Jeden Nachmittag dieselbe Spielplatzleier ... fühlt ihr euch auch manchmal wie Täglich-grüßt-das-Murmeltier? Wenn man einer Sache so gar nichts mehr abgewinnen kann, hilft es, sie mit den Augen eines anderen zu sehen. Eines Kulturfremden, im besten Fall. Denn der kann einem dann den Blick richten auf die Dinge, die man gar nicht zu schätzen wusste, verwöhnt, wie man nun mal ist.
Simone Pierini wurde in Rom geboren und kam als Kameramann beruflich und auch privat ein kleines bisschen herum in der Welt. Wenn er also sagt, die Spielplätze in Berlin seien etwas ganz Besonderes, dann weiß er, wovon er spricht. „An den Spielplätzen kann man erkennen, dass man in Berlin Kinder nicht als Problem begreift, das gelöst werden muss, sondern als wichtige Ressource!“.
Simone war so fasziniert von unseren Spielplätzen, dass er anfing, Fotos zu machen – und irgendwann entstand sein Spielplatz-Guide „Impossible Playgrounds“. Ein Guide, der uns nicht nur an sämtliche bespielenswerte Plätze in Berlin führt, sondern der noch dazu, wie man sich vorstellen kann, mit so unglaublich ästhetischen Fotos bestückt wurde, dass man selbst als Inzwischen-schon-aller-Spielplätze-überdrüssiger Mensch sofort losgehen und ALLE Spielplätze dieser Stadt selbst entdecken will. Hier gibt uns Simone ein kleines Interview und verrät seine liebsten Plätze.
Simone, wie kamst du überhaupt zu Berliner Spielplätzen?
Meine Freundin Emanuela war Humboldt Stipendiatin und lud mich ein, mit nach Berlin zu kommen. Wir entdeckten die Stadt auf dem Fahrrad und fingen an, praktisch alles an und in ihr zu lieben: die Menschen, die Architektur, die Parks, die Energie derjenigen, die hier ihre Träume verfolgen und verwirklichen, die Flohmärkte, die unendliche Schatzsuche bei den vielen „zu Verschenken“s – und natürlich die Kinder. Kinder waren hier nicht irgendwo versteckt und untergebracht, sie lebten in der Stadt und wir dachten, es wäre schön, hier ein Kind zu haben….
Ihr seid dann ja auch geblieben und wenig später kamen dann eure Kinder Cosimo und Mattia hier zur Welt.
Wir entschieden uns zu bleiben, weil wir uns bei jedem Landeanflug schon „zu Hause“ fühlten. Die Stadt fühlte sich an wie ein sehr bequemer Anzug: wenn du ihn einmal trägst, willst du ihn nicht mehr so schnell wieder ausziehen. In manchen Städten kannst du einfach Teil eines Melting Pots sein. In Berlin fühlte es sich an, als könnte ich meine Energie und meine kulturellen Besonderheiten einfach hinzufügen zu den Energien all der anderen Menschen, die aus allen Teilen der Welt kommen. Das ist es, was Berlin für mich so besonders macht.
Das einzige, was ich an Berlin nicht mochte, war das Gesundheitssystem. Wir waren einmal in der Notaufnahme mit Cosimo und sie fragten nach nichts als der Versichertenkarte, wir haben überhaupt nicht verstanden. Einen Tag später waren wir in Rom in einer anderen Notaufnahme und man interessierte sich dort aber sowas von gar nicht für irgendwelche Papiere, sondern wollte nur wissen, was mit dem Kind los war. Es fühlte sich an, als hätte ich endlich etwas gefunden, was ich an meiner Heimatstadt mehr schätze als an Berlin, was lange Zeit so nicht passiert war…
Du sagst, in Berlin würden Kinder inspirieren und kreative Energien befördern. Dabei sagt man uns Deutschen doch nach, so kinder-un-freundlich wie kaum eine andere Nation zu sein. Ich meine: du bist ITALIENER. Alle in Italien LIEBEN Kinder.
Ich denke bei „Berlin“ nicht an eine typische deutsche Stadt. Deswegen kann ich auch nicht sagen, ob die Deutschen kinderfreundlich wären oder nicht, Berliner sind schließlich nicht nur Deutsche… Auch ich fühlte mich damals als Berliner…
Es mag den Anschein haben, Italiener würden Kinder lieben, aber das ist nicht ganz richtig, die meisten hier sind genervt von Kindern. Hauptsächlich sind wir nur damit befasst, sie zu viel zu beschützen – und dadurch bekommen sie nicht die Gelegenheit, „ihre Flügel auszubreiten und loszufliegen“. Und unsere Städte sind größtenteils überhaupt nicht kinderfreundlich.
