Pia Lenz zeigt in ihrem neuem Dokumentarfilm die bewegende Geschichte zweier Flüchtlingsfamilien, die nach Deutschland kommen. Uns erzählt sie, wie der Film entstand – ein Interview mit Pia Lenz.
Die Journalistin und Dokumentarfilmerin Pia Lenz hat bereits bei mehreren Reportagen und Dokumentarfilmen mitgewirkt. Oftmals ziemlich erfolgreich, wie ihre Auszeichnungen beweisen. Mit der Kamera in der Hand gelingt es ihr eine außergewöhnliche Nähe und Authentizität herstellen. Dies kommt ihr bei ihrem jetzigen Dokumentarfilm zugute.
Bei dem Film ALLES GUT übernimmt Pia Lenz Buch, Regie, Kamera und Ton und gibt mit diesem Dokumentarfilm ihr erstes 95-minütiges Kinodebüt.
1. Woher kommt deine Leidenschaft zu Dokumentarfilmen?
„Ein Land ohne Dokumentarfilme ist wie eine Familie ohne Fotoalbum“, dieses Zitat habe ich vor kurzem gelesen und es trifft ziemlich gut das, was ich mit Doku-Filmen verbinde. Es ist die Neugier und das Interesse für das Leben der Anderen und die Möglichkeit, sich etwas wie unter einem Brennglas anzuschauen, was man anschließend mit seinem Film für andere Menschen zugänglich und sichtbar machen kann. Das fasziniert und begeistert mich immer wieder aufs Neue.
2. Was hat dich dazu inspiriert den Film „Alles gut“ zu drehen?
Ich hatte für andere Recherchen und Filme bereits viele Menschen kennengelernt, die neu nach Deutschland gekommen waren und kam dann mit meinen Produzenten ins Gespräch darüber, die gerade ihren Film „Willkommen auf Deutsch“ ins Kino gebracht hatten, der sich mit der Willkommenskultur in einem kleinen norddeutschen Ort beschäftigte. Wir stellten uns zu dem Zeitpunkt alle die gleiche Frage: Wie geht das jetzt weiter? Man wusste schon, dass die meisten Neuankömmlinge lange oder für immer im Land bleiben würden und trotzdem sprachen wir wenig über entscheidende Fragen, die es zu lösen gilt, damit die Integration wirklich gelingen kann. Mich hat dabei besonders die Perspektive von Kindern interessiert. Zum einen, weil ich so wenig darüber wusste, obwohl so viele Kinder ins Land gekommen waren. Zum anderen, weil in ihren Erlebnissen viel unmittelbarer das sichtbar wird, was es heißt, in einem unbekannten Land ganz von Neuem beginnen zu müssen.
3. Warum findest du, sollte man über die Flüchtlingsthematik berichten?
Es ist das Thema, das uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird und über das wir jetzt auch weiter reden müssen. Wir haben viel über die Willkommenskultur gesprochen und müssen da weitermachen. Es gibt viele Menschen, die sich weiterhin aktiv mit dieser Thematik beschäftigen, aber auch viele, für die es aus dem Fokus gerückt ist.
Es ist wichtig, dass wir wieder ins Gespräch kommen und ein Kinofilm ist dafür eine sehr gute Grundlage, weil er einen ehrlichen Einblick in eine Welt gibt, die viele nur aus den Nachrichten kennen und weil er zeigt und einen spüren lässt: Das sind Menschen wie Du und ich. Natürlich gibt es auch schwierige Situationen und Herausforderungen, die müssen wir benennen, um sie lösen zu können.
4. In deinem neuen Film „Alles gut“ begleitest du zwei Flüchtlingsfamilien. Wo habt ihr euch kennen gelernt?
Beide Familien habe ich in der Flüchtlingsunterkunft in Hamburg Othmarschen kennen gelernt. Vor Beginn des Drehs hatte ich von einer Grundschule erfahren, in deren Nachbarschaft eine neue Flüchtlingsunterkunft entstehen sollte, hauptsächlich für Familien. Ich habe frühzeitig Kontakt zur Schule und der Unterkunft aufgenommen, denn mir war wichtig, von Anfang an dabei zu sein und nichts zu verpassen. Gerade in den ersten Tagen und Wochen spielen sich wichtige Momente ab, die man nicht planen kann.
Glücklicherweise haben Schule und Betreiber der Unterkunft sich schnell einverstanden erklärt, dieses Filmprojekt zu unterstützen. Der Film hatte kein festes Drehbuch oder genau durchgeplante Kameraeinstellungen. Ich wollte und musste mich einfach auf die Geschichten der Familien einlassen.
