Mit Großstadtwohnungen ist es so eine Sache: Bewohnt man als Paar die Behausung seiner Wahl, ist das Glück zunächst groß. Doch wie schafft man es, den veränderten Bedürfnissen von plötzlich vier statt zwei Menschen gerecht zu werden? Unsere Autorin sprach mit Juliane und Jens Kaspers über den Komplettumbau ihrer Eigentumswohnung.
Wer von uns kennt das Phänomen nicht? Wir gründen Familien, diese wachsen und gedeihen – und für Schlafen, Essen, Kochen, Leben, Freunde einladen, Kinderbespaßung wird mehr und mehr Raum benötigt.
Außerdem, und so war es auch bei den Kaspers, liebt man oft auch so vieles an den äußeren Umständen dieser vier Wände, die man seit Jahren bewohnt: Man mag das Haus, die Nachbar:innen, den ganzen Kiez, in dem man über die Jahre heimisch geworden ist.
Man ist vielleicht verwöhnt und guckt ins Grüne. Will man das alles einfach so hinter sich lassen? Das ist der Punkt in dem Entscheidungsfindungs-Drama vieler Familien, an dem die Innenarchitektin und Architektin Judith Simone Wahle ins Spiel kommt. Denn exakt dieses Problem vieler Familien ist genau ihr Ding. Sie liebt es, größer gewordenen Familien auf begrenztem Raum mit schlauen Lösungen langfristig zu helfen.
In der Wohnung von Familie Kaspers treffen wir uns gemeinsam mit der Expertin. Als kinderlose Referendare kurz vor dem Examen und Jobeinstieg zog das Paar in die ruhig gelegene Altbauwohnung ein. „Es war super viel Platz“, erinnert sich Juliane. „Aber dann kam 2012 unser erster Sohn. Zunächst ging es auch noch, da haben wir einfach so ein bisschen Bäumchen-wechsel-dich gemacht und das Arbeitszimmer wegrationalisiert.“
Sie zogen mit dem Schlafzimmer ins ehemalige Arbeitszimmer. Juliane empfand es aber als schade, das schöne Balkonzimmer nur zum Schlafen zu nutzen. „Es war immer klar, wir müssen irgendwann noch eine andere Lösung finden“, konstatierten beide. Erst recht, als Kind Nummer zwei unterwegs war. Jens und Juliane wussten, was sie nun wollten: eigentlich exakt 20 Quadratmeter mehr Wohnfläche.
„Irgendwas müssen wir machen.“
Durch ihre veränderten Anforderungen an den Grundriss der Wohnung wurde perspektivisch klar, dass sie wohl eine größere suchen mussten. Die Kinder sollten jeder ein eigenes Kinderzimmer haben, die Eltern ein bisschen mehr Raum finden. Der Immobilienmarkt zeigte jedoch: Altbau und Innenstadt? Nicht lustig. Zudem müssten sie viel zu viel Geld in die Hand nehmen.
Gegen einen Umzug sprach auch, dass Julianes Job als Anwältin einfacher mit zwei kleinen Kindern zu vereinbaren ist, wenn es bei dem kleinen Radius von einer Viertelstunde zwischen Kita, Schule, Arbeit und Zuhause bleibt. Nur so bekäme sie alles gut hin, gibt sie zu: „Sobald ich eine Stunde fahren müsste für eine Strecke, kracht mein System zusammen.“
„Da hat’s Klick gemacht.“
Den entscheidenden, sehr klugen Rat gab Julianes Mutter: „Den Platz, den man in dieser Situation vermeintlich dringend braucht, benötigt man vielleicht für zehn Jahre.“ Die ersten fünf, sechs, sieben Lebensjahre der Kinder sei ihnen das total egal, ob klein oder riesig; sie hocken sowieso immer da, wo man selber gerade ist.
Wäre man selbst im Wohnzimmer, seien auch sie dort. Viel Platz und ein großes Zimmer bräuchten sie sowieso nicht. Und mit Anfang 20 wären sie dann weg. Dann hätte man aber immer noch 20 Jahre Kredit und eine Wohnung mit Räumen, die man nicht braucht.
„Da hat´s dann richtig Klick gemacht“, erinnert sich Jens: „Mit 35 denkt man kaum an das, was man braucht, wenn man 55 ist. Und mit 55 braucht man eben keine zwei großen Kinderzimmer mehr.“ Beim Besuch eines Freundes in London lernen die beiden Judith kennen. Dort gingen gerade die Immobilienpreise horrend in die Höhe, weswegen die Architektin begann, sich auf Altbau-Sanierungen zu spezialisieren.
Was bei Jens und Juliane zu tun ist, wusste sie genau: die Bedürfnisse, die da sind und da sein werden, auf gegebener Fläche unterbringen. Und dazu braucht man einfach nur etwas Kreativität – und als Wohnungsbewohner außerdem eine ordentliche Portion Mut.
