Eric Wrede ist Bestatter und Mitgründer der Initiative Kindertrauer Berlin. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, hilft es, Erinnerungen an ihn zu gestalten. Vor allem für Kinder ein wichtiger Prozess, um den Verlust zu verarbeiten. Doch wie kann Erinnerung aussehen und wie geht das eigentlich mit dem Trauern?
Es ist Mittagszeit, auf der Seelower Straße herrscht reger Verkehr, die Wintersonne strahlt. Hier in Prenzlauer Berg ist das Bestattungshaus Lebensnah von Eric Wrede. Schon beim Blick ins Schaufenster fällt auf, dass er die Dinge anders anpackt. Freundlich verzierte Urnen und Bilderbücher über den Tod stehen hier. Der Raum ist hell, blaue Papierschiffchen und Blumen, ein aufgeregt herumspringender Hund. „Mit 30 hatte ich das Gefühl, dass da noch mehr kommen muss“, erzählt Eric Wrede bei schwarzem Tee mit Milch und Zucker. Bis dahin hatte er seinen eigenen Radiosender und eine Plattenfirma, jetzt suchte er die Veränderung. Durch einen Zufall bewarb sich Wrede auf ein Praktikum bei einem Bestattungsinstitut. Danach blieb er noch ein Jahr dort, bis er sich 2013 selbstständig machte. Lebensnah bietet individuelle Bestattungen an, inzwischen arbeiten mit Eric Wrede fünf Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zusammen.
Unterstützung für Kinder und Eltern
„Von Anfang an war ein großer Teil unserer Arbeit, zu überlegen, wie wir mit Kindern umgehen, die jemanden verloren haben.“ Ganz oft beobachtete Wrede, dass Eltern, die selbst trauern, Angst haben und sich fragen: Wie erkläre ich meinen Kindern, was passiert ist? „Es wird oft nur in den Stationen Hospiz, Beerdigung, Trauerbegleitung gedacht – und jedes Mal muss die Familie ihr Herz aufmachen und die Geschichten neu erzählen.“ Der Bestatter merkte, dass eine bessere Vernetzung verschiedener Akteure nötig ist, um eine gute Betreuung der Betroffenen zu gewährleisten. In Gesprächen mit der evangelischen Pfarrerin im Prenzlauer Berg Jasmin El-Manhy kam also die Idee für die Initiative Kindertrauer Berlin auf. Die beiden gründeten sie gemeinsam mit Katharina Kreuschner von der Stephanus Stiftung. Ein Ziel ist, dass Menschen und vor allem angehörige Kinder ab Diagnosestellung, zum Beispiel bei Oma, Opa oder Vater, ein- und denselben Ansprechpartner haben.
Bei Kindertrauer Berlin haben Familien die Möglichkeit, Unterstützung von ausgebildeten, Ehrenamtlichen zu bekommen, die über eine lange Zeit begleiten. Auch kann das Kind eine der Trauergruppen der Initiative besuchen. Doch, nicht alle brauchen eine Trauergruppe: „Es ist seltener der Fall als man denkt, dass ein Kind professionelle Unterstützung braucht. Viele gehen gut mit der Situation um“, sagt Eric Wrede. Entscheidet sich das Kind dafür, trifft es in den Gruppen auf andere, denen Ähnliches passiert ist, und auf ausgebildete Trauerbegleiter. Während der Gruppensitzungen für die Kinder entstand automatisch auch für die Eltern ein Raum, in dem sie sich auszutauschen können.
Sagen, wie es ist
„Die Fähigkeit zu trauern, ist eine Kompetenz – eine Loslass-Kompetenz“, sagt Eric Wrede. Immer wieder wird er zu Vorträgen eingeladen. Das Geld, das er dort bekommt, fließt direkt zurück in die Initiative, die sich auch über Spenden finanziert. Sowohl die Gruppen, die Trauerbegleitung in den Familien als auch die Workshops, die Eric Wrede in Schulen und Kindergärten macht, sind kostenlos und, was ihm auch besonders wichtig ist, frei von Glaubensbekenntnissen. „Ich werde keine religiösen Antworten geben“, sagt er.
Sein Grundansatz: So wenig wie möglich verklären, die Dinge aussprechen und vor allem nicht lügen
Sein Grundansatz: So wenig wie möglich verklären, die Dinge aussprechen und vor allem nicht lügen: „Kinder spüren genau, was passiert ist, sie sehen, dass ihr traurig seid, dann redet bitte auch klar mit ihnen!“ Das Schlimmste, was passieren könne, sei die Kinder auszuschließen, denn umso größer werde das Geheimnis. Das wiederum schüre falsche Hoffnungen oder Ängste. Auch rät er: „Stellt konkrete Fragen wie: ‚Willst du deinen Papa noch mal sehen?‘, und ihr werdet eine klare Antwort bekommen!“
Kinder trauern anders
Die Initiative schafft es, dass die Kinder selbst erkennen, was sie in der schwierigen Situation brauchen, um richtig trauern und sich erinnern zu können. Überhaupt spricht der Bestatter lieber von Erinnerungs- statt Trauerarbeit: „Erwachsene haben ein Bild davon, wie man sich erinnert, doch es ist selten, dass Kinder dasselbe brauchen. Kinder sind anders traurig.“ Deshalb werden in den Workshops zum Beispiel Erinnerungskoffer gepackt, in die jedes Kind reinlegen kann, was es will. Meist sind das keine Fotos, sondern Gegenstände, die mit den Verstorbenen in Verbindung stehen. Eine besondere Erinnerung, die die Initiative mal mit einer Familie geschaffen hat, ist eine Schallplatte, für die der inzwischen gestorbene Papa zwei Märchen eingesprochen hat. In die Schallplatte selbst ist Asche von ihm eingearbeitet worden.
„Das war eher kostspielig, aber wichtig ist: Erinnern heißt nicht automatisch Geld ausgeben“, sagt Eric Wrede, „jeder kann heutzutage mit dem Smartphone Stimmen aufnehmen.“ Es gibt viele weitere Möglichkeiten, schon früh eine ganz eigene Erinnerung zu gestalten und diese festzuhalten. Denn, und das betont Wrede: „Es ist nichts Trauriges, sich an jemanden zu erinnern, sondern etwas Schönes!“
Fotos: Mujo Kazmi
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