden geputzt, die Busfahrer lächeln freundlich.
Also gut, das war jetzt übertrieben. Aber die Busfahrer stöhnen nicht mehr ganz so laut auf, wenn man es wagt, ihr Gefährt mit einem Rudel Kinder zu betreten, das vor Freude juchzt. Denn auch die Busfahrer sind in den großen, kosmischen Plan eingeweiht.
Der Sommer ist dazu da, Kinder zum Juchzen zu bringen
Denn sonst bricht die Welt zusammen. Jawohl. Zunächst mal würde kein Kind mehr in die Schule oder auch nur in die Kita gehen, wenn es am Ende des Jahres nicht die große Belohnung gäbe: Die Sommerferien. Erinnert euch mal zurück, Kinderjahre laufen anders. Sie fangen im Herbst an und enden im großen Finale. Selbst Pippi Langstrumpf ist nur zur Schule gegangen, damit sie Ferien haben konnte.
Okay, Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraims Tochter Langstrumpf beehrte die Schule nur einen einzigen Tag lang mit ihrer Anwesenheit, weil ihr danach auffiel, dass sie schon lesen und schreiben konnte, und außerdem stinkreich war. Wenn man die Stelle vorliest, kommt es auf pädagogisches Fingerspitzengefühl an.
Falls ein kurzer Hinweis darauf, dass das Kind selbst keinen Koffer voller Goldstücke besitzt und auch noch nicht das ganze Alphabet beherrscht, nicht ausreichen sollte, legt man den sicheren Köder aus: „Aber du willst doch im September bestimmt wieder in die Schule gehen, damit du all deinen Freunden davon erzählen kannst, was du alles Tolles in den Ferien erlebt hast, oder?“ Das zieht, glaubt mir.
Allerdings ist man jetzt ein wenig in der Bringschuld, Betonung auf „ein wenig.“ Man kann und muss Kinder nämlich gar nicht sechs Wochen lang rund um die Uhr bespaßen, sonst denken sie nämlich wirklich am Ende, sie seien Pippi Langstrumpf.
Ziel der Übung ist aber, ganz sanft die immer nörgelnde Annika aus ihnen herauszuschütteln, und sie etwas mehr wie Tommy werden zu lassen. Das ist völlig geschlechtsneutral gemeint, aber Annika war nun einmal die Spielverderberin, Entschuldigung, der vernünftige Gegenpol zur verrückten Pippi. Und Tommy war eben der, der so lange jeden Spaß mitgemacht hat, bis es dann doch zu heikel wurde.
Ihr ahnt, was jetzt kommt?
Genau, bevor man frohen Mutes darangeht, seine Kinder Grenzen austesten zu lassen, müssen wir erst einmal uns selbst beruhigen, meint, unserer inneren Annika gut zureden, sie aber auch zu Wort kommen lassen, und gemeinsam Ideen zu sammeln, wie die gesamte Familie die Ferien überlebt.
Wer in den Ferien nicht in ferne Länder reisen kann, der tut gut daran, sich vor dem großen Abwandern mit anderen Daheimbleibern kurz zu schließen, um mit denen dann gemeinsame Ausflüge zu organisieren. Das ist meist nur ein klein wenig aufwändiger als das Planen einer Konzerttournee für David Garret, aber es zahlt sich aus.
Auf die Gefahr hin, mich anzuhören wie ein schnöseliger Friseur, der eure mausgraue Flusen betrachtet und quiekt: „Highlights, die brauchen Highlights!“
Aber genau das brauchen Kinder in den Sommerferien: Highlights, unvergessliche Erlebnisse, Abenteuer!
Campen im Wald, einen Schatz suchen, eine Bande gründen, und sei es nur für ein paar Tage, ach, für eine Nacht. Dabei immer bedenken, dass das echte Leben auch nicht „Stand by Me“ ist, sprich, damit euer Kind Jahre später feststellt, dass es nie wieder so gute Freunde hatte wie mit zwölf, muss es keinem Zug ausweichen und sich mit einer Rockergang um einen Leichenfund streiten.
Aber es muss schon mehr passieren, als Stockbrot über einem Lagerfeuer zu rösten. Wenn ihr Angst habt, dass die Kinder vor lauter Langeweile allein auf eine Nachtwanderung aufbrechen, müsst ihr halt, buchstäblich, früher aufstehen. Die Nachtwanderung anführen, und zwar mit den allerbesten Gruselgeschichten im Gepäck, die es gibt. Und die Strecke vorher im Hellen mal abgehen wäre auch gut.
Merke: Wer nach den Ferien erzählen kann, wie er mit ein paar Freunden und seiner sehr coolen Mama nachts durch den Wald geschnürt ist, und alle geschrien haben, bis sie merkten, dass es nur Papa war, der sich als Gespenst verkleidet hat, ist wenigstens für Minuten König des Pausenhofs.
Wer hingegen erzählen muss, dass er tagelang durch den Forst geirrt ist, und sich von Wurzeln und Beeren ernährt hat, und der Papa immer noch nicht nach Hause gefunden hat, weil … gut, es ist die spannendere Geschichte, sollte aber nicht die eure sein.
Wer also das angemessene Maß an Abenteuer erlebt hat, der darf auch mal relaxen. Das geht auch mit kleinen Kindern, das hat Mutter Natur extra so eingerichtet, dafür hat sie den Sommer im Grunde gemacht. Sobald nämlich die städtische Kita ihre Tore schließt, öffnet sie selbst ihr großes Füllhorn, und es klappt noch immer.