Achtung, fertig, Wände raus
Was die Innenarchitektin nämlich tat, war das, was man ohne einen Profi im Traum nicht tun würde. Sie schaute, wo sie Platz aus nicht wirklich genutztem Raum schaffen kann und erstellte kurzerhand einen neuen Grundriss für die Wohnung. „Es ist ein bisschen mein Steckenpferd, zu gucken, wo Platz verschenkt ist“, grinst sie. Wie das ehemalige Schlafzimmer: unglaublich riesig, natürlich toll, aber völlig verschenkt. Weg damit! Judith plante eine komplette Kernsanierung.
Auf der Seite der Wohnung, die Richtung Süden liegt, wo es also heller ist, könnte mehr Leben stattfinden, im dunkleren Teil eher Schlafen und Bad. Ein Teil des vorher zu üppig dimensionierten, herrlich hellen Schlafzimmers wird also Küche, der andere Esszimmer. Zwischen den Räumen mit der Flügeltür soll wieder eine Verbindung hergestellt werden, damit die Tür offen stehen bleiben könnte, wenn man wollte. Dann bot sich an, den Flur zu verkürzen und wirklich optimal auszunutzen.
Die Idee: Nicht nur die Küche, sondern auch das Bad soll ans andere Ende der Wohnung verlegt werden.
Hierfür brauchte man aber definitiv mehr Platz als nur das reguläre Flur-Ende. Obgleich der Flur recht tief und weit war und aus nicht wirklich genutztem Raum bestand, hätte mit dem alten Platzangebot an dieser Stelle nur eine Art Gäste-Bad entstehen können. Gewünscht wurde aber ein Familienbad möglichst mit Badewanne und Dusche.
Aus diesem Grund entschlossen sich Familie und Profi gemeinsam, einen Teil des Zimmers für das Badezimmer zu nutzen. Hier wurde eine sehr geniale Idee umgesetzt: ein Tageslichtschacht aus dem angezapften Zimmer birgt einen supertollen Effekt für das fensterlose Badezimmer.
Probleme und Lösungen
Weil Küche und Bad vorher aber auf der anderen Seite, quasi am anderen Ende der Wohnung lagen, befanden sich alle Wasseranschlüsse genau dort. Das war die große Herausforderung, um nicht zu sagen, das Problem. „Der Schacht mit den vollständigen Installationen lag völlig woanders. Das bedeutet in der Praxis: Jede Baufirma, die anhand des Plans sieht, was umgebaut werden soll, sagt: Geht nicht!“, schmunzelt die Expertin. Damit das Ganze dann doch geht und funktioniert, plante sie durch diesen Teil der Wohnung Podeste.
Alle neuen Stränge laufen unter diesen Zimmern entlang. Bei hohen Decke würden Podeste eh nicht schaden – im Gegenteil, sie machten es sehr gemütlich und besonders. Altbau sei sowieso sehr dankbar, verrät sie, weil man die hohen Decken ausnutzen und den oft nicht idealen Grundriss noch optimieren könne. So wurden in den folgenden vier Monaten komplette Wände und Deckenverkleidungen abgerissen, die Elektrik neu gemacht.
„Es ist jetzt genauso, wie wir das wollen und wie wir das brauchen.“
In sämtlichen Zimmern besteht tatsächlich jeglicher Stauraum aus schlau gedachten und schön gemachten Einbauschränken. Von großem Vorteil beim Umbau sei, wenn man seine Wohnung schon sehr gut kenne: „Wir haben viel darüber gesprochen, was man wo vielleicht noch irgendwie nutzen kann“, resümieren Jens und Juliane. So kann in der Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin jeder Zentimeter perfekt ausgenutzt werden.
Die Expertin erläutert, dass sie immer dort, wo sie gemeinsam irgendwelche Ecken fanden, die man nutzen kann, diese neu dachten – als Stauraum. Dadurch entstünde nämlich dieser Wow-Effekt: das Gefühl, dass es viel größer geworden ist: „Weil eben alles, was sonst irgendwo rumstand, jetzt irgendwo reinpasst.“
Im Schlafzimmer im Podest, unter dem großen Bett: zusätzlicher Stauraum. Überall im Bereich der Hochbetten der Kinder: Stauraum. Die abgehängte Decke im Badezimmer: Stauraum.
Die Umbaumaßnahmen fand der damals dreijährige Nils anfänglich nicht so toll, denn er musste natürlich aus seinem Zimmer raus. Die Eltern erinnern sich: „Als er wiederkam, war alles abgerissen, da hat er richtig große Augen gemacht. Wir haben ihm gesagt, die Wohnung sei kaputt und werde jetzt wieder heile gemacht. Heute begrüßt Nils den Bauleiter so: ‚Das ist der, der unsere Wohnung heile gemacht hat‘.“
Am Ende hat Judith es übrigens tatsächlich geschafft, die 20 gewünschten Quadratmeter herbeizuzaubern. Jens lacht: „Nach der Sanierung sind wir wieder hier eingezogen und haben gequietscht vor Vergnügen, weil wir es so toll fanden.“
Mehr über ihre Projekte und den Umbau von Wohnungen erfahrt ihr auf Judits Website: judithsimonewahle.com