Seit einem Jahr gibt es das Familien-Tandem-Programm der Initiative Start with a Friend. Dabei wird immer eine geflüchtete Familie mit einer Local-Familie zusammengebracht. Bei gemeinsamen Treffen und Ausflügen entstehen im Idealfall Freundschaften, die das Ankommen in Deutschland erleichtern und einen Raum für kulturellen Austausch bieten.
Wiebke und Karin sind seit mehr als einem Jahr als ehrenamtliche Vermittlerinnen bei Start with a Friend dabei. Beide kamen 2016 als Tandemsuchende zu dem Verein und fanden jeweils Tandempartner, die inzwischen zu guten Freunden geworden sind. HIMBEER hat Wiebke und Karin zum Interview getroffen und mehr über die Idee erfahren, die hinter dem Verein steht, und darüber, wie Familien dabei sein können.
Auf eurer Seite bin ich auf den Begriff „Freundschaftliche Flüchtlingshilfe“ gestoßen. Was genau meint das?
Karin: Die Idee von Start with a Friend ist, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Das ist das, was sich unterscheidet von traditionellen Patenschaftsprogrammen. Wir versuchen, Freundschaften zu stiften und keine Bevormundung entstehen zu lassen.
Wiebke: Es ist immer eine 1:1 Beziehung, der der Wesensgehalt einer Freundschaft als Ideal zugrunde liegt. Das Prinzip der Augenhöhe ist das Wichtige dabei. Diesen Gedanken macht auch aus, dass man nicht nur als Local unterstützt, denn auch der Local gewinnt neue Erfahrungen. Es ist wirklich eine Horizonterweiterung: Man merkt, dass man den gleichen Humor hat, einen ähnlichen Blick auf die Welt, voneinander lernen kann. Oft fragen Leute: Konntest du deinem/deiner Tandempartnerin schon helfen? Doch über diesen Punkt ist man schnell hinweg, weil es einfach viel mehr ist, als das.
Es geht um das Pflegen einer „Ankommenskultur“, findet man ebenfalls auf der Seite. Was gehört dazu?
Wiebke: Es geht nicht darum, den Ankommenden freundlich zu begegnen und sie dann im schlechtesten Fall sich selbst zu überlassen, sondern darauf hinzuwirken, dass sie sich integrieren können, dass sie in dieser Gesellschaft ankommen. Und da ist das Modell der freundschaftlichen Flüchtlingshilfe sehr gut, da es hilft, Netzwerke zu öffnen und zu unterstützen, dass Geflüchtete sich ein neues Leben aufbauen können und sich verwurzeln können.
Ihr vermittelt nicht nur, sondern begleitet die Tandempartnerschaften auch langfristig. Habt ihr schon Feedback bekommen, dass wirklich Freundschaften entstanden sind, die auch ohne euch weitergehen?
Karin: Natürlich haben wir keine Zahlen, wie viele Freundschaften nach der Tandemlaufzeit weiterbestehen. Aber auf den regelmäßigen Stammtischen stelle ich immer wieder fest, wie oft sich die Partner treffen und wie viel sie gemeinsam unternehmen. Und hinter der einen Kontaktperson steht ja meist ein großes Netzwerk an Leuten; dadurch multiplizieren sich die Kontakte immer weiter.
Wie muss man sich eure Arbeit als Vermittlerinnen vorstellen?
Wiebke: Unsere Aufgabe ist es, auf der Grundlage von persönlichen Gesprächen die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse abzufragen und dann Personen zusammenzubringen, bei denen wir denken, dass eine längerfristige Beziehung oder auch Freundschaft entstehen könnte. Dabei ist es auch gut, die Abstimmung im Vermittler*innen-Team zu haben. Es trifft ja nicht jeder jeden persönlich und so können wir uns austauschen.
Wenn Gruppenaktivitäten geplant sind, laden wir als Vermittler die Familientandems dazu ein. Außerdem bleiben wir ihre Ansprechpartner für Fragen, die aufkommen. Diese können wir auch ins Team geben und das gesammelte Wissen und die vorhandene Erfahrung ausschöpfen.
Wenn darüber hinaus noch Beratungsbedarf besteht – es gibt einen sehr guten Leitfaden, der regional aufgearbeitet ist zu Themen wie der Begleitung von Geflüchteten, Institutionen, der Asylrechtslage etc.
Karin: Was ich an Start with a Friend unter anderem so schätze, ist, dass es eine unglaublich nette Community ist. Ich freue mich jedes Mal, die Familientandems zu treffen. Die Gemeinschaft ist toll, da sich alles gemischt hat. Auf Vermittlungsseite zum Beispiel arbeiten sowohl Locals als auch Geflüchtete ehrenamtlich.
Wie hat sich der Bedarf der Geflüchteten im Laufe der letzten zwei Jahre verändert, was die Tandempartnerschaften betrifft?
Wiebke: Die Bedarfe haben sich stark verschoben. Die Ankommenden des ersten Jahres haben primär Integrationskurse gesucht und hatten in erster Linie das Ziel, ihr Deutsch zu verbessern. Diejenigen, die sich jetzt bei uns anmelden, sind in der Regel schon mindestens zwei Jahre in Deutschland und viele haben schon Deutschkurse absolviert. Nach meiner Erfahrung hat sich der Fokus jetzt deutlich in Richtung Arbeitssuche und auch Wohnungssuche verschoben. Da können die Locals gegebenenfalls mit ihren Netzwerken unterstützen, das soll allerdings nicht der Hauptinhalt der Tandempartnerschaft sein. Gemeinschaftliche Unternehmungen und kultureller Austausch stehen im Vordergrund. Wenn die Localfamilie die Kapazitäten hat und bereit ist, darüber hinaus auch bei komplexeren Fragestellungen zu unterstützen, dann sehr gerne.