Kleine Kinder lassen sich durch kleine Wunder faszinieren.
Ein Marienkäfer reicht aus, um eine Zweijährige eine halbe Stunde zu erfreuen, vorausgesetzt, er fliegt nicht weg. Falls ihr Tränen vermeiden wollt, immer ein Set Malstifte im Gepäck dabei haben: Manchmal freuen sich Kinder genauso über ein Phantombild des flüchtigen Insekts wie über das echte Tier. Oder Tiere anpeilen, die nicht sofort abhauen können. Ich würde immer den Bauernhof vor dem Zoo präferieren, obwohl der auf den ersten Blick mehr Gefahren birgt.
Als Faustregel gilt: Kühe und Pferde werden von der freundlichen Seite, also von vorne bzw. der Seite angegangen, und zwar die erwachsenen Tiere zuerst. Warum? Weil kleine Kinder Babytiere so unfassbar süß finden, dass sie dies in unvorstellbarer Frequenz kundtun müssen. Das erschreckt die Fohlen, Kälber und die Bauern.
Respekt vor Vierbeinern lernen Kinder am besten durch die Feststellung, dass ein Pferdekopf fast so groß ist wie sie selbst, der ungewohnte Geruch im Kuhstall betäubt das Stadtkind zusätzlich so sehr, dass man im Anschluss auch kleine Entchen begucken kann, ohne Angst zu haben, dass das Kind gebissen oder die Küken totgekuschelt werden. Obwohl bei einem Besuch auf dem Bauernhof selten das passiert, was man sich zuvor in seinen schlimmsten Alpträumen ausgemalt hat, kann ich es nicht oft genug sagen: Meidet Truthähne. Und Schwäne!
Und seid nicht allzu geknickt, wenn ihr eurem Kind die ganzen schnuckligen Lämmer, Kälber und Ferkelchen zeigen wollt, sich euer Nachwuchs aus irgendeinem Grund aber nur für die eine gewöhnliche Taube interessiert, die genauso aussieht wie die hunderttausend anderen Tauben, die es täglich sieht. Euer Kind ist nicht auffällig, sondern nur detailverliebt.
Zurück aber vom Land in die Stadt, von den Tieren zu den Menschen. Im Sommer gilt: Sonne macht zwar fröhlich, aber auch dösig, und zwar alle. So geschieht es, dass man die Zehnjährigen endlich auf eigene Faust ins Freibad fahren lässt, nach endlosen Ermahnungen und dem mehrfachen Abfahren der Strecke per Fahrrad oder Bahn.
Irgendwann ist man aber überzeugt, dass nichts einem heranwachsenden Menschen so sehr schaden kann wie Eltern, die ihr Handtuch zwei Meter neben seinem aufgeschlagen haben, und dauernd zetern: „Marie, eincremen! Juri, nicht rennen! Yannick, die nassen Badesachen ausziehen, sofort, dazu musst du doch nicht in die Kabine gehen …“
Wir sollten nicht als peinliches Feindbild für unser Kind dastehen, diese Rolle übernimmt traditionsgemäß der Bademeister. Und so lassen wir die Jugend ziehen, in einer mehrmals durchgezählten Fünfergruppe, und hören uns zum Abschied rufen: „Aber wenn es dunkel wird, seid ihr wieder zu Hause.“
Das geht schief. Wenn man zehn ist, achtet man nicht darauf, dass es dunkel wird, sondern man stellt nur fest, dass es dunkel geworden ist, irgendwann. Sogar die Mahnung: „Um sieben steht ihr hier auf der Matte“, würde ich vermeiden, denn wenn dann alle gegen acht vor euch und eurem zerfetzten Nervenkostüm im Wohnzimmer stehen, murmeln die nur: „Tschuldigung, wir haben nicht auf die Uhr geguckt. Es war ja noch hell.“
Ach ja, das Handy, dass extra für diesen Zweck angeschafft wurde, war übrigens den ganzen Tag im Spind eingeschlossen, damit es nicht geklaut wird. Denkt doch mal logisch, liebe Eltern!
Mein Tipp: Bevor die Meute loszieht, lassen Sie auffällig unauffällig nebenbei die Worte fallen: „Bei dem schönen Wetter könnten wir heute Abend ja grillen.“ Aus irgendeinem Grund bleibt das hängen. Und funktioniert noch besser, wenn ihr euren Kindern nur Geld für ein kleines Eis mitgeben.
Es klingt nach Aushungern, ist aber ganz sanfte Erziehung.
Vorausgesetzt, ihr grillt auch wirklich, sonst seid ihr einfach nur gemein, und die Bestrafung durch eure Kinder wird fürchterlich sein. Aber dann, wenn alle Minderjährigen nach dem Verschlingen einer halben Ofenkartoffel selig auf ihren Gartenstühlen eingeschlafen sind, kann man sie ganz behutsam in die Wohnung tragen, sie unter das Moskitonetz legen und sicher sein: „Vor zehn Uhr morgens wachen die nicht mehr auf.“
Daraufhin schnappt man sich ein Getränk seiner Wahl, prostet seinen Freunden zu und sagt: „Auf einen langen, heißen, unvergesslichen Sommer!“