Wir haben unsere Autorin Sabine Neddermeyer losgeschickt: auf die Suche nach Kindern, die etwas ändern wollen. Genialerweise engagieren sich viele Kinder für die Umwelt. Zwei Portraits und drei Interviews zu einem der brisantesten Themen unserer Zeit.
Greta Thunberg hat es vorgemacht. Unsere Kinder tun es ihr jetzt gleich: Nicht darauf zu warten, bis sie selber groß sind. Nicht darauf zu warten, dass die Erwachsenen und Politiker irgendwann aus ihrer Komfortzone herauskommen und dringende Maßnahmen gegen den Klimawandel und für mehr Nachhaltigkeitsbewusstsein ergreifen.
Denn vielleicht dauert genau das einfach viel zu lange. Viele junge Menschen spüren offensichtlich genau die Dringlichkeit dieser Sache: So viel Zeit, wie der Mainstream der Gesellschaft meint, hat unsere Erde leider überhaupt nicht mehr.
Das Problembewusstsein für Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes nimmt in den letzten Jahren zu, insbesondere bei Jugendlichen: Nachweislich finden bei einer Umfrage aus dem Jahr 2020 74 Prozent der 14- bis 22-Jährigen Umwelt- und Klimaschutz sehr wichtig*.
Zum Vergleich: Noch im Jahr 2009 ergaben Umfragen zum gesellschaftlichen Engagement bei Jugendlichen für das Wohl der Menschen oder der Umwelt hingegen nur einen Anteil von 46 Prozent**. Weil wir alle leider nur zu genau wissen, dass wir im Engagement für unser aller Zukunft etwas besser werden könnten – oder MÜSSTEN, besser gesagt! – ist es Zeit, uns die Sorgen, Ängste und Wünsche genauer anzuhören. Auch, weil wir es extrem spannend finden, ob und wie sich die Überzeugungen der Kinder auf das Alltagsleben der ganzen Familien auswirken.
Jetzt handeln
Edna, Dorit und Andreas
Dieses gerade eben erst neun Jahre alt gewordene Mädchen ist extrem eloquent und beeindruckend belesen. Eine Woche vor unserem Gespräch wurde Edna als Vertreterin des Kinder- und Jugendparlaments in die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg in den Ausschuss für Straßen, Verkehr, Grün und Umwelt eingeladen, um einen von ihr ins Kinder- und Jugendparlament eingebrachten Antrag vorzustellen. Die Drittklässlerin engagiert sich auch bei der Initiative „Pro-Baum Innsbrucker Dreieck“ – „Ein grüner Fritz-Reuter-Kiez mit Bäumen und Bänken“. Wo kommt das her, will ich wissen?
Edna zeigt es mir: Sie lässt mich während unseres Treffen in ihr tier- und pflanzenliebendes Herz schauen. Mir fällt im Laufe der gemeinsam verbrachten Stunden auf, dass Edna mich immer wieder verblüfft. Dennoch geht nichts Altkluges von ihr aus. Sie folgt absolut mühelos alledem, womit sich die Erwachsenen auseinandersetzen.
Ein Phänomen der Corona-Zeit? Viele Kinder verbrachten durch das Home-Schooling erheblich mehr Zeit mit ihren Eltern als zu Nicht-Pandemie-Zeiten. Auch Ednas Sprachschatz veränderte sich durch diesen starken Kontakt zu ihrem im Home-Office befindlichen Vater merklich.
Auf mein Nachfragen, ob sie viel lesen würde, antwortet Edna, dass sie früh damit begonnen habe, sich Naturführer durchzulesen: erst den Kindernaturführer, dann den Kosmos Naturführer, anschließend den Naturführer Insekten sowie den Naturführer Blumen. Und gerade wäre sie beim Naturführer Pilze. Allerdings läse sie nebenbei aber auch immer noch Geschichten.
„Mir ist irgendwann klar geworden, dass Bäume so wichtig sind.“
In Ednas Zimmer hängt eine Urkunde. Sie ist Botschafterin für Klimagerechtigkeit, ein Zertifikat der Plant-for-the-Planet-Akademie. So eins besitzen wahrscheinlich viele Kinder in Deutschland. Ungleich viele gründen jedoch bereits in der ersten Klasse mit einer Freundin und einem Freund eine „Umweltretter-AG“ an ihrer Schule.
