Helma Hesse ist Ärztin für Reisemedizin. In ihre Praxis in Berlin-Kreuzberg kann jeder kommen, den das Fernweh packt und sich im Vorfeld zum umstrittenen Thema Impfen beraten lassen möchte. HIMBEER hat mit ihr über mögliche Gefahren gesprochen und wie man diese so klein wie möglich hält.
Ungefähr die Hälfte der Patienten und Patientinnen von Helma Hesse kommen zu ihr, um sich vor einer anstehenden Reise beraten zu lassen. Seit 2004 gibt es ihre Praxis mit dem Angebot der Reise- und Tropenmedizin in Berlin. Zuvor war Frau Hesse fünf Jahre im Ausland und hat sich in der Entwicklungshilfe engagiert, nachdem sie schon von 1987-1999 mit ihrer Praxis für Lungen- und Bronchialheilkunde-Allergologie in Berlin praktizierte.
Wohin reisen Familien, die in ihre Praxis kommen?
Die meisten verreisen mit kleinen Kindern in Länder mit höheren Hygienestandards. Thailand ist beispielsweise ein weiter entferntes, bevorzugtes Reiseziel – Südostasien generell. Nach Afrika reisen die Familien so gut wie gar nicht, eher nach Mittelamerika- und Südamerika.
Welche sind die häufigsten Kinder-Reisekrankheiten?
Bei Kindern sind die häufigsten Reiseerkrankungen immer die Durchfallerkrankungen. Diese entstehen zum Beispiel, wenn das Essen nicht durchgekocht ist oder durch Hände verschmutzt.
In welche Länder außerhalb Westeuropas können Eltern mit Kindern in Bezug auf Krankheiten bedenkenlos reisen – mit möglichst wenigen Impfungen?
Das sind vor allem die entwickelten Länder hauptsächlich in Asien. Zum Beispiel Thailand, Kambodscha und Vietnam sind ziemlich unbedenklich was die Reise betrifft. Das sind sehr hygienische Länder.
Gibt es trotzdem Impfungen, die unabdingbar für Kinder sind? Ab welchem Alter können Kinder diese Impfungen bekommen?
Unabdingbar ist gar nichts. Die Risikoeinschätzung für Erkrankungen ist eine sehr individuelle. Es gibt Leute, die fahren nach Indien und lassen sich gegen gar nichts impfen, weil sie denken, sie kriegen keine Hepatitis A oder treffen auf keinen tollwütigen Hund. Dann gibt es aber Leute, die machen einen Tagesausflug in Rio de Janeiro und lassen sich gegen alles impfen. Also diese Risikoeinschätzung müssen die Personen selber vornehmen und bei Kindern übernehmen das natürlich die Eltern. Da gibt es heutzutage ganz verschiedene Ansatzpunkte, wie man das beurteilt, da haben die Eltern die Verantwortung.
Kinder, die noch gestillt werden, brauchen keine Impfungen vornehmen, denn das Kind ist ja mehr oder weniger nah an den Eltern und isst auch nichts Lokales. Probleme gibt es erst, wenn die Kinder zwischen drei und vier Jahren sind und schnell weit laufen können. In diesem Alter ist es relativ gefährlich und da rate ich zu Impfungen und Vorsichtsmaßnahmen.
Unter welchen Umständen sollte man sein Kind nicht impfen lassen?
Wenn die Kinder erkrankt sind und zum Beispiel Fieber haben, dann können wir nicht impfen. Wenn sie Erkrankungen haben, bei denen die Immunabwehr herabgesetzt ist, dann können wir sie zwar impfen aber es ist oft so, dass nicht ausreichend Antikörper gebildet werden. Aus dem Grund wird dann den Eltern geraten, möglichst nicht in Länder zu reisen, wo Impfungen eigentlich zu empfehlen wären.
Welche Länder sollte man aus medizinischer Sicht mit Kindern vermeiden?
Es kommt darauf an. Man kann nach Indien fahren und in einem separierten Hotel-Resort Ferien machen, dann geht es Ihnen ungefähr so wie in Berlin im Wedding (lacht). Oder Sie können beispielsweise in den Balkan reisen und sich in schmutzigen, ländlichen Verhältnissen befinden. Natürlich trifft Sie im Balkan keine Malaria oder eine andere typische Tropenerkrankung, aber Sie können sich Durchfallerkrankungen aufgrund der schlechten hygienischen Zustände einfangen. Wichtig ist: Wenn man in Länder mit niedrigen Hygienestandards fährt, aber in ein sehr gutes Hotel, dann sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass die Küchen oft nicht so sauber sind, wie das Hotel zu sein scheint. Aufpassen muss man zum Beispiel, wenn man etwas mit Eiswürfeln zu sich nimmt oder einen Salat isst. Da ist man nicht 100 Prozent gefeit.
Das heißt, man kann eigentlich in jedes Land der Welt reisen. Es kommt nur auf die Umstände an?
Das können Sie. Es könnte nur passieren, dass Sie dann im Resort eingesperrt sind (lacht).
Was ist Ihre Einstellung zum Verreisen mit Säuglingen?
Ich denke in jedem Land gibt es Säuglinge, also kann man auch überall hin verreisen. Was den Flug betrifft: Dabei leiden die Kinder oft unter schmerzenden Ohren, gerade bei Start und Landung. Viele Eltern betreiben dort keine Vorsorge mit abschwellenden Nasen- und Ohrentropfen. Kinder sind in der Beziehung einfach sehr empfindlich, da eine leichte Anschwellung schon dazu führt, dass die Kanäle zugehen. Nasen- und Ohrentropfen würden sehr viel davon vermeiden. Am besten erkundigen sich Eltern vor der Reise, was in dem Land von Bedeutung ist und worauf sie achten sollten.
Übernimmt die Krankenkasse die Reise-Impfkosten?
Erst seit ungefähr sieben Jahren übernehmen die Krankenkassen Reiseimpfungen. Mir ist es immer recht, wenn die Krankenkasse das übernimmt, denn dann ist die Reiseberatung eine Reiseberatung und keine Finanzberatung. Sonst wägt man immer ab wie teuer etwas ist und so kann man stattdessen abwägen, wie hoch das Risiko ist, in das man sich hineinbegibt. Die Leute können für sich und nicht auf finanzieller Grundlage entscheiden, ob sie geimpft werden wollen oder nicht. Jede Krankenkasse handhabt das aber verschieden.
Welche anderen Checks gehören bei Kindern zur Reise-Prophylaxe?
Die meisten wachsen ja zum Glück gesund heran, deswegen gibt es neben dem Impfen nicht viel zu beraten. Man sollte nur bei Flügen, wie schon gesagt, mit den abschwellenden Nasen- und Ohrentropfen vorsorgen.
Sind Sie für maximalen Impfschutz oder eher für die nötigsten Impfungen?
Das muss man mit sich ausmachen. Das ist wirklich etwas, was jeder individuell entscheiden muss. Ich für meinen Teil bin immer froh, dass ich möglichst NICHT aufpassen muss auf wilde Hunde oder darauf, ob das Essen super sauber ist. Deshalb schaue ich selber, dass ich einen guten Schutz habe. Das ist meine Entscheidung und keine Glaubensangelegenheit.
Es würde kein Impfstoff zugelassen werden, wenn die Nebenwirkungen der Impfung die Ausmaße der Krankheit übersteigen würden. Die Eltern übernehmen die Verantwortung für die Impfung oder für die Nicht-Impfung. Ich kann in der Beratung zwar meine Meinung äußern, aber den Leuten die Entscheidung nicht abnehmen.