Das Projekt TanzZeit bietet mehr als 90 Minuten Tanzunterricht – hier wird Kindern die Gelegenheit geboten, gemeinsam Spaß zu haben und ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. In bisher fast hundert Berliner Schulen haben die Tanzpädagogen und Choreografen des Projekts mit den Kindern getanzt und geprobt und dabei eine tolle Möglichkeit erhalten, sich gegenseitig zu begegnen und sich selbst einmal anders wahrzunehmen. Manchmal passieren dabei sogar kleine Wunder.
Punkt 10 Uhr. Die sehr laute Schulglocke der Fanny-Hensel-Grundschule ertönt. Zwanzig Kinder zwischen sechs und acht Jahren kommen freudig in Begleitung ihrer Klassenlehrerin und Erzieherin zum Mehrzweckraum, in dem sie gleich für eineinhalb Stunden tanzen und Spaß haben werden. „Hallo Lara, hallo Francesca“, ruft ein Mädchen. Lara Martelli und Francesca Patrone, das sind zwei Tänzerinnen von TanzZeit. Die beiden äußerst sympathischen Italienerinnen arbeiten bereits seit einem Jahr einmal wöchentlich mit dieser jahrgangsübergreifenden Klasse 1-3.
Inspiriert durch den Dokumentarfilm „Rhythm is it“ gründete Livia Patrizi 2005 das Projekt TanzZeit. Seither unterrichteten Tänzer, Choreografen und Tanzpädagogen an insgesamt 98 Berliner Schulen und brachten 10.000 Kindern die Kunstform Tanz näher. Obwohl es am Ende eines Kurses immer eine Aufführung gibt, geht es bei TanzZeit nicht um Leistung, sondern um das Erlernen von Körpersprache und die Entwicklung von Körperbewusstsein.
TanzZeit möchte Kinder unabhängig von ihrem sozialen und kulturellen Hintergrund erreichen. Deshalb geht TanzZeit in die Schulen. Für die Kinder ist das eine tolle Möglichkeit, sich gegenseitig offen zu begegnen und sich selbst und die anderen einmal ganz anders zu erleben. Schon bei den Aufwärmübungen im Kreis herrscht eine unglaublich positive und vertrauensvolle Stimmung. Lara mit den roten und Francesca mit den langen schwarzen Haaren lächeln die Kinder unterstützend an, machen Bewegungen vor, die die Kinder nachmachen: Kopf, Arme, Hände, Beine, Füße, Rücken, Po, alles kommt mal dran. Es wird sich gestreckt und gebeugt, geschüttelt, in den Körper hinein gehorcht und viel gelacht.
„Wer will in die Mitte?“, fragt Francesca. Die Arme schnellen nur so in die Höhe. Jennifer wird ausgewählt und darf vormachen. Selbstbewusst geht das Mädchen mit den lustigen Zöpfen in die Kreismitte und begibt sich abwechselnd in verschiedene Körperhaltungen. „Nicht so schnell“, rufen manche Kinder, bemüht, die Haltungen nachzumachen. Jennifer verlangsamt ihr Tempo.
Nun sind alle warm und die Arbeit an der Choreografie kann beginnen. Zunächst wird ohne Musik der Takt vorgezählt und die Bewegungsfolge vom letzten Mal wiederholt. Die meisten Kinder kommen ganz gut mit. „Wie ist das gelaufen?“, fragt Lara. „Gut“, antworten die Kinder. „Und was machen wir nach den acht Takten Choreografie?“, fragt Francesca.“Jeder tanzt für sich“, antworten die Kinder wieder.
Und los geht’s. Zu neapolitanischer, sehr rhythmischer Musik, tanzt die Klasse mehr oder weniger synchron. Die Gruppe wird in groß und klein aufgeteilt. Nachdem die eine Gruppe fertig ist, gibt es von der anderen Gruppe einen begeisterten Applaus. Auf die Choreografie folgen Partnerübungen, der sehr beliebte Stopptanz und die Entspannungsübungen am Ende des Unterrichts. Alle Kinder, auch die Jungen, machen eineinhalb Stunden sehr engagiert mit, wie Yusuf, ein Junge im Ringelmuskelshirt, der gar nicht mehr aufhören möchte, am Boden wie ein Streetdancer zu kreiseln.
Die Fanny-Hensel-Grundschule liegt zwischen Anhalter Bahnhof, Tempodrom, Hotels und dem Berliner Gruselkabinett und gilt mit 98% Schülern nichtdeutscher Herkunft als Brennpunktschule. Doch Francesca und Lara machen hier positive Erfahrungen. „Wenn die Schulleitung aktiv ist, dann passiert auch was.“, sagt Francesca. Entscheidend ist für sie die gute Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Schulleitung und Tanzpädagogen und weniger die Herkunft der Kinder oder der Standort der Schulen.
Wenn ein Lehrer während des Tanzunterrichts Zeitung liest und die Schulleitung nie da ist, dann kommt es auch in Zehlendorf zu Konflikten. Dann geht es manchmal nur noch darum, Schüler zu motivieren und Disziplin zu schaffen. Aber das passiert selten. Mehrheitlich entstehen richtig tolle Inszenierungen und die Tänzerinnen erleben, wie die Kinder sich in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln: „Ich habe kleine Wunder erlebt“, sagt Francesca, die seit dreißig Jahren Zeitgenössischen Ausdruckstanz ausgeübt, sich zur Tanztherapeutin und Tanzpädagogin fortgebildet hat und seit sechs Jahren bei TanzZeit arbeitet.
„Es tut den Kindern wirklich gut 90 Minuten in der Woche zu sich zu kommen. Das bleibt ihnen. Der Körper hat ein Gedächtnis.“ Punkt 11:30 Uhr. Die Schulglocke läutet genauso laut wie vorhin. „Hofpause“, rufen alle Kinder und stürmen hinaus. Sude, ein Mädchen im rosa Tüllrock kommt zu Francesca. „Hat Spaß gemacht“ sagt sie. „Mir auch“, antwortet die Tänzerin.
TanzZeit wurde 2005 von Livia Patrizi ins Leben gerufen. Sasha Waltz ist von Beginn an Schirmherrin des Projektes. Klaus Wowereit ist seit 2010 politischer Schirmherr und ebenfalls seit 2010 erhält TanzZeit eine Regelförderung von der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. TanzZeit hat namhafte Paten und Förderer und wurde mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Mehr Informationen unter: www.tanzzeit-schule.de