Und mit Sicherheit werden nicht an jeder Schule die Interessen der Kinder so gefördert, wie es an Ednas Grundschule der Fall ist. Hier nimmt sich die Hortleiterin die Zeit, um sich mit den drei Kindern der AG immer wieder auseinanderzusetzen.
Edna und ihre Mutter stießen in der Zeitung auf einen Artikel über das Baumpflanz-Programm des Berliner Senats (wenn man selbst 500 Euro zusammenbekommt, stockt der Senat das Geld soweit auf, dass ein Baum gepflanzt und drei Jahre lang professionell gepflegt werden kann.) Edna wird energisch: „Und dann haben wir uns das Ziel gesetzt: Das wollen wir schaffen!“
Die Hortleiterin war es auch, die vorschlug, dass die drei Kinder den Direktor des Hort-Trägers in einem Brief um Unterstützung bitten könnten, um Geld für Baumpflanzungen auf dem Schulhof zu generieren. Und siehe da: Schon gab es einen Termin, um gemeinsam mit ihm darüber Lösungen zu finden..
Es bewegt sich. Und zwar sehr.
Im Gespräch mit der Familie stellt sich heraus, dass alles, was Edna macht, ihre ureigenen Wünsche sind: „Erstmal dachten wir, wir wollen das machen und das. Das haben wir dann aber nie gemacht … Das machen wir, wenn wir groß sind …!‘ Aber dann ist uns bewusst geworden, wir müssen JETZT anfangen!“ Man braucht nur ein bisschen Unterstützung an den richtigen Stellen und dann bewegt es sich. Und zwar sehr.
Als Klassensprecherin ergriff sie die Gelegenheit, sich für das Kinder- und Jugendparlament aufstellen zu lassen. In ihrem Antrag „Begrünt Berlin!“ geht es um die Pflege der Grünflächen und Baumbestände und die Bereitstellung von Hand-Wasserpumpen für die Bewässerung der Bäume und Pflanzen.
Edna braucht man nicht bei ihren Ideen, sondern nur bei Formulierungen zu helfen. Im Kinder- und Jugendparlament tat dies eine eigens dafür beauftragte Dame; nicht Mama Dorit. Es ist alles da: Eltern, die unterstützend zur Seite stehen und Menschen an den verschiedenen Stellen auf Ednas ganz eigenem Weg.
Sie geht ihn Schritt für Schritt.
Eines ihrer größten Ziele lautet, ihre Schule umweltfreundlicher zu gestalten. Und sich für ein autofreies Berlin zu engagieren. Ednas Familie hat kein Auto. Auch Andreas sieht‘s wie seine Tochter: Bewusst hat er sich selbst damals gegen den Führerschein entschieden. Doch dank Ednas Überredungskünsten entsagt die Familie jetzt zudem mehr und mehr dem Flugzeug. Wie ging‘s letztendlich nach Paris? Mit dem Zug!
Klimaschutz-Engagement ist ansteckend
Tula, Carla, Frida, Leni, Paul, Stefanie und Thomas
Carla ist 16. Fridays for Future waren bei ihr der Auslöser. Seit Corona ist das Klima-Projekt der Ersatz: Ihre Schule versucht klimaneutral zu werden. Doch nicht nur dort engagiert sie sich nach Kräften. Sie holt vor allem auch andere aus ihrer Komfortzone heraus: ihre ganze Familie.
Und das sind viele – Carla ist das älteste von vier Kindern. Die Größte, die den Alltag ihrer Familie seit zwei Jahren gehörig durcheinandergewirbelt hat. Sie und ihre Klassenkameradin Tula (15) schildern, dass sie durch die Bilder und Berichte in den Nachrichten schon genau gewusst hätte, was an Missständen weltweit herrsche.
„So kann‘s nicht weitergehen“
Deshalb sei es so toll gewesen, dass sich Generation Z zu den Fridays For Future zusammengeschlossen hätte. Denn sie hätten damals das Gefühl gehabt, sie müssten nichts neu gründen, sondern sich einfach nur anschließen. Während der Demos sammelten sie Spenden. Auch Carla bestätig, dass sie gemerkt hätten, dass sie jetzt was ändern müssen. Dass sie genau gefühlt hätten: So kann es nicht weitergehen.