Bei der Familie von Ghofran habe ich zuerst Vater Adel kennen gelernt. Die Sozialarbeiter hatten mir von ihm erzählt. Ich bin dann einfach zu ihm gegangen und habe an seine Tür geklopft. Trotz der angespannten Atmosphäre und der Ungewissheit, ob seine Familie es nach Deutschland schaffen würde, war er sehr aufgeschlossen und oft fröhlich, ein sehr besonderer Charakter.
Bei der Familie von Djaner habe ich zuerst die Kinder auf dem Spielplatz der Unterkunft kennengelernt. Bei Djaner hatte ich gleich ein besonderes Bauchgefühl. Er war ein bisschen frech und hat mich berührt. Ich wusste gleich, dass ich mit ihm drehen wollte und bin mit den Jungs zu ihrer Mutter gegangen, um mich vorzustellen.
5. Hast du noch Kontakt zu den Familien?
Ich habe zu beiden Familien noch sehr engen Kontakt.
Beide Familien leben noch in Hamburg.
Die syrische Familie von Ghofran ist in ihre erste eigene Wohnung gezogen, ein großer Wunsch ist somit wahr geworden.
Djaners Familie lebt noch getrennt voneinander. Beide Söhne sind in Kinderheimen untergebracht, die Mutter muss immer wieder medizinisch behandelt werden. Alle sind aber noch in Deutschland. Vor kurzem hat Djaner seinen neunten Geburtstag gefeiert.
6. Wie bist du auf den Titel „Alles gut“ für deinen Film gekommen?
Während der Produktion habe ich schnell gemerkt, dass ich gerne einen Titel hätte, der von den Protagonisten kommt, denn sie haben den Dreh stark beeinflusst.
Mir ist bereits zu Beginn aufgefallen, dass immer alle „alles gut“ sagen. Eine Art Floskel, die zur Begrüßung und zur Verabschiedung benutzt wird. Zum Beispiel war „alles gut“ auch das Erste was Adel, der Vater von Ghofran, auf Deutsch sagen konnte. Auch Djaners Mutter sagte zu ihren Jungs immer wieder, dass „alles gut“ sei.
Die neu Angekommenen stehen unter einem enormen Druck. Sie wollen alles gut finden und strengen sich sehr stark dafür an, dass der Neuanfang schnell gelingt. Außerdem wollen sie, dass für ihre Kinder wider alles gut wird, ein normaler Alltag einkehrt.
Es steckt viel Symbolik in diesen Worten und gleichzeitig stellt es einen Kontrast dar, denn im Film ist nicht immer alles gut. Am Ende stellt der Zuschauer sich vielleicht die Frage: Was kann ich denn tun, damit alles gut wird?
7. Welche Erfahrungen hast du während des Drehs von „Alles gut“ gemacht?
Ich habe den allergrößten Respekt vor den Familien, die ich kennen gelernt habe. Sie haben großen Mut, diesen wahnsinnig anstrengenden Weg auf sich zu nehmen und ganz von vorne anzufangen. Während wir hier miteinander reden, sind viele Schwierigkeiten aus dem Film noch immer Alltag für die Familien und sie kämpfen weiter. Auch all die Helfer, die sich über ihre persönlichen Grenzen hinweg engagieren, haben riesigen Respekt verdient.
Ich habe während des Drehs noch mehr darüber gelernt, was es heißt, sich wirklich ganz auf jeden Einzelnen einzulassen, geduldig zuzuhören und dabei oft auch traurig zu sein, wütend oder hilflos.
8. Was möchtest du den Menschen mit deinem Film auf den Weg geben?
Ich wünsche mir sehr, dass der Film die Debatte um Integration und Zusammenleben wieder mehr in den Fokus rückt. Es ist wichtig, dass wir uns alle verantwortlich fühlen und das nicht den Lehrern, Behördenmitarbeitern, Politikern und den Geflüchteten selbst überlassen.
Der Film soll Menschen einen sehr persönlichen Zugang verschaffen, durch den sie sich leichter in Geflüchtete hineinversetzen können. Wenn wir Menschen als fremd etikettieren und ihnen unsere Empathie entziehen, kann das schlimme Folgen haben. Wir sollten weniger auf das achten, was uns trennt, als auf das, was wir gemeinsam haben.
Pia Lenz: Alles Gut | ab 23.03.2017 im Kino | www.alles-gut-film.de
Interview: Juliane Jacoby
Wenn ihr noch mehr über den Film erfahren wollt, schaut in unserem LESEN | HÖREN | SEHEN Artikel vorbei.