Geschichten vom Gecko

Die besten Dinge entstehen, wenn Menschen das erschaffen, was sie sich selbst für sich und ihre Kinder wünschen – Muriel Rathje macht es mit der von ihr gegründeten Kinderzeitschrift Gecko vor.

Gute Nacht! Das Licht im Zimmer von Muriel geht aus. Kurz darauf ist ein Rascheln und Knistern zu hören. Das kleine Mädchen kramt eine Taschenlampe hervor und liest unter seiner Bettdecke ganz still und heimlich Momo – das berühmte Kinderbuch von Michael Ende.

Gut 30 Jahre später liest Muriel Rathje immer noch sehr gerne Bücher. Allerdings nicht unter einer Bettdecke. Und ihr großer Held heißt auch nicht mehr Momo, sondern Gecko. Gecko? Dahinter versteckt sich keine Romanfigur in Form einer fabelhaften Tiergestalt oder eines außerirdischen Monsters.

Gecko ist eine Kinderzeitschrift, die Muriel Rathje vor gut sechs Jahren auf die Welt gebracht hat. „Mein drittes Kind“, sagt sie und lacht. Große Fotos von Pop-, Kino- oder Sportstars sucht man vergebens darin – ebenso wie Poster von wilden Tieren oder billiges Plastikspielzeug, das vorne auf der Titelseite klebt. „Mit diesen Werbeblättern für Kinder haben wir nichts zu tun“, erklärt Muriel, die im Gecko auf Anzeigen verzichtet. „Wir wollen den Kindern wirklich etwas bieten, ihnen Spaß am Lesen vermitteln und dabei viel Neugierde wecken.“

So bemühen sich immer wieder wechselnde Autoren und Illustratoren darum, Geschichten für den Nachwuchs im Alter zwischen drei und neun Jahren zu kreieren. Dazu gibt es ausgefallene Bastel- und Lesetipps, Anekdoten über verrückte Tiere, Wortsport und Wortspiele – alles in allem rund 50 Seiten voller Spannung und Abenteuer.

„Wichtig ist, dass die Identifikationsfiguren im Gecko starke Charaktere sind. Pfiffige, schlaue, ungehemmte Jungs und Mädels, die unbeeindruckt von Autoritäten sind“, sagt Muriel Rathje. „Die die Kinder ermuntern, Spaß zu haben und an die eigenen Fähigkeiten zu glauben – wie Pipi Langstrumpf.“ Und wie Muriel.

In München geboren, geht sie mit ihrer Mutter zehn Jahre später nach Toulouse. Ein Großteil ihrer Familie kommt aus Frankreich. Doch sie versteht nur wenig von dem, was ihre Oma oder ihr Opa sagen. Und so beginnt ein kleines Abenteuer für das Mädchen aus München – Comichelden wie Tim und Struppi, Asterix und Obelix stehen ihr dabei zur Seite. „Ich habe damals Stunden in Buchhandlungen verbracht und diese Comics gefressen und geliebt“, erzählt Muriel Rathje. „Die Bildergeschichten haben mir sehr geholfen, Französisch schnell zu lernen.“

Mit 19 geht sie zurück nach München, studiert Psycholinguistik, spielt Theater und arbeitet als Übersetzerin für Siemens. Als sie 30 Jahre alt ist, kommt ihr erster Sohn Leon zur Welt, vier Jahre später Valentin – und nach weiteren vier Jahren Gecko. „Ich wollte einfach eine Zeitschrift für Kinder machen, die einfühlsam, witzig und abenteuerlich ist.“ Wie „Les histoires pour les petits“ und „Les belles histoires“ – Kinderzeitschriften aus Frankreich. „So etwas gab es in Deutschland noch nicht“, sagt Muriel, die ihre gesamten Ersparnisse zusammenkratzt und im September 2007 Gecko gründet.

Eine Kinderzeitschrift, die alles andere als ein Kinderspiel ist. Oft erst nachts, wenn ihre Kinder im Bett liegen, schlafen und der Haushalt gemacht ist, findet Muriel Rathje Zeit, um für Gecko zu arbeiten. Dann sitzt sie am Küchentisch, plant, schreibt und bastelt herum. „Das fand mein Mann natürlich nicht immer toll, aber er hat mir da sehr viel Freiraum gelassen“, sagt Muriel, „das war sehr wichtig.“

Das Ganze ist jedoch keine Eine-Frau-Schau. Muriels Freundin Anke Elbel ist von Beginn an mit dabei, als Mitherausgeberin und Grafikdesignerin. Mittlerweile ist aus dem Duo sogar ein Trio geworden. Petra Wiedemann kümmert sich ebenfalls als Mitherausgeberin um die kaufmännische Leitung von Gecko. Denn die Kinderzeitschrift wächst. Immer mehr Buchhändler und Kinderläden nehmen Gecko in ihr Sortiment auf, die Zahl der Abonnenten steigt und das Gütesiegel der Stiftung Lesen „Empfohlen von“ ziert die Titelseite.

Im vergangenen Jahr erschien sogar ein Buch mit den schönsten Gecko-Geschichten. Nun ist Gecko über sechs Jahre alt, viereckig, leicht und bunt. Die Kinderzeitschrift passt in jede Tasche und Ranzen, ist robust und etwas frech. Das kommt bei den kleinen Fans besonders gut an.

Von den harten, schweren Anfangsjahren ist nichts mehr zu spüren – als die Redaktionskonferenzen oft am Frühstückstisch liefen, zwischen den Nutella-Brotresten von Leon und Valentin, benutzten Tellern und ausgetrunkenen Tassen. Jetzt arbeitet das Gecko-Team in aller Ruhe in einem kleinen Büro. „In den ersten vier Jahren dachten wir, dass wir auf der Stelle treten. Wir waren kurz vorm Aufgeben. Mit unserer Mischung aus Buch und Kinderzeitschrift konnten nur wenige etwas anfangen.“ Aufgeben kam für Muriel Rathje allerdings nie in Frage. Das hat sie wohl von Momo und Pipi Langstrumpf…

 

Text: Sebastian Schulke
Mehr Infos zur Gecko Kinderzeitschrift:
www.gecko-kinderzeitschrift.de

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