Karola Marsch ist seit 2005 Chefdramaturgin am Theater an der Parkaue. Mit Experimentierfreude und Enthusiasmus blickt sie in die Zukunft
Angefangen hat es mit einem Zufall. Bei einem der in der DDR obligatorischen Kulturpraktika hat sich Karola Marsch mit dem Theater „infiziert“, wie sie sagt. In den Freien Kammerspielen Magdeburg half sie im Theater für junge Zuschauer, diskutierte bis nachts um drei Uhr mit Regisseuren wie Wolf Bunge und Horst Ruprecht und lernte, dass Theater für Kinder mehr sein kann als bunte Unterhaltung. Im Gegensatz zum Kindertheater der BRD waren die Inszenierungen weniger pädagogischen Maßstäben als einem künstlerischen Anspruch verpflichtet. Dieses Theaterverständnis sowie die Experimentierfreude der Wendezeit treiben ihre Arbeit bis heute an.
Die Lust am Neuen und Unbekannten
Seit ihrem Quereinstieg arbeitete Karola Marsch unter anderem am Theater im Marienbad Freiburg sowie am Mainfranken Theater Würzburg. 2001 hat sie in der Auswahlkommission für das 6. Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen „Augenblick mal!“ mit über 120 angeschauten Inszenierungen in einem Jahr den Rekord gebrochen, berichtet sie fröhlich. Dabei hat sich ihr Verständnis von Kindertheater verändert. Die Lust am Neuen und Unbekannten hat sie hingegen nie verlassen. Kinder sind dafür die besten Komplizen: „Ich weiß gar nicht genau, wann das aufhört – dieses Sprunghafte, diese Bereitschaft sich die Welt immer wieder neu zusammenzusetzen“, überlegt die Theatermacherin.
Gerade in der Pubertät, in der Zeit des Schulwechsels verändern sich die Ansprüche an und damit auch von Kindern enorm. „Wenn das Leistungsprinzip zuschlägt, dann sind wir am Theater gefragt, diese Offenheit und Neugier wiederherzustellen“, sagt sie. So verstanden, wird Theater zu einer Spielwiese, einem Ort an dem die Freiheit des Probierens bewahrt wird, indem mit immer neuen Perspektiven auf die sogenannte Wirklichkeit experimentiert wird, wie in einem Kaleidoskop.
Wenn das Leistungsprinzip zuschlägt, dann sind wir am Theater gefragt, diese Offenheit und Neugier wiederherzustellen
Theater als utopisches Experimentierfeld zu verstehen, bedeutet auch, sich selbst immer wieder infrage zu stellen. Dieser Anspruch schlägt sich in den demnächst anlaufenden Produktionen nieder. In „Unterscheidet Euch!“ vom Kollektiv Turbo Pascal begeben sich Künstler und Kinder gemeinsam auf eine Reise jenseits alltäglicher Zuschreibungen. Frei nach Pierre Bourdieus bahnbrechender soziologischer Studie „Die feinen Unterschiede“ geht es darum, jene Distinktionsmechanismen zu hinterfragen, die sich schon im Kindesalter verfestigen und die das eigene Selbstverständnis fortan prägen.
Im Zeitalter von Populismus kann gerade Kinderund Jugendtheater einen wichtigen Beitrag für eine tolerante Gesellschaft leisten: „Im Unterschied zu den Abendspielhäusern sitzt bei uns die ganze Stadtgesellschaft in den Sälen, wenn wir Schulklassen empfangen. Unser Publikum ist divers. Für uns stellt sich also immer wieder die Frage, wie wir unser Haus, das ja aussieht wie eine Festung, so öffnen, dass sich kleine und große Berliner wohlfühlen und sehen, das ist unser Ort!“. Dabei findet sich die junge Stadtgesellschaft im seltensten Fall in der Rolle passiver Zuschauer wieder.
Seit 2005 prägt die gemeinsame Arbeit von Intendant Kay Wuschek und Karola Marsch vielmehr das, was derzeit gerne als „immersives Theater“ bezeichnet wird und was die beiden lieber „partizipatorisches Theater“ nennen. Theater wird zu einem Labor, in dem sich Künstler unterschiedlichster Sparten mit Kindern unterschiedlichster Herkunft treffen. Es wird zugleich zu einer Institution, die sich nicht damit begnügt, die Welt hinter verschlossenen Türen neu zu erfinden.
Raus auf die Straße, raus an den Rand
Im Mai werden Künstler, Lehrer und Schüler in der „Parkaue City“ mit der Nachbarschaft des Theaters aufeinandertreffen. Unter dem Motto „Die klügere Stadt“ wird dann in „Open.Labs“ über Möglichkeiten einer besseren Welt diskutiert: „Es geht nicht nur um die Utopie, sondern um die konkrete Frage, was für eine Stadt wir den Kindern eigentlich hinterlassen“, erklärt Marsch.
Auch für die Inszenierung „Geschichten aus dem Bauwagen“ von Maria Milisavljevic begibt sich das Theater auf die Straße. Dafür hat sich das Ensemble eigens einen Bauwagen angeschafft, mit dem es „an die Ränder der Stadt“ reisen will. „Und mit so einem Bauwagen kann man ja noch eine Menge mehr machen“, freut sich Marsch. Auch für die kommende Umbauphase habe das Theater schon verrückte Pläne. Was genau, werde aber noch nicht verraten. Eines jedenfalls ist klar: Die Reise am Theater an der Parkaue geht weiter – kleine und große Berliner dürfen gespannt sein!
Alle Infos und Termine findet ihr unter parkaue.de und natürlich im HIMBEER Eventkalender