BERLINER STADTGESTALTEN Zusammen spielen, lesen, singen, bei den Hausaufgaben helfen - beim offenen Kindertreff der evangelischen Erlöserkirche in der Schröderstraße finden Kinder einen Ort, wo jemand Zeit für sie hat und ihnen auch in schwierigen Situationen etwas Halt und Struktur verspricht.
Mitten in einer der begehrtesten Wohnstraßen von Berlin Mitte, der Schröderstraße, steht die Methodistisch-Evangelische Erlöserkirche. In dem hübschen Gemeindehaus lebt und arbeitet seit 13 Jahren Schwester Heidi, Gründerin des offenen Kindertreffs „Kinder in die Mitte“. Braucht dieser Stadtteil wirklich ein Hilfsprojekt für Kinder? „Ja“, sagt Schwester Heidi „wir brauchen es dringender denn je! Die Langzeitwirkung von Hartz IV hat die Not vieler Familien verschlimmert.“
Schwester Heidi ist eine Diakonisse. Sie trägt eine schlichte blaugraue Tracht, blaugraue Strickjacke und eine weiße Haube. Das passt gut zu ihren weißen Haaren und den klaren blauen Augen. Schwester Heidi spricht sehr offen und zugewandt. Schnell wird klar: Diese Arbeit ist ihre Berufung. Ursprünglich kommt sie aus Wuppertal. Hier lebte sie in dem Mutterhaus der Bethesda Gemeinde, arbeitete als Krankenschwester. Bis die Bitte des damaligen Pfarrers der Zweigstelle in der Schröderstraße sie erreichte. Ihm waren Kinder aufgefallen, die sich ohne Aufsicht auf dem benachbarten Zille Spielplatz bis spät abends aufhielten. Viele passten auf ihre kleineren Geschwister auf. Oft waren sie zu dünn angezogen. Mit der Unterstützung einer Diakonisse wollte er ein Projekt für Kinder aufbauen. Nach anfänglichen Bedenken nimmt die damals 52-Jährige die neue Aufgabe an. Gemeinsam mit einer jüngeren Diakonisse, die sie bei der pädagogischen Arbeit unterstützt, geht sie nach Berlin. Zwei älteren Diakonissen kommen außerdem mit, um den beiden Schwestern im Haushalt zu helfen.
Die Gemeinde ist sehr klein und eher arm. Auch heute noch trägt sich das Projekt aus Spenden. Schwester Heidi und Schwester Helene fingen 1998 ganz behutsam und bescheiden an. Mit einem Springseil gingen sie auf den Spielplatz. Etwas komisch fühlten sie sich dabei schon. Aber die Kinder kamen zu ihnen. Wenig später brachten sie auf einem Bollerwagen Tee und Essen mit. Und als die Spielplatzsaison zu Ende ging, fragten die Kinder, wo sie sich denn im Winter treffen würden. Daraufhin wurde ein Teil des Gemeindesaales abgetrennt und zum offenen Kindertreff eingerichtet. Heute arbeiten in dem Projekt zwei Schwestern, ein FSJler, zwei ehrenamtliche Köchinnen und auch Pfarrer Weinknecht schaut gerne vorbei. Es wird täglich eine warme Mahlzeit angeboten, die aus Spenden der Berliner Tafel und von den Gemeinden zubereitet wird. Es gibt einen Aufenthaltsraum mit auffallend schönem, hochwertigem Spielzeug, überwiegend aus Holz, mit Kuschelecke und Gesellschaftspielen. In einem Musikraum wird einmal wöchentlich von einem ehrenamtlichen Musiklehrer Unterricht erteilt und viel gesungen. Die Kinder erhalten Hausaufgabenhilfe, bei Bedarf auch Kleidung, sie feiern Geburtstage und Feste, gehen noch immer viel und gerne auf den Spielplatz und vor allem erfahren sie Zuwendung, Gemeinschaft und Verständnis. „Viele Kinder konnten mit den Spielen am Anfang gar nichts anfangen. Es war ihnen völlig neu, dass jemand für sie Zeit hatte.“
Täglich von 14.00 bis 18.00 Uhr kommen um die 17 Kinder, überwiegend im Alter von 6 bis 17 Jahre, aber auch Kindergarten Kinder sind dabei. Für die Großen gibt es einen Teenie Kreis und einen Kochkurs. Vor dem Essen wird gebetet und einmal in der Woche wird eine biblische Geschichte vorgelesen. Ehemalige helfen regelmäßig ehrenamtlich in dem Projekt.
Ein gemalter Baum im Flur ist beklebt mit ca. hundert Fotos von Kindern. Die Kinder stammen zum großen Teil aus deutschen Familien. Viele Eltern haben finanzielle Probleme. Es sind Kinder von sehr jungen Eltern oder aus Großfamilien, Kinder von Langzeitarbeitslosen oder Kinder von Eltern, die es nicht schaffen sich neben der Arbeit um ihr Kind zu kümmern. Die Mädchen und Jungen kommen und gehen allein, freiwillig und ohne Anmeldung. Das erschwert den Kontakt zu den Eltern. Und die Schwelle eine Kirche zu betreten, ist für viele Eltern hoch. Die Kinder haben damit kein Problem. Sie bewegen sich ganz selbstverständlich: Ein Kind lümmelt sich gemütlich auf dem Sofa, ein anderes läuft noch beim Reinkommen in die Küche und fragt, „was gibt‘s heute?“. Die Atmosphäre ist sehr freundlich, alle Mitarbeiter duzen sich, man spürt, dass ihnen die Arbeit Freude macht. Aber es gibt auch Konflikte, z.B. wenn Kinder gewalttätig werden oder Regeln missachten. Dann lässt sich Schwester Heidi auch beraten. Die Gewissheit etwas Sinnvolles zu tun, hilft ihr in solchen Situationen. In diesem Jahr gibt die 65-Jährige die Leitung ab. Die junge Nachfolgerin ist keine Diakonisse, sondern eine studierte Erziehungswissenschaftlerin und absolvierte zuvor ein freiwilliges Soziales Jahr in der Einrichtung. Schwester Heidi wird etwas weniger arbeiten und sich mehr auf die Familienarbeit konzentrieren. „Neues ist gut“, sagt sie lächelnd.