In Italien gibt wirklich nur ganz wenig Raum für Kinder, praktisch nie in Bars, Geschäften, Restaurants oder in den Wartezimmern, es sieht eher so aus, als könnten sie sich nur zu Hause, in der Schule oder im Park aufhalten. In Berlin, als Gegenbeispiel, erinnere ich mich noch immer daran, wie der Gynäkologe, bei dem wir einen Ultraschalltermin hatten, Cosimo die Spielecke gezeigt hat, damit er sich dort während der Untersuchung amüsieren konnte.
Das Gefühl, das man in Italien bekommt, ist, das Kinder nicht Teil des normalen Lebens sind, sondern eher ein Problem, das es zu lösen gilt. Vergiss Kindercafés, Wasser-Spielplatz, Kinderflohmarkt und Abenteuerspielplatz, das alles sind Erscheinungen, die du praktisch unmöglich in Italien findest. Es fühlt sich an, als würde man die Rechte der Kinder noch nicht einmal in Betracht ziehen.
In Berlin, sagst du, würden die Rechte der Kinder respektiert. Und das könne man an unseren Spielplätzen erkennen. Wie das?
Spielplätze in Berlin sind so anders als die Park-die-Kinder-einfach-irgendwo-Hauptsache-weg-Spielplätze in Italien! Sie sind oft ästhetisch wirklich schön und man „spürt“ – im doppelten Wortsinn – dass sie tatsächlich gebaut wurden, „um Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu entwickeln, und um soziales Verhalten zu fördern“, wie es im Spielplatzgesetz heißt.
Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, an solch wunderschönen und anregenden Orten spielen zu können.
Das ist auch der Grund, warum du dich in Bologna, wo du inzwischen lebst, für die Errichtung qualitativ besserer Spielplätze einsetzt.
Die öffentliche Verwaltung ist nicht unbedingt weise und die meisten haben Angst vor so ziemlich allem. Sie wollen hässliche, sterile Spielplätze – aber ich werde nicht so schnell aufgeben. Momentan versuchen wir über Crowdfunding einen von der Partisanengeschichte des Zweiten Weltkriegs inspirierten Spielplatz auf die Beine zu stellen. Glück durch Spielen zu verbreiten ist ein politischer Sieg für all diejenigen, die wie ich auf eine bessere Welt hoffen.
Und wie kam es zu deinem „Impossible Playgrounds“ Guide?
Wir lebten schon ein paar Jahre in Berlin und verbrachten mit und wegen Cosimo und Mattia natürlicherweise ziemlich viel Zeit auf den hiesigen Spielplätzen. Ich hatte schon angefangen, Fotos zu machen und ich dachte, es wäre toll, einen Guide zu schreiben für all die Nicht-Berliner, die nicht die Möglichkeit oder den Zugang zu solch schönen Spielplätzen haben. Meine Freundin Emanuela ermutigte mich, dieses Projekt zu realisieren. Eines Tages sind wir in der Schliemannstraße an „Raum Italic“ vorbei, ein wunderbarer Laden mit schönen Büchern und Objekte und in dem man spürt, wie viel Liebe dahinter steckt, und Emanuela sagte: „Warum gehst du nicht einfach rein und erzählst ihnen von deinem Projekt?“.
Das habeich getan und Barbara und Marco, die Raum Italic Verleger, waren sofort dabei. Ohne Emanuelas Zuspruch und Unterstützung hätte ich vermutlich aufgegeben, bevor ich mich auf die Suche nach jemandem gemacht hätte, der auch an das Projekt glaubt.
Zuletzt noch: warum „Impossible Playgrounds“?
Wie beziehen uns mit diesem Titel direkt auf die Unmöglichkeit, alle Spielplätze dieser Stadt vorstellen zu können. Über 1.850 Spielplätze hat Berlin – das gäbe Stoff für sehr viele Spielplatzführer! Wir haben uns auf eine kleine, persönlich kuratierte Auswahl innerhalb der Ringbahn konzentriert – aber ich hoffe sehr, dass mein „Impossible Playgrounds“-Guide möglichst viele inspiriert, sich auf den Weg zu machen und die Stadt noch in einer eher unüblicheren Weise zu entdecken. Und ich freue mich natürlich über alle, die Feedback oder ihren Lieblingsspielplatz auf meiner Facebookseite teilen!