Als ich ihren nächsten Satz höre, muss ich schlucken, denn es ist so verdammt wahr: „Ich finde, es ist wichtig zu wissen, dass jeder bei sich anfangen muss und erst dann ändert sich was. Also Schritt für Schritt. Und da fand ich halt wichtig, anzufangen, Vegetarierin zu werden, weil das auch viel CO2 einspart.“
Ob das ohne Probleme ging? Ihre Eltern hätten damals gedacht, ihr Vegetarismus sei eine Phase. War es aber nicht. Durch ihre Konsequenz färbte ihre Ernährung auch auf ihre kleinen Schwestern ab.
Die Elf- und Siebenjährigen wollen jetzt auch Vegetarierinnen werden – oder zumindest Flexitarierinnen, wie in Fridas Fall. Carla und Tula agieren auch aus Sorge ums Tierwohl: „Der Gedanke, dass hinter diesen fünf Minuten Genuss, die man hat und Fleisch isst, so wahnsinnige Qualen stecken, ist so krass. Das ist es nicht wert.“, wirft Carla ein.
„Damit will ich nichts mehr zu tun haben“
Aber Carla sagt auch „Fliegen geht gar nicht mehr!“ und fordert, dass die Familie mit dem Zug in den Urlaub fährt. Und wenn wir fliegen, dann müssen wir für die Klimaschutzprojekte von atmosfair spenden, warf sie ihrem Vater vor. Der wiederum entgegnete, warum sie denn nicht selber anfänge zu spenden?
Guter Punkt. Seitdem gibt es eine Abmachung. Wenn sie als Kompromiss doch fliegen, spendet Carla von ihrem Taschengeld und Papa spendet auch – natürlich ein Vielfaches ihres Betrages pro Flug. Genauso halten sie es auch mit ihren Spenden an Greenpeace, Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen. Carla gibt jeden Monat ihren Betrag, Thomas das Zehnfache.
Tula hingegen handelt diesen Sommer noch eine Spur entschlossener: Sie widersetzt sich dem In-den-Urlaub-Fliegen erfolgreich und verbringt nun knapp drei Wochen Sommerurlaub nicht wie der Rest ihrer Familie in Italien, sondern fährt mit dem Zug zu ihrer Tante nach Köln …
Thomas ist jemand, mit dem Carla das Gespräch sucht, weil sie weiß, dass er viel Wissen hat. „Manchmal sagt er: Hast du heute schon die Nachrichten geguckt?“ Stundenlang würden sie dann Meinungen austauschen. Sehr berührend wäre die Situation gewesen, als er ihr eröffnete, dass sie mit ihrer Art ein Vorbild für ihn sei.
Spontane Ganzkörpergänsehaut meinerseits. Nur Paul (13) interessiert sich noch nicht wirklich dafür, seine Ernährung zu ändern oder sich für die Umwelt zu engagieren. Jedoch: Auf mein wiederholtes Nachfragen hin, ob er das vielleicht ziemlich doof fände, was seine Schwester da tut, reagiert er mit erstaunter Verneinung. Ziemlich beste Geschwister eben.
Unser Fazit: Yes!
Wir können es hier mit großer Freude einmal für uns alle schwarz auf weiß festhalten: Die Zeiten, in denen die Bemühungen und Aktivitäten der Kinder und Jugendlichen in Belächelt-werden endeten, sind definitiv vorbei.
Auch Svenja Schulze, amtierende Bundesumweltministerin, hielt in einem offiziellen Statement fest, dass junge Menschen wesentlich politischer seien, als viele lange geglaubt haben: „Dieses Bewusstsein der Jugend wird der Umweltpolitik in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten viel Rückenwind geben.“ Ist das nicht fabelhaft: All das, was ihr jetzt tut, wird gesehen, geschätzt und nicht nur von vielen Erwachsenen, sondern auch von der Politik bereits als großes Vorbild gesehen. YES! Und weiter so – wir machen auch mit, versprochen!
*Quelle: BMU / Umweltbundesamt, 2020
**Quelle: Statista Research Department, August 2009
Für mehr Klimaschutz und ein nachhaltigeres Familienleben
FAMILIENLEBEN // Nachhaltigkeit