Frauke Menzinger, Leiterin des C/O Berlin Education-Programms geht mit Kindern und Jugendlichen auf Fotostadtsafari, entdeckt mit ihnen neue Perspektive und die Großen der Fotokunst.
Ob in Zeitschriften, im Fernsehen oder im Internet, bei Instagram, Facebook oder WhatsApp – Fotos regieren die Welt. Kinder des 21. Jahrhunderts wachsen völlig selbstverständlich in einer komplett visuellen Welt auf und sind vermutlich auch zum großen Teil mit verantwortlich für diese Bilderflut. Denn die Jugend von heute macht immer und überall Fotos und Selbstportraits mit dem Smartphone. Pizzaessen, Kinobesuche, die neue Jeans oder eine gelungene Hochsteckfrisur – der komplette jugendliche Alltag wird mit Selfies fotografisch dokumentiert.
Es ist nicht zu übersehen: Bilder sagen offenbar mehr als Worte. Gut oder schlecht? Kommt ganz darauf an. Frauke Menzinger ist seit 2009 künstlerische Leiterin des Education-Bereichs der C/O Berlin Foundation, deren Ausstellungsräume sich im Amerika Haus am Zoo befinden. Die ganz Großen der Fotografie werden hier regelmäßig gezeigt. Zusammen mit Sibylle Kufus kümmert sie sich allerdings eher um die Kleinen, denn sie ist verantwortlich für das abwechslungsreiche Workshop-Programm, die Kunst-Vermittlung für Kinder und Jugendliche.
Sie kennt Mittel gegen Reizüberflutung und weiß, wie sehr vor allem Kinder mit der Dauerpräsenz unendlich vieler Bilder zu kämpfen haben: „Deswegen versuchen wir hier auf die eigentliche Idee der Fotografie zurückzukommen, sich wirklich mal nur auf das eine Foto zu besinnen, sich Gedanken darüber zu machen. Und dieses Herangehen an Fotografie wollen wir hier pflegen oder wieder ins Bewusstsein rufen und damit auch eine bestimmte Wahrnehmung bei den Kindern provozieren.“
Frauke Menzinger fotografiert selbst, am liebsten mit ihrer analogen Kamera, und man spürt ihre absolute Leidenschaft für dieses Medium: „Ein wichtiger Aspekt der Fotografie ist für mich natürlich in erster Linie die Erinnerung. Ich schaue selber wahnsinnig gerne alte Fotoalben an bis hin zu den Ur-Großeltern. Und ich finde es immer verrückt, was da an Geschichten plötzlich auftaucht und an Stimmungen. Insofern hat ein Foto natürlich viel mehr als diese oberflächliche, optische Erscheinung.“
Die gelernte Bühnenbildnerin weiß es zu schätzen, dass in ihrem renommierten Berliner Haus für Fotografie diese wunderbar vielen Aspekte zueinander kommen. Mit ihrem Junior- und Teens-Programm bietet die C/O Berlin Foundation Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, die kreativen Disziplinen Fotografie, Design oder Architektur spielerisch kennenzulernen und ihre eigenen Ideen kreativ umzusetzen.
Das Angebot für Acht- bis 17-Jährige ist dabei so bunt wie interessant: „Reisen durch das Fotoalbum – Vom Foto zur Zeichnung“ lautet die Überschrift eines Intensivwochenendes, das Frauke Menzinger gera- de zusammen mit der Künstlerin Patrizia Bach angeboten hat. Mit dem „Perspectives“-Programm werden außerdem regelmäßig sozial benachteiligte Jugendliche mit ins Boot geholt. Das Projekt „Voneinander erzählen, Voneinander lernen = Mixer“ sollte beispielsweise mit Kameras und Mikrofonen zu einem Dialog zwischen jugendlichen Flüchtlingen und Kiezbewohnern führen.
Außerdem gibt es jedes Jahr längere Ferienkurse, darunter Dokumentar- oder Trick lm-Workshops, sowie thematische Stadtspaziergänge. Das Stichwort Wahrnehmung blitzt immer und überall wieder auf: „Man geht ja mit einem ganz anderen Blick durch die Stadt, man sieht die Menschen ganz anders an, wenn man als Fotograf denkt. Wenn wir zum Beispiel eine Stadtsafari machen mit der Kamera, dann entdecken die Kids Dinge, die ihnen sonst nie aufgefallen wären! Da fängt man natürlich an, nach Farbkompositionen zu schauen, nach Bildaufbau oder nach Details, die einen interessieren. Und ich finde, dann darf man auch schon von einer künstlerischen Arbeit sprechen, weil einfach der Blick ein ganz anderer ist.“
Die Workshops beziehen sich häu g auf die aktuell laufenden Ausstellungen im Amerika Haus, Ausstellungsbesuche sind also inklusive, ebenso eine kurze Einführung in die Geschichte der Fotografie. Vorkenntnisse muss niemand mitbringen, die meisten Kinder würden in kleiner Runde von meist zehn bis zwölf Teilnehmern oft ganz von allein übersprudeln vor Ideen und sich gegenseitig inspirieren.
Besonders beliebt sei der Gang in die hauseigene Dunkelkammer. Darin ein Fotogramm zu erstellen, das sei wie Zauberei, Groß und Klein kämen jedes Mal selbst wie verzaubert wieder heraus, erzählt Frauke Menzinger, die den Workshop „Analoge Fotografie – Arbeiten in der Dunkelkammer“ selbst betreut, gemeinsam mit dem Fotografen Marc Volk.
Als zweifache Mutter kennt sie natürlich auch den meist vollgestopften Alltag der Großstadtkinder von heute. Ein schlechtes Gewissen, sie nun auch noch am Wochenende oder in den Ferien „bespaßen“ zu wollen, hat sie aber nicht. Im Gegenteil – ihrer Erfahrung nach bieten die C/O Workshops den Köpfen der Kinder viel eher eine Art Erholungspause. Denn hier geht es nicht um Leistung, es gibt keine Bewertung der Arbeiten, jedes Kind kann nach seinen eigenen Neigungen und im eigenen Tempo kreativ werden. „Dadurch, dass die Kinder ja wirklich so bei sich sind in dem Moment und sich mal länger als zwei Schulstunden, nämlich ein ganzes Wochenende lang durchgehend auf eine bestimmte Sache konzentrieren können, empfinden sie das nicht als Stress, sondern können aus ihrem Alltag raus.“
Nicht selten werden hier Türen geöffnet und es erwächst aus den Anregungen eines Workshops das wirkliche Interesse, oft sogar die Leidenschaft für Fotografie. Und sie kommen weg vom täglichen Produzieren von Lifestyle-Fotos, weg vom Druck der bei WhatsApp und Facebook. Bestenfalls sehen sie ihre Umgebung plötzlich wieder genauer an oder nden mit ihren Fotos sogar einen ganz und gar neuen Blick auf sich, auf die Welt, auf Berlin und seine Bewohner.
Text: Ilka Lorenzen
C/O Berlin Foundation, Hardenbergstr, 22-24, 10623 Berlin,
www.co-berlin.org