Wie hat sich das Interesse an eurem Angebot von beiden Seiten entwickelt?
Wiebke: Die Zahl der interessierten Locals hat abgenommen, bei den Geflüchteten ist die Nachfrage konstant hoch. Locals werden dringend gesucht! Im Familienprogramm warten zurzeit 30 bis 40 geflüchtete Familien auf ein Tandem, einige schon seit mehreren Monaten.
Karin: Was glaube ich auch ein Zeichen ist für die gesellschaftliche Situation der Geflüchteten hier ist. Die Familien haben tendenziell jetzt alles Dringende geregelt und wollen gerne mehr Kontakt.
Wiebke: Viele geflüchtete Familien merken mit der Zeit, dass es schwer ist, Kontakte zu knüpfen. Dass sie schon lange hier wohnen, aber noch kaum Kontakt zu einheimischen Familien haben und sich aber genau das wünschen. Dafür ist eine 1:1 Beziehung zwischen Familien gut, weil die Tandems eine gewisse Verbindlichkeit haben.
Wie kann man Tandem-Familie werden?
Wiebke: Es gibt Infoabende für die Locals, da können alle hingehen, die sich ein Familientandem wünschen. Dort wird nach ihren Wünschen, Interessen und Kapazitäten gefragt. Die Geflüchteten melden sich in der Regel entweder über die Webseite an oder wir werden von anderen Initiativen kontaktiert, die selbst keine Patenschaftsprogramme haben. Die Familien treffen wir dann persönlich, informieren über das Programm, registrieren sie und dann machen wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Tandemfamilie.
Jeder ist willkommen. Die Tandem-Partnerschaften sind sehr individuell und darauf ausgelegt, dass es jedem möglich sein soll, sich zu engagieren, das heißt, dass es mit Beruf und Familie und Freizeit in Einklang zu bringen ist. Jedes Tandem kann diese Partnerschaft für sich gestalten.
Was muss eine Local-Tandem-Familie bieten?
Karin: Neben Offenheit und dem Interesse, andere Leute kennenzulernen, ist der größte Faktor bei den Familien die Zeit. Circa zwei Stunden die Woche sollten die Tandems Zeit haben. Das klingt für Familien erst mal sehr viel. Wir informieren die Geflüchteten, was sie erwarten können und dass die Tandems oft Vollzeit arbeiten. Es geht ja oftmals nicht darum, sich zusätzlich Dinge auszudenken, sondern in den meisten Fällen unternimmt man als Familie ohnehin etwas gemeinsam, sei es auf den Spielplatz oder in den Zoo zu gehen – und dorthin kann man das Tandem ja mitnehmen.
Wiebke: Es muss auch nicht immer ein Treffen sein, man kann diese Zeit auch verwenden, um die Familie zum Beispiel mit einer Recherche zu bestimmten Bedarfen zu unterstützen oder etwas zu übersetzen.
Viele Geflüchtete wohnen außerhalb, weil die Wohnungen in den Innenstadtbezirken immer teurer werden. Erschwert das die Vermittlung von nah aneinander wohnenden Familien?
Wiebke: Bei den Familien mit kleineren Kindern spielt die Wohnortnähe natürlich eine große Rolle. Es gibt die Tendenz, dass die lokalen Familien, die sich registrieren, im Zentrum wohnen. Die geflüchteten Familien leben über das ganze Stadtgebiet verteilt. Dadurch ist die Vermittlung in den Randbezirken schwieriger. Wir versuchen es so einzurichten, dass der Weg nicht länger ist als eine halbe Stunde zueinander ist. Aber das führt natürlich auch dazu, dass einige Familien schon sehr lange auf eine Vermittlung warten. Wir freuen uns immer, wenn sich Local-Familien zum Beispiel aus Buckow oder Marzahn anmelden, das sind dann richtige Glücksfälle für die Vermittlung.
Karin: Das Wohngefüge wird sich auch langfristig nicht viel verschieben, weil die Geflüchteten endlich eigene Wohnungen gefunden haben und die liegen in den Außenbezirken, weil es dort einfacher ist. Es gibt natürlich auch Geflüchtete im Zentrum, aber die Tendenz ist schon deutlich.
Wiebke: Die Geflüchteten sehen sich in der Innenstadt oft damit konfrontiert, dass sie mit Hunderten anderen bei einer Wohnungsbesichtigung sind und immer das Nachsehen haben.
Wie hilfsbereit ist denn eigentlich Berlin?
Karin: Es gibt viele Menschen, vor allem in der Helfer-Blase, in der ich mich bewege, die bereit sind, ihre Freizeit für jede Art von Hilfe zu nutzen. Aber es gibt immer auch das Phänomen „Großstadtstress“: Alle haben wenig Zeit, arbeiten viel, haben viele Freizeitaktivitäten, sind viel unterwegs und viel mit sich beschäftigt. Das politische Berlin hat auch beide Seiten…
Wiebke: Berlin hat sicher die Besonderheit, dass es hier ein sehr breites Interessenspektrum gibt und es einfach sehr viel Angebot gibt, viele Strukturen der Unterstützung, die ja zusammen genommen Telefonbuch-dick sind. Aber das erschwert möglicherweise auch die Orientierung. Wenn ich einen guten Kinderarzt suche, dann verlasse ich mich auf eine persönliche Empfehlung und dafür ist der Kontakt in die Gesellschaft wichtig. Und wer sollte diese Orientierung besser geben können, als die Locals?
Vielen Dank für das